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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777.

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und Entwickelung des Menschen.
daß es dem einen eben so leicht ist zu beweisen, jeder
Körper sey eine Maschine, als es dem andern ist sol-
ches zu läugnen. Man nimmt auch nicht allemal auf
das Mehr oder Weniger Rücksicht; und was die Haupt-
sache ist, unterscheidet nicht genau genug, ob von den
wirklichen Körpern in der Welt die Rede ist, oder von
allen Arten derselben, wovon wir uns in der Metaphy-
sik Begriffe machen. Denn wenn Leibnitz sagt, daß
jeder Körper nicht nur eine Maschine, sondern auch ein
organisirtes Ganzes sey: so ist das eine Behauptung,
worüber man aus Beobachtungen mehr als aus Be-
griffen urtheilen muß. Es genüget hier, die Organi-
sation für einen unendlich zusammengesetzten Mechänis-
mus zu halten, die das Princip ihrer Bewegungen in
sich hat; und also darf auch eine organische Form
von einer Art der Zusammensetzung der Theile in der
Maschine, welche gleichfalls die Wirkung hat, daß da-
durch Bewegungen, der Figur der Theile gemäß, mög-
lich werden, welche bloß durch die Masse von beiden
Theilen es nicht sind, nicht weiter unterschieden werden,
als daß die organische Form sich besonders auf den
organisirten Körper beziehe. Die einfachste organische
Form würde nichts mehr seyn, als eine einfache mecha-
nische Form.

Dieß vorausgesetzt ist es begreiflich, wie ein orga-
nisirter Körper mehr Materie in sich aufnehmen und
wachsen könne, ohne daß neue Formen in ihm entste-
hen. Denn wenn die Materie, welche als seine Nah-
rung hinzukommt, bloß seine vorhandenen unorgani-
schen Theile
vergrößert, aber ihre Anzahl nicht ver-
mehret:
so können auch nicht mehr Formen entstehen,
als schon vorhanden sind. Die einfachste Elementarfi-
ber habe zwischen ihren drey Partikeln, woraus sie beste-
he, zwey Zwischenräumchen, die als Fugen oder Ma-
schen anzusehen sind, wohin Materie gesetzt werden kann;

und
II Theil. H h

und Entwickelung des Menſchen.
daß es dem einen eben ſo leicht iſt zu beweiſen, jeder
Koͤrper ſey eine Maſchine, als es dem andern iſt ſol-
ches zu laͤugnen. Man nimmt auch nicht allemal auf
das Mehr oder Weniger Ruͤckſicht; und was die Haupt-
ſache iſt, unterſcheidet nicht genau genug, ob von den
wirklichen Koͤrpern in der Welt die Rede iſt, oder von
allen Arten derſelben, wovon wir uns in der Metaphy-
ſik Begriffe machen. Denn wenn Leibnitz ſagt, daß
jeder Koͤrper nicht nur eine Maſchine, ſondern auch ein
organiſirtes Ganzes ſey: ſo iſt das eine Behauptung,
woruͤber man aus Beobachtungen mehr als aus Be-
griffen urtheilen muß. Es genuͤget hier, die Organi-
ſation fuͤr einen unendlich zuſammengeſetzten Mechaͤnis-
mus zu halten, die das Princip ihrer Bewegungen in
ſich hat; und alſo darf auch eine organiſche Form
von einer Art der Zuſammenſetzung der Theile in der
Maſchine, welche gleichfalls die Wirkung hat, daß da-
durch Bewegungen, der Figur der Theile gemaͤß, moͤg-
lich werden, welche bloß durch die Maſſe von beiden
Theilen es nicht ſind, nicht weiter unterſchieden werden,
als daß die organiſche Form ſich beſonders auf den
organiſirten Koͤrper beziehe. Die einfachſte organiſche
Form wuͤrde nichts mehr ſeyn, als eine einfache mecha-
niſche Form.

Dieß vorausgeſetzt iſt es begreiflich, wie ein orga-
niſirter Koͤrper mehr Materie in ſich aufnehmen und
wachſen koͤnne, ohne daß neue Formen in ihm entſte-
hen. Denn wenn die Materie, welche als ſeine Nah-
rung hinzukommt, bloß ſeine vorhandenen unorgani-
ſchen Theile
vergroͤßert, aber ihre Anzahl nicht ver-
mehret:
ſo koͤnnen auch nicht mehr Formen entſtehen,
als ſchon vorhanden ſind. Die einfachſte Elementarfi-
ber habe zwiſchen ihren drey Partikeln, woraus ſie beſte-
he, zwey Zwiſchenraͤumchen, die als Fugen oder Ma-
ſchen anzuſehen ſind, wohin Materie geſetzt werden kann;

und
II Theil. H h
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[481/0511] und Entwickelung des Menſchen. daß es dem einen eben ſo leicht iſt zu beweiſen, jeder Koͤrper ſey eine Maſchine, als es dem andern iſt ſol- ches zu laͤugnen. Man nimmt auch nicht allemal auf das Mehr oder Weniger Ruͤckſicht; und was die Haupt- ſache iſt, unterſcheidet nicht genau genug, ob von den wirklichen Koͤrpern in der Welt die Rede iſt, oder von allen Arten derſelben, wovon wir uns in der Metaphy- ſik Begriffe machen. Denn wenn Leibnitz ſagt, daß jeder Koͤrper nicht nur eine Maſchine, ſondern auch ein organiſirtes Ganzes ſey: ſo iſt das eine Behauptung, woruͤber man aus Beobachtungen mehr als aus Be- griffen urtheilen muß. Es genuͤget hier, die Organi- ſation fuͤr einen unendlich zuſammengeſetzten Mechaͤnis- mus zu halten, die das Princip ihrer Bewegungen in ſich hat; und alſo darf auch eine organiſche Form von einer Art der Zuſammenſetzung der Theile in der Maſchine, welche gleichfalls die Wirkung hat, daß da- durch Bewegungen, der Figur der Theile gemaͤß, moͤg- lich werden, welche bloß durch die Maſſe von beiden Theilen es nicht ſind, nicht weiter unterſchieden werden, als daß die organiſche Form ſich beſonders auf den organiſirten Koͤrper beziehe. Die einfachſte organiſche Form wuͤrde nichts mehr ſeyn, als eine einfache mecha- niſche Form. Dieß vorausgeſetzt iſt es begreiflich, wie ein orga- niſirter Koͤrper mehr Materie in ſich aufnehmen und wachſen koͤnne, ohne daß neue Formen in ihm entſte- hen. Denn wenn die Materie, welche als ſeine Nah- rung hinzukommt, bloß ſeine vorhandenen unorgani- ſchen Theile vergroͤßert, aber ihre Anzahl nicht ver- mehret: ſo koͤnnen auch nicht mehr Formen entſtehen, als ſchon vorhanden ſind. Die einfachſte Elementarfi- ber habe zwiſchen ihren drey Partikeln, woraus ſie beſte- he, zwey Zwiſchenraͤumchen, die als Fugen oder Ma- ſchen anzuſehen ſind, wohin Materie geſetzt werden kann; und II Theil. H h

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Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 481. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/511>, abgerufen am 22.11.2024.