zu Anstrengungen, welche eben so groß sind, als die Stär- ke, womit die Erfinder dachten. Daher entstehen Ein- drücke auf die Kraft, wodurch sie dem Erfindungsgeiste ähnlich wird, und die man vergebens bey den nachfol- genden Schriftstellern suchet, von denen nur bloß das Erfundene geordnet ist. Es ist ohne Zweifel unnöthig, um die mathematische Kenntniß zu erlangen, die man aus Archimedes Schriften schöpfen kann, ihn selbst zu lesen. Man hat alles das itzo vollständiger und leichter in den neuern Lehrbüchern. Aber ich verspreche dem, der den Archimedes durchdenkt, einen Zuwachs am geome- trischen Geiste, den ich ihm nicht versprechen kann, wenn er die neuern analytischen Einkleidungen derselben Sä- tze durchrechnet. Man studire Newtonsprincipia, und dann die neuern analytischen Demonstrationen der- selben, und man wird den Unterschied fühlen. Jn- dessen folget daraus keinesweges, daß die Bemühung, die Wissenschaften leichter und faßlicher zu machen, we- niger nutzbar sey, und weniger geschätzet zu werden ver- diene. Man müßte die Kürze des Lebens, die Schwä- che der Kräfte und die Menge und Weitläuftigkeit der Wissenschaften nicht wohl überdacht haben, wenn man jene nicht mit dem wärmsten Dank erkennen wollte.
Die zwote Anmerkung ist diese. Die Philosophen haben von ihrer allgemeinen Grundwissenschaft ehedem die Meinung geheget, sie sey das letzte Mittel den Ver- stand zu heben und zu stärken. Plato sprach von einer Organika des Verstandes, und Aristoteles suchte sie in seinen allgemeinen Spekulationen, die nachher den Na- men der Metaphysik erhielten. So gänzlich ist dieses, wie mich deucht, kein leerer Wahn. Giebt es ja ein geistiges Mittel, bey unserm Verstande so etwas zu leisten, als das Bewaffnen bey den Magneten ist: so sind es gewiß die allgemeinen Fertigkeiten, welche durch ein wohleingerichtetes Studium der Vernunftlehre und
der
IITheil. C c
und Entwickelung des Menſchen.
zu Anſtrengungen, welche eben ſo groß ſind, als die Staͤr- ke, womit die Erfinder dachten. Daher entſtehen Ein- druͤcke auf die Kraft, wodurch ſie dem Erfindungsgeiſte aͤhnlich wird, und die man vergebens bey den nachfol- genden Schriftſtellern ſuchet, von denen nur bloß das Erfundene geordnet iſt. Es iſt ohne Zweifel unnoͤthig, um die mathematiſche Kenntniß zu erlangen, die man aus Archimedes Schriften ſchoͤpfen kann, ihn ſelbſt zu leſen. Man hat alles das itzo vollſtaͤndiger und leichter in den neuern Lehrbuͤchern. Aber ich verſpreche dem, der den Archimedes durchdenkt, einen Zuwachs am geome- triſchen Geiſte, den ich ihm nicht verſprechen kann, wenn er die neuern analytiſchen Einkleidungen derſelben Saͤ- tze durchrechnet. Man ſtudire Newtonsprincipia, und dann die neuern analytiſchen Demonſtrationen der- ſelben, und man wird den Unterſchied fuͤhlen. Jn- deſſen folget daraus keinesweges, daß die Bemuͤhung, die Wiſſenſchaften leichter und faßlicher zu machen, we- niger nutzbar ſey, und weniger geſchaͤtzet zu werden ver- diene. Man muͤßte die Kuͤrze des Lebens, die Schwaͤ- che der Kraͤfte und die Menge und Weitlaͤuftigkeit der Wiſſenſchaften nicht wohl uͤberdacht haben, wenn man jene nicht mit dem waͤrmſten Dank erkennen wollte.
Die zwote Anmerkung iſt dieſe. Die Philoſophen haben von ihrer allgemeinen Grundwiſſenſchaft ehedem die Meinung geheget, ſie ſey das letzte Mittel den Ver- ſtand zu heben und zu ſtaͤrken. Plato ſprach von einer Organika des Verſtandes, und Ariſtoteles ſuchte ſie in ſeinen allgemeinen Spekulationen, die nachher den Na- men der Metaphyſik erhielten. So gaͤnzlich iſt dieſes, wie mich deucht, kein leerer Wahn. Giebt es ja ein geiſtiges Mittel, bey unſerm Verſtande ſo etwas zu leiſten, als das Bewaffnen bey den Magneten iſt: ſo ſind es gewiß die allgemeinen Fertigkeiten, welche durch ein wohleingerichtetes Studium der Vernunftlehre und
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und Entwickelung des Menſchen.
zu Anſtrengungen, welche eben ſo groß ſind, als die Staͤr-
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druͤcke auf die Kraft, wodurch ſie dem Erfindungsgeiſte
aͤhnlich wird, und die man vergebens bey den nachfol-
genden Schriftſtellern ſuchet, von denen nur bloß das
Erfundene geordnet iſt. Es iſt ohne Zweifel unnoͤthig,
um die mathematiſche Kenntniß zu erlangen, die man
aus Archimedes Schriften ſchoͤpfen kann, ihn ſelbſt zu
leſen. Man hat alles das itzo vollſtaͤndiger und leichter
in den neuern Lehrbuͤchern. Aber ich verſpreche dem, der
den Archimedes durchdenkt, einen Zuwachs am geome-
triſchen Geiſte, den ich ihm nicht verſprechen kann, wenn
er die neuern analytiſchen Einkleidungen derſelben Saͤ-
tze durchrechnet. Man ſtudire Newtons principia,
und dann die neuern analytiſchen Demonſtrationen der-
ſelben, und man wird den Unterſchied fuͤhlen. Jn-
deſſen folget daraus keinesweges, daß die Bemuͤhung,
die Wiſſenſchaften leichter und faßlicher zu machen, we-
niger nutzbar ſey, und weniger geſchaͤtzet zu werden ver-
diene. Man muͤßte die Kuͤrze des Lebens, die Schwaͤ-
che der Kraͤfte und die Menge und Weitlaͤuftigkeit der
Wiſſenſchaften nicht wohl uͤberdacht haben, wenn man
jene nicht mit dem waͤrmſten Dank erkennen wollte.
Die zwote Anmerkung iſt dieſe. Die Philoſophen
haben von ihrer allgemeinen Grundwiſſenſchaft ehedem
die Meinung geheget, ſie ſey das letzte Mittel den Ver-
ſtand zu heben und zu ſtaͤrken. Plato ſprach von einer
Organika des Verſtandes, und Ariſtoteles ſuchte ſie in
ſeinen allgemeinen Spekulationen, die nachher den Na-
men der Metaphyſik erhielten. So gaͤnzlich iſt dieſes,
wie mich deucht, kein leerer Wahn. Giebt es ja ein
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 401. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/431>, abgerufen am 22.11.2024.
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