5) Zwo Folgen aus dem Vorhergehenden. Von dem vorzüglichen Nutzen, den das Le- sen der Originalschriftsteller hat. Von dem Nutzen der Metaphysik, als einer Ue- bung der Verstandskräfte. 6) Wie weit die Erhöhung eines Seelenver- mögens sich über andere Vermögen aus- breite! 7) Von der Schwächung der Vermögen durch allzu starke Anstrengung.
1.
Die thätigen Seelenvermögen, die alsdenn beson- ders Fähigkeiten heißen, wenn sie vorzüglich groß sind, werden durch eine angemessene Uebung erhö- het und zu Fertigkeiten gemacht. Man kann die in- stinktartigen Handlungen, wozu uns die Fertigkeiten an- gedohren zu seyn scheinen, hier bey Seite setzen. Der Philosoph, der Mathematiker, der Schachspieler, der Maler und so weiter, wird das, was er ist, nicht ohne vorhergegangene Uebung. Von den Poeten und an- dern Künstlern, und überhaupt von solchen Fertigkeiten, die auf einer vorzüglichen Wirksamkeit der Phantasie be- ruhen, ist man gemeiniglich der Meinung, sie müßten geboren, nicht gemacht werden. Aber man hat läng- stens bemerkt, daß sich dasselbige von allen Arten der vorzugsweise sogenannten Genies, und auch von den philosophischen und mathematischen Genies, behaupten lasse. Die Leibnitze, die Newtons, die Euler, die Bernoullis müssen eben sowohl geboren werden, als die Homere und Virgile. Und es ist eben so gewiß, daß die lebhafte Phantasie ohne hinzukommende An- strengung und Uebung keinen ausgebildeten großen Poe- ten mache, als eine angeborne vorzügliche Ueberlegungs-
kraft
und Entwickelung des Menſchen.
5) Zwo Folgen aus dem Vorhergehenden. Von dem vorzuͤglichen Nutzen, den das Le- ſen der Originalſchriftſteller hat. Von dem Nutzen der Metaphyſik, als einer Ue- bung der Verſtandskraͤfte. 6) Wie weit die Erhoͤhung eines Seelenver- moͤgens ſich uͤber andere Vermoͤgen aus- breite! 7) Von der Schwaͤchung der Vermoͤgen durch allzu ſtarke Anſtrengung.
1.
Die thaͤtigen Seelenvermoͤgen, die alsdenn beſon- ders Faͤhigkeiten heißen, wenn ſie vorzuͤglich groß ſind, werden durch eine angemeſſene Uebung erhoͤ- het und zu Fertigkeiten gemacht. Man kann die in- ſtinktartigen Handlungen, wozu uns die Fertigkeiten an- gedohren zu ſeyn ſcheinen, hier bey Seite ſetzen. Der Philoſoph, der Mathematiker, der Schachſpieler, der Maler und ſo weiter, wird das, was er iſt, nicht ohne vorhergegangene Uebung. Von den Poeten und an- dern Kuͤnſtlern, und uͤberhaupt von ſolchen Fertigkeiten, die auf einer vorzuͤglichen Wirkſamkeit der Phantaſie be- ruhen, iſt man gemeiniglich der Meinung, ſie muͤßten geboren, nicht gemacht werden. Aber man hat laͤng- ſtens bemerkt, daß ſich daſſelbige von allen Arten der vorzugsweiſe ſogenannten Genies, und auch von den philoſophiſchen und mathematiſchen Genies, behaupten laſſe. Die Leibnitze, die Newtons, die Euler, die Bernoullis muͤſſen eben ſowohl geboren werden, als die Homere und Virgile. Und es iſt eben ſo gewiß, daß die lebhafte Phantaſie ohne hinzukommende An- ſtrengung und Uebung keinen ausgebildeten großen Poe- ten mache, als eine angeborne vorzuͤgliche Ueberlegungs-
kraft
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><argument><p><pbfacs="#f0409"n="379"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">und Entwickelung des Menſchen.</hi></fw><lb/><list><item>5) <hirendition="#fr">Zwo Folgen aus dem Vorhergehenden.<lb/>
Von dem vorzuͤglichen Nutzen, den das Le-<lb/>ſen der Originalſchriftſteller hat. Von<lb/>
dem Nutzen der Metaphyſik, als einer Ue-<lb/>
