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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777.

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XIII. Versuch. Ueber das Seelenwesen
könne. Aber wenn man nun auch die sich nicht er-
gänzenden Thiere unter einander vergleicht; und darun-
ter gehören auch viele Jnsekten, welche nach des Herrn
Unzers Hypothese bloße Organisationen sind: wie än-
dert sich alsdenn die Jchheit und die thierische Einheit
mit der Vollkommenheit in der Zusammensetzung der
fühlbaren Materie? Nehmen jene und diese mit ein-
ander ab, und in welchem Verhältnisse? und ist die
Abnahme an der innern thierischen Einheit in den
Jnsekten schon so groß, daß man diese für bloße Orga-
nisationen ansehen kann? oder, wenn sie noch Thiere
sind, doch nur für unvollkommene, die kein eigentliches
Jch besitzen, und nur von einer materiellen Lebens-
kraft
beseelt sind? Vielleicht das letztere; aber viel-
leicht nicht. Wir tappen hier noch im Dunkeln; wir
kennen die Beziehungen der thierischen Beschaffenheiten
auf einander zu wenig, und haben also bisher noch zu
unsichere Data, über das Beseelt- und Unbeseeltseyn
der Wesen zu urtheilen. Da solches unmittelbar nicht
beobachtet werden kann, so läßt es sich nicht anders als
nur mit einiger Wahrscheinlichkeit aus den Verhältnis-
sen desselben zu den in die Sinne fallenden Eigenschaften,
nämlich zu der Empfindlichkeit und Spontaneität und
der äußerlichen Vollkommenheit der Organisation in dem
Körper muthmaßen; und dazu gehören allgemeine
Grundsätze, welche die Analogie der Natur bestimmen.
Bey den Thieren, welche dem Menschen am nächsten
stehn, ist doch die Herrschaft der Seele und also die Jch-
heit merklich schwächer, weil die Größe darinn eine der
vornehmsten Eigenheiten des Menschen ausmacht.
Wenn nun auch die körperliche Struktur der Thiere,
und ihre Organisation in den gröbern Theilen in eben
der Maße unvollkommen wäre, wie es sonsten geglaubt
ward: so hätten wir Eine von den allgemeinen Re-
geln, wodurch ein Verhältniß der innern Thierheit und

der

XIII. Verſuch. Ueber das Seelenweſen
koͤnne. Aber wenn man nun auch die ſich nicht er-
gaͤnzenden Thiere unter einander vergleicht; und darun-
ter gehoͤren auch viele Jnſekten, welche nach des Herrn
Unzers Hypotheſe bloße Organiſationen ſind: wie aͤn-
dert ſich alsdenn die Jchheit und die thieriſche Einheit
mit der Vollkommenheit in der Zuſammenſetzung der
fuͤhlbaren Materie? Nehmen jene und dieſe mit ein-
ander ab, und in welchem Verhaͤltniſſe? und iſt die
Abnahme an der innern thieriſchen Einheit in den
Jnſekten ſchon ſo groß, daß man dieſe fuͤr bloße Orga-
niſationen anſehen kann? oder, wenn ſie noch Thiere
ſind, doch nur fuͤr unvollkommene, die kein eigentliches
Jch beſitzen, und nur von einer materiellen Lebens-
kraft
beſeelt ſind? Vielleicht das letztere; aber viel-
leicht nicht. Wir tappen hier noch im Dunkeln; wir
kennen die Beziehungen der thieriſchen Beſchaffenheiten
auf einander zu wenig, und haben alſo bisher noch zu
unſichere Data, uͤber das Beſeelt- und Unbeſeeltſeyn
der Weſen zu urtheilen. Da ſolches unmittelbar nicht
beobachtet werden kann, ſo laͤßt es ſich nicht anders als
nur mit einiger Wahrſcheinlichkeit aus den Verhaͤltniſ-
ſen deſſelben zu den in die Sinne fallenden Eigenſchaften,
naͤmlich zu der Empfindlichkeit und Spontaneitaͤt und
der aͤußerlichen Vollkommenheit der Organiſation in dem
Koͤrper muthmaßen; und dazu gehoͤren allgemeine
Grundſaͤtze, welche die Analogie der Natur beſtimmen.
Bey den Thieren, welche dem Menſchen am naͤchſten
ſtehn, iſt doch die Herrſchaft der Seele und alſo die Jch-
heit merklich ſchwaͤcher, weil die Groͤße darinn eine der
vornehmſten Eigenheiten des Menſchen ausmacht.
Wenn nun auch die koͤrperliche Struktur der Thiere,
und ihre Organiſation in den groͤbern Theilen in eben
der Maße unvollkommen waͤre, wie es ſonſten geglaubt
ward: ſo haͤtten wir Eine von den allgemeinen Re-
geln, wodurch ein Verhaͤltniß der innern Thierheit und

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[356/0386] XIII. Verſuch. Ueber das Seelenweſen koͤnne. Aber wenn man nun auch die ſich nicht er- gaͤnzenden Thiere unter einander vergleicht; und darun- ter gehoͤren auch viele Jnſekten, welche nach des Herrn Unzers Hypotheſe bloße Organiſationen ſind: wie aͤn- dert ſich alsdenn die Jchheit und die thieriſche Einheit mit der Vollkommenheit in der Zuſammenſetzung der fuͤhlbaren Materie? Nehmen jene und dieſe mit ein- ander ab, und in welchem Verhaͤltniſſe? und iſt die Abnahme an der innern thieriſchen Einheit in den Jnſekten ſchon ſo groß, daß man dieſe fuͤr bloße Orga- niſationen anſehen kann? oder, wenn ſie noch Thiere ſind, doch nur fuͤr unvollkommene, die kein eigentliches Jch beſitzen, und nur von einer materiellen Lebens- kraft beſeelt ſind? Vielleicht das letztere; aber viel- leicht nicht. Wir tappen hier noch im Dunkeln; wir kennen die Beziehungen der thieriſchen Beſchaffenheiten auf einander zu wenig, und haben alſo bisher noch zu unſichere Data, uͤber das Beſeelt- und Unbeſeeltſeyn der Weſen zu urtheilen. Da ſolches unmittelbar nicht beobachtet werden kann, ſo laͤßt es ſich nicht anders als nur mit einiger Wahrſcheinlichkeit aus den Verhaͤltniſ- ſen deſſelben zu den in die Sinne fallenden Eigenſchaften, naͤmlich zu der Empfindlichkeit und Spontaneitaͤt und der aͤußerlichen Vollkommenheit der Organiſation in dem Koͤrper muthmaßen; und dazu gehoͤren allgemeine Grundſaͤtze, welche die Analogie der Natur beſtimmen. Bey den Thieren, welche dem Menſchen am naͤchſten ſtehn, iſt doch die Herrſchaft der Seele und alſo die Jch- heit merklich ſchwaͤcher, weil die Groͤße darinn eine der vornehmſten Eigenheiten des Menſchen ausmacht. Wenn nun auch die koͤrperliche Struktur der Thiere, und ihre Organiſation in den groͤbern Theilen in eben der Maße unvollkommen waͤre, wie es ſonſten geglaubt ward: ſo haͤtten wir Eine von den allgemeinen Re- geln, wodurch ein Verhaͤltniß der innern Thierheit und der

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Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 356. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/386>, abgerufen am 22.11.2024.