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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777.

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und Entwickelung des Menschen.
1.

Es ist hier weder nothwendig, noch thunlich, sich in
das Besondere jeder dieser Erzeugungsarten, oder
vielmehr der Hypothesen darüber einzulassen, und solche
mit den Beobachtungen zu vergleichen. Aber einige all-
gemeine Anmerkungen will ich anfügen, woraus ich für
den Philosophen, der nur das Allgemeine in der Phy-
siologie der organisirten Körper suchet, fast denselbigen
Nutzen erwarte. Am meisten wird es darauf ankom-
men, wie groß die Wahrscheinlichkeit des Evolutions-
systems sey? Wenn einmal angenommen wird, daß
neue Formen erzeuget werden: wer wird alsdenn dar-
über zweifeln, ob solche nicht auf mehr als Eine Art ent-
stehen, da die verschiedenen Entstehungsarten im Grunde
nur in Graden von einander abgehen, wobey eher Man-
nichfaltigkeit als Einförmigkeit zu vermuthen ist. Viel-
leicht geht es andern bey der Lesung der bonnetischen
Schrift, eben so wie mir. Sehe ich auf die Menge von
Erfahrungen bey allen Thieren und Pflanzen, deren
Ausformung von ihrem Keim an man beobachtet hat:
so sehe ich Fakta, die nicht nur durch die Evolution er-
kläret werden, sondern fast nothwendig auf sie hinführen.
Die Hypothese wird mir so sehr wahrscheinlich, als ich
den Scharfsinn ihres Urhebers bewundere. Bonnet
ist, so viel ich weiß, der erste, der den unterscheidenden
Grundsatz der Evolution in seinem ganzen Umfange über-
sehen, und mit den Beobachtungen verglichen hat.
Sehe ich dagegen auf die Folgen, wozu diese Hypothese
hinleitet, und dann auf die übrigen Erscheinungen, auf
die Wiederergänzungen abgeschnittener Glieder, auf das
Wiederauswachsen der Stücke von Polypen und Wür-
mern zu ganzen Thieren, auf die Vereinigung aufge-
pfropfter Zweige mit dem Baum, auf das Zusammen-
wachsen der Wunden in Thieren und Pflanzen, auf die
thierischen Pfropfungen, u. s. f. so deucht mich, die Hy-

pothese
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und Entwickelung des Menſchen.
1.

Es iſt hier weder nothwendig, noch thunlich, ſich in
das Beſondere jeder dieſer Erzeugungsarten, oder
vielmehr der Hypotheſen daruͤber einzulaſſen, und ſolche
mit den Beobachtungen zu vergleichen. Aber einige all-
gemeine Anmerkungen will ich anfuͤgen, woraus ich fuͤr
den Philoſophen, der nur das Allgemeine in der Phy-
ſiologie der organiſirten Koͤrper ſuchet, faſt denſelbigen
Nutzen erwarte. Am meiſten wird es darauf ankom-
men, wie groß die Wahrſcheinlichkeit des Evolutions-
ſyſtems ſey? Wenn einmal angenommen wird, daß
neue Formen erzeuget werden: wer wird alsdenn dar-
uͤber zweifeln, ob ſolche nicht auf mehr als Eine Art ent-
ſtehen, da die verſchiedenen Entſtehungsarten im Grunde
nur in Graden von einander abgehen, wobey eher Man-
nichfaltigkeit als Einfoͤrmigkeit zu vermuthen iſt. Viel-
leicht geht es andern bey der Leſung der bonnetiſchen
Schrift, eben ſo wie mir. Sehe ich auf die Menge von
Erfahrungen bey allen Thieren und Pflanzen, deren
Ausformung von ihrem Keim an man beobachtet hat:
ſo ſehe ich Fakta, die nicht nur durch die Evolution er-
klaͤret werden, ſondern faſt nothwendig auf ſie hinfuͤhren.
Die Hypotheſe wird mir ſo ſehr wahrſcheinlich, als ich
den Scharfſinn ihres Urhebers bewundere. Bonnet
iſt, ſo viel ich weiß, der erſte, der den unterſcheidenden
Grundſatz der Evolution in ſeinem ganzen Umfange uͤber-
ſehen, und mit den Beobachtungen verglichen hat.
Sehe ich dagegen auf die Folgen, wozu dieſe Hypotheſe
hinleitet, und dann auf die uͤbrigen Erſcheinungen, auf
die Wiederergaͤnzungen abgeſchnittener Glieder, auf das
Wiederauswachſen der Stuͤcke von Polypen und Wuͤr-
mern zu ganzen Thieren, auf die Vereinigung aufge-
pfropfter Zweige mit dem Baum, auf das Zuſammen-
wachſen der Wunden in Thieren und Pflanzen, auf die
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potheſe
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[501/0531] und Entwickelung des Menſchen. 1. Es iſt hier weder nothwendig, noch thunlich, ſich in das Beſondere jeder dieſer Erzeugungsarten, oder vielmehr der Hypotheſen daruͤber einzulaſſen, und ſolche mit den Beobachtungen zu vergleichen. Aber einige all- gemeine Anmerkungen will ich anfuͤgen, woraus ich fuͤr den Philoſophen, der nur das Allgemeine in der Phy- ſiologie der organiſirten Koͤrper ſuchet, faſt denſelbigen Nutzen erwarte. Am meiſten wird es darauf ankom- men, wie groß die Wahrſcheinlichkeit des Evolutions- ſyſtems ſey? Wenn einmal angenommen wird, daß neue Formen erzeuget werden: wer wird alsdenn dar- uͤber zweifeln, ob ſolche nicht auf mehr als Eine Art ent- ſtehen, da die verſchiedenen Entſtehungsarten im Grunde nur in Graden von einander abgehen, wobey eher Man- nichfaltigkeit als Einfoͤrmigkeit zu vermuthen iſt. Viel- leicht geht es andern bey der Leſung der bonnetiſchen Schrift, eben ſo wie mir. Sehe ich auf die Menge von Erfahrungen bey allen Thieren und Pflanzen, deren Ausformung von ihrem Keim an man beobachtet hat: ſo ſehe ich Fakta, die nicht nur durch die Evolution er- klaͤret werden, ſondern faſt nothwendig auf ſie hinfuͤhren. Die Hypotheſe wird mir ſo ſehr wahrſcheinlich, als ich den Scharfſinn ihres Urhebers bewundere. Bonnet iſt, ſo viel ich weiß, der erſte, der den unterſcheidenden Grundſatz der Evolution in ſeinem ganzen Umfange uͤber- ſehen, und mit den Beobachtungen verglichen hat. Sehe ich dagegen auf die Folgen, wozu dieſe Hypotheſe hinleitet, und dann auf die uͤbrigen Erſcheinungen, auf die Wiederergaͤnzungen abgeſchnittener Glieder, auf das Wiederauswachſen der Stuͤcke von Polypen und Wuͤr- mern zu ganzen Thieren, auf die Vereinigung aufge- pfropfter Zweige mit dem Baum, auf das Zuſammen- wachſen der Wunden in Thieren und Pflanzen, auf die thieriſchen Pfropfungen, u. ſ. f. ſo deucht mich, die Hy- potheſe J i 3

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Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 501. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/531>, abgerufen am 22.11.2024.