bung der Verſtandskraͤfte.</hi></item><lb/><item>6) <hirendition="#fr">Wie weit die Erhoͤhung eines Seelenver-<lb/>
moͤgens ſich uͤber andere Vermoͤgen aus-<lb/>
breite!</hi></item><lb/><item>7) <hirendition="#fr">Von der Schwaͤchung der Vermoͤgen durch<lb/>
allzu ſtarke Anſtrengung.</hi></item></list></p></argument><lb/><divn="4"><head>1.</head><lb/><p><hirendition="#in">D</hi>ie thaͤtigen <hirendition="#fr">Seelenvermoͤgen,</hi> die alsdenn beſon-<lb/>
ders <hirendition="#fr">Faͤhigkeiten</hi> heißen, wenn ſie vorzuͤglich<lb/>
groß ſind, werden durch eine angemeſſene Uebung erhoͤ-<lb/>
het und zu Fertigkeiten gemacht. Man kann die in-<lb/>ſtinktartigen Handlungen, wozu uns die Fertigkeiten an-<lb/>
gedohren zu ſeyn ſcheinen, hier bey Seite ſetzen. Der<lb/>
Philoſoph, der Mathematiker, der Schachſpieler, der<lb/>
Maler und ſo weiter, wird das, was er iſt, nicht ohne<lb/>
vorhergegangene Uebung. Von den Poeten und an-<lb/>
dern Kuͤnſtlern, und uͤberhaupt von ſolchen Fertigkeiten,<lb/>
die auf einer vorzuͤglichen Wirkſamkeit der Phantaſie be-<lb/>
ruhen, iſt man gemeiniglich der Meinung, ſie muͤßten<lb/>
geboren, nicht gemacht werden. Aber man hat laͤng-<lb/>ſtens bemerkt, daß ſich daſſelbige von allen Arten der<lb/>
vorzugsweiſe ſogenannten Genies, und auch von den<lb/>
philoſophiſchen und mathematiſchen Genies, behaupten<lb/>
laſſe. Die Leibnitze, die Newtons, die Euler, die<lb/>
Bernoullis muͤſſen eben ſowohl geboren werden, als<lb/>
die Homere und Virgile. Und es iſt eben ſo gewiß,<lb/>
daß die lebhafte Phantaſie ohne hinzukommende An-<lb/>ſtrengung und Uebung keinen ausgebildeten großen Poe-<lb/>
ten mache, als eine angeborne vorzuͤgliche Ueberlegungs-<lb/><fwplace="bottom"type="catch">kraft</fw><lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[379/0409]
und Entwickelung des Menſchen.
5) Zwo Folgen aus dem Vorhergehenden.
Von dem vorzuͤglichen Nutzen, den das Le-
ſen der Originalſchriftſteller hat. Von
dem Nutzen der Metaphyſik, als einer Ue-
bung der Verſtandskraͤfte.
6) Wie weit die Erhoͤhung eines Seelenver-
moͤgens ſich uͤber andere Vermoͤgen aus-
breite!
7) Von der Schwaͤchung der Vermoͤgen durch
allzu ſtarke Anſtrengung.
1.
Die thaͤtigen Seelenvermoͤgen, die alsdenn beſon-
ders Faͤhigkeiten heißen, wenn ſie vorzuͤglich
groß ſind, werden durch eine angemeſſene Uebung erhoͤ-
het und zu Fertigkeiten gemacht. Man kann die in-
ſtinktartigen Handlungen, wozu uns die Fertigkeiten an-
gedohren zu ſeyn ſcheinen, hier bey Seite ſetzen. Der
Philoſoph, der Mathematiker, der Schachſpieler, der
Maler und ſo weiter, wird das, was er iſt, nicht ohne
vorhergegangene Uebung. Von den Poeten und an-
dern Kuͤnſtlern, und uͤberhaupt von ſolchen Fertigkeiten,
die auf einer vorzuͤglichen Wirkſamkeit der Phantaſie be-
ruhen, iſt man gemeiniglich der Meinung, ſie muͤßten
geboren, nicht gemacht werden. Aber man hat laͤng-
ſtens bemerkt, daß ſich daſſelbige von allen Arten der
vorzugsweiſe ſogenannten Genies, und auch von den
philoſophiſchen und mathematiſchen Genies, behaupten
laſſe. Die Leibnitze, die Newtons, die Euler, die
Bernoullis muͤſſen eben ſowohl geboren werden, als
die Homere und Virgile. Und es iſt eben ſo gewiß,
daß die lebhafte Phantaſie ohne hinzukommende An-
ſtrengung und Uebung keinen ausgebildeten großen Poe-
ten mache, als eine angeborne vorzuͤgliche Ueberlegungs-
kraft
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 379. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/409>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.