Denn der Verstand ist bey ihm nur ein leidendes Ver- mögen gewahrzunehmen, und eine Art des Gefühls. Die thätigen Aeußerungen der Ueberlegungskraft gehö- ren allesammt mit der ganzen wirksamen Kraft der See- le zu ihrem Willen. Jst also gleich jenes leidentliche Gefühl von einer unveränderlichen Größe, daß es weder Vermehrung noch Erhöhung weiter annimmt, als in Hinsicht der Objekte, worauf es wirket, so kann es sich vielleicht bey dem thätigen Vermögen der Seele anders verhalten. Allein, ohne die Vorstellung dieses Philo- sophen weiter zu prüfen, wäre es doch schon etwas, wenn sich die Sache in Hinsicht eines unserer Vermö- gen auf diese Art verhielte, wovon man mittelst der Ana- logie auf die übrigen schließen könnte.
Man kann wohl Eins oder das andere unserer Ver- mögen durch eine Absonderung im Verstande, aus den übrigen so herausnehmen, daß es zufolge dieser Ab- straktion als eine unveränderliche Einheit angesehen wer- den muß, wenn man alle Veränderungen, die solches in Graden und Stufen annimmt, auf andere Vermö- gen überträgt. So ist zum Exempel die Seele ein Wesen, das Eindrücke in sich aufnimmt, solche fühlet, und dann selbstthätig zurückwirket. Wenn nun das Vermögen des Gefühls, durch eine Abstraktion, bloß auf das Vermögen zu reagiren eingeschränkt und die wirksame Seelenkraft nur allein an der Seite angesehen wird, wie sie eine zurückwirkende Kraft ist, so hindert nichts, bey der Seele eben so wie bey dem Körper anzu- nehmen, daß die Rückwirkung allemal so groß sey, wie die Wirkung, und daß folglich in dem Vermögen des Gefühls keine innere Größe entstehen, sondern solches nur stärker oder schwächer auf mehrere oder wenigere Ge- genstände angewendet werden könne, je nachdem meh- rere und stärkere Einwirkungen da sind. Aber ist denn darum die Empfänglichkeit der Seele oder ihr Vermö-
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und Entwickelung des Menſchen.
Denn der Verſtand iſt bey ihm nur ein leidendes Ver- moͤgen gewahrzunehmen, und eine Art des Gefuͤhls. Die thaͤtigen Aeußerungen der Ueberlegungskraft gehoͤ- ren alleſammt mit der ganzen wirkſamen Kraft der See- le zu ihrem Willen. Jſt alſo gleich jenes leidentliche Gefuͤhl von einer unveraͤnderlichen Groͤße, daß es weder Vermehrung noch Erhoͤhung weiter annimmt, als in Hinſicht der Objekte, worauf es wirket, ſo kann es ſich vielleicht bey dem thaͤtigen Vermoͤgen der Seele anders verhalten. Allein, ohne die Vorſtellung dieſes Philo- ſophen weiter zu pruͤfen, waͤre es doch ſchon etwas, wenn ſich die Sache in Hinſicht eines unſerer Vermoͤ- gen auf dieſe Art verhielte, wovon man mittelſt der Ana- logie auf die uͤbrigen ſchließen koͤnnte.
Man kann wohl Eins oder das andere unſerer Ver- moͤgen durch eine Abſonderung im Verſtande, aus den uͤbrigen ſo herausnehmen, daß es zufolge dieſer Ab- ſtraktion als eine unveraͤnderliche Einheit angeſehen wer- den muß, wenn man alle Veraͤnderungen, die ſolches in Graden und Stufen annimmt, auf andere Vermoͤ- gen uͤbertraͤgt. So iſt zum Exempel die Seele ein Weſen, das Eindruͤcke in ſich aufnimmt, ſolche fuͤhlet, und dann ſelbſtthaͤtig zuruͤckwirket. Wenn nun das Vermoͤgen des Gefuͤhls, durch eine Abſtraktion, bloß auf das Vermoͤgen zu reagiren eingeſchraͤnkt und die wirkſame Seelenkraft nur allein an der Seite angeſehen wird, wie ſie eine zuruͤckwirkende Kraft iſt, ſo hindert nichts, bey der Seele eben ſo wie bey dem Koͤrper anzu- nehmen, daß die Ruͤckwirkung allemal ſo groß ſey, wie die Wirkung, und daß folglich in dem Vermoͤgen des Gefuͤhls keine innere Groͤße entſtehen, ſondern ſolches nur ſtaͤrker oder ſchwaͤcher auf mehrere oder wenigere Ge- genſtaͤnde angewendet werden koͤnne, je nachdem meh- rere und ſtaͤrkere Einwirkungen da ſind. Aber iſt denn darum die Empfaͤnglichkeit der Seele oder ihr Vermoͤ-
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und Entwickelung des Menſchen.
Denn der Verſtand iſt bey ihm nur ein leidendes Ver-
moͤgen gewahrzunehmen, und eine Art des Gefuͤhls.
Die thaͤtigen Aeußerungen der Ueberlegungskraft gehoͤ-
ren alleſammt mit der ganzen wirkſamen Kraft der See-
le zu ihrem Willen. Jſt alſo gleich jenes leidentliche
Gefuͤhl von einer unveraͤnderlichen Groͤße, daß es weder
Vermehrung noch Erhoͤhung weiter annimmt, als in
Hinſicht der Objekte, worauf es wirket, ſo kann es ſich
vielleicht bey dem thaͤtigen Vermoͤgen der Seele anders
verhalten. Allein, ohne die Vorſtellung dieſes Philo-
ſophen weiter zu pruͤfen, waͤre es doch ſchon etwas,
wenn ſich die Sache in Hinſicht eines unſerer Vermoͤ-
gen auf dieſe Art verhielte, wovon man mittelſt der Ana-
logie auf die uͤbrigen ſchließen koͤnnte.
Man kann wohl Eins oder das andere unſerer Ver-
moͤgen durch eine Abſonderung im Verſtande, aus den
uͤbrigen ſo herausnehmen, daß es zufolge dieſer Ab-
ſtraktion als eine unveraͤnderliche Einheit angeſehen wer-
den muß, wenn man alle Veraͤnderungen, die ſolches
in Graden und Stufen annimmt, auf andere Vermoͤ-
gen uͤbertraͤgt. So iſt zum Exempel die Seele ein
Weſen, das Eindruͤcke in ſich aufnimmt, ſolche fuͤhlet,
und dann ſelbſtthaͤtig zuruͤckwirket. Wenn nun das
Vermoͤgen des Gefuͤhls, durch eine Abſtraktion, bloß
auf das Vermoͤgen zu reagiren eingeſchraͤnkt und die
wirkſame Seelenkraft nur allein an der Seite angeſehen
wird, wie ſie eine zuruͤckwirkende Kraft iſt, ſo hindert
nichts, bey der Seele eben ſo wie bey dem Koͤrper anzu-
nehmen, daß die Ruͤckwirkung allemal ſo groß ſey, wie
die Wirkung, und daß folglich in dem Vermoͤgen des
Gefuͤhls keine innere Groͤße entſtehen, ſondern ſolches
nur ſtaͤrker oder ſchwaͤcher auf mehrere oder wenigere Ge-
genſtaͤnde angewendet werden koͤnne, je nachdem meh-
rere und ſtaͤrkere Einwirkungen da ſind. Aber iſt denn
darum die Empfaͤnglichkeit der Seele oder ihr Vermoͤ-
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 377. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/407>, abgerufen am 22.11.2024.
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