solle; aber ist dieß vielleicht eine Einbildung, ein falscher Schein von einem Vermögen, das nicht vorhanden ist?
Jch sitze jetzo auf einem Stuhle, und glaube, daß ich in diesem nämlichen Augenblicke das Vermögen habe, aufzustehen und fortzugehen. Unter diesem Vermögen verstehe ich eine gewisse positive Beschaffenheit mei- nes Körpers, welche zu dieser Wirkung erfodert wird, und die ich, um jenes mit Gewißheit zu glauben, nicht bestimmter noch deutlicher kennen darf. Es hat sich wohl zuweilen ereignet, daß jemand unter meinen Umständen in derselbigen Meinung gewesen ist, der aber, als er den Versuch anstellen wollte, fand, daß ihm der Fuß schlief, und er wirklich zum Fortgehen unvermögend war. Man kann sich also darinnen irren. Kann nicht ein Ge- nesender, der im Bette liegt, sich schon stark genug dün- ken, in der Stube zu spatzieren, und sich nachher zu schwach finden, sich nur auf den Beinen zu halten? Wie jemand, der in einem Zimmer ohne sein Wissen ver- schlossen ist, nicht daran zweifelt, daß er nicht herausge- hen könne, wenn es ihm beliebe, da er es doch wirklich nicht vermag, und darinn verbleibet, ohne zu wissen, daß er darinnen verbleiben müsse. Bringet einem Menschen unvermerkt eine Portion Opium bey, sagt der witzige Verfasser, der unter dem Namen des von Joch vor ein Paar Jahren mit dem Herrn Home zu beweisen versucht hat, daß die Empfindung unserer Freyheit trüg- lich sey; richtet es also ein, daß dieß Opium seine ein- schläfernde Wirkung zu eben der Zeit äußere, in der er gewohnt ist, sich zur Ruhe zu begeben, weil sonsten viel- leicht das Ungewöhnliche seine Ueberredung stören möch- te: wie trefflich wird er hintergangen werden. Er wird glauben, es sey seine ganz freye Handlung, wenn er dem Antriebe der Natur nachgiebt, von seiner Arbeit ab- bricht und sich zu Bette leget; er meinet, sich seiner völ- lig darinnen mächtig zu seyn, und es unterlassen zu kön-
nen,
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und Freyheit.
ſolle; aber iſt dieß vielleicht eine Einbildung, ein falſcher Schein von einem Vermoͤgen, das nicht vorhanden iſt?
Jch ſitze jetzo auf einem Stuhle, und glaube, daß ich in dieſem naͤmlichen Augenblicke das Vermoͤgen habe, aufzuſtehen und fortzugehen. Unter dieſem Vermoͤgen verſtehe ich eine gewiſſe poſitive Beſchaffenheit mei- nes Koͤrpers, welche zu dieſer Wirkung erfodert wird, und die ich, um jenes mit Gewißheit zu glauben, nicht beſtimmter noch deutlicher kennen darf. Es hat ſich wohl zuweilen ereignet, daß jemand unter meinen Umſtaͤnden in derſelbigen Meinung geweſen iſt, der aber, als er den Verſuch anſtellen wollte, fand, daß ihm der Fuß ſchlief, und er wirklich zum Fortgehen unvermoͤgend war. Man kann ſich alſo darinnen irren. Kann nicht ein Ge- neſender, der im Bette liegt, ſich ſchon ſtark genug duͤn- ken, in der Stube zu ſpatzieren, und ſich nachher zu ſchwach finden, ſich nur auf den Beinen zu halten? Wie jemand, der in einem Zimmer ohne ſein Wiſſen ver- ſchloſſen iſt, nicht daran zweifelt, daß er nicht herausge- hen koͤnne, wenn es ihm beliebe, da er es doch wirklich nicht vermag, und darinn verbleibet, ohne zu wiſſen, daß er darinnen verbleiben muͤſſe. Bringet einem Menſchen unvermerkt eine Portion Opium bey, ſagt der witzige Verfaſſer, der unter dem Namen des von Joch vor ein Paar Jahren mit dem Herrn Home zu beweiſen verſucht hat, daß die Empfindung unſerer Freyheit truͤg- lich ſey; richtet es alſo ein, daß dieß Opium ſeine ein- ſchlaͤfernde Wirkung zu eben der Zeit aͤußere, in der er gewohnt iſt, ſich zur Ruhe zu begeben, weil ſonſten viel- leicht das Ungewoͤhnliche ſeine Ueberredung ſtoͤren moͤch- te: wie trefflich wird er hintergangen werden. Er wird glauben, es ſey ſeine ganz freye Handlung, wenn er dem Antriebe der Natur nachgiebt, von ſeiner Arbeit ab- bricht und ſich zu Bette leget; er meinet, ſich ſeiner voͤl- lig darinnen maͤchtig zu ſeyn, und es unterlaſſen zu koͤn-
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und Freyheit.
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Jch ſitze jetzo auf einem Stuhle, und glaube, daß ich
in dieſem naͤmlichen Augenblicke das Vermoͤgen habe,
aufzuſtehen und fortzugehen. Unter dieſem Vermoͤgen
verſtehe ich eine gewiſſe poſitive Beſchaffenheit mei-
nes Koͤrpers, welche zu dieſer Wirkung erfodert wird,
und die ich, um jenes mit Gewißheit zu glauben, nicht
beſtimmter noch deutlicher kennen darf. Es hat ſich wohl
zuweilen ereignet, daß jemand unter meinen Umſtaͤnden
in derſelbigen Meinung geweſen iſt, der aber, als er
den Verſuch anſtellen wollte, fand, daß ihm der Fuß
ſchlief, und er wirklich zum Fortgehen unvermoͤgend war.
Man kann ſich alſo darinnen irren. Kann nicht ein Ge-
neſender, der im Bette liegt, ſich ſchon ſtark genug duͤn-
ken, in der Stube zu ſpatzieren, und ſich nachher zu
ſchwach finden, ſich nur auf den Beinen zu halten? Wie
jemand, der in einem Zimmer ohne ſein Wiſſen ver-
ſchloſſen iſt, nicht daran zweifelt, daß er nicht herausge-
hen koͤnne, wenn es ihm beliebe, da er es doch wirklich
nicht vermag, und darinn verbleibet, ohne zu wiſſen, daß
er darinnen verbleiben muͤſſe. Bringet einem Menſchen
unvermerkt eine Portion Opium bey, ſagt der witzige
Verfaſſer, der unter dem Namen des von Joch vor
ein Paar Jahren mit dem Herrn Home zu beweiſen
verſucht hat, daß die Empfindung unſerer Freyheit truͤg-
lich ſey; richtet es alſo ein, daß dieß Opium ſeine ein-
ſchlaͤfernde Wirkung zu eben der Zeit aͤußere, in der er
gewohnt iſt, ſich zur Ruhe zu begeben, weil ſonſten viel-
leicht das Ungewoͤhnliche ſeine Ueberredung ſtoͤren moͤch-
te: wie trefflich wird er hintergangen werden. Er wird
glauben, es ſey ſeine ganz freye Handlung, wenn er dem
Antriebe der Natur nachgiebt, von ſeiner Arbeit ab-
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/39>, abgerufen am 03.12.2024.
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