Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777.

Bild:
<< vorherige Seite

XIV. Vers. Ueber die Perfektibilität
welcher vorgeht, noch der andere, der ihm nachmacht,
solches wisse oder wolle. Dieses innere sympathetische
Band zwischen Menschen und Menschen ist bey der
Ausbildung des Kindes, und in der Entwickelung seiner
Vermögen, so mächtig, daß der Einfluß davon, ohner-
achtet er unter dem allgemeinen Einfluß der äußern Um-
stände begriffen ist, besonders als die Ausbildung
durch Beyspiele
bemerket zu werden verdienet.

2) Die zwote Klasse der ausbildenden Ursachen
kann unter dem Namen der Erziehung begriffen wer-
den, wenn man damit überhaupt alle geflissentlich zur
Ausbildung der menschlichen Natur in der Jugend ver-
anstaltete Einrichtungen bezeichnet. Sie ist die phy-
sische Erziehung,
insoferne ihre Absicht auf die Kräfte
des Körpers, auf die mechanischen Kräfte, und auf
die thierischen Vollkommenheiten in den Werkzeugen
des Empfindens und der willkürlichen Bewegung, ge-
richtet ist, und insoferne körperliche Mittel hiezu ge-
braucht werden. Sie ist die geistige, die morali-
sche
und intellektuelle, insoferne sie unmittelbar die
Bildung der Seelennatur mittelst der Vorstellungen
zum Zweck hat. Sie ist Anführung, Unterricht.
Jenes, wenn der Mensch unter Umftände gesetzet wird,
die ihm zur Anwendung seiner Vermögen Gelegenheit
geben, wenn diese Vermögen alsdenn zur Thätigkeit
mittelst sinnlicher Vorstellungen gereizet werden, und
wenn man ihm alsdenn die Handlung vormacht. Sie
ist Unterricht, Jnstruktion, insoferne man den
Weg über den Verstand nimmt und Kenntnisse und
Regeln, die von der Ueberlegungskraft gefaßt werden,
beybringet. Sie wird aber nähere Anweisung,
wenn Anführung zur Ausübung mit Unterricht verbun-
den wird. Sonst faßt auch wohl die Anweisung
überhaupt nichts mehr in sich, als daß man dem An-
zuweisenden die Gegenstände seiner Thätigkeit vor-

stellet.

XIV. Verſ. Ueber die Perfektibilitaͤt
welcher vorgeht, noch der andere, der ihm nachmacht,
ſolches wiſſe oder wolle. Dieſes innere ſympathetiſche
Band zwiſchen Menſchen und Menſchen iſt bey der
Ausbildung des Kindes, und in der Entwickelung ſeiner
Vermoͤgen, ſo maͤchtig, daß der Einfluß davon, ohner-
achtet er unter dem allgemeinen Einfluß der aͤußern Um-
ſtaͤnde begriffen iſt, beſonders als die Ausbildung
durch Beyſpiele
bemerket zu werden verdienet.

2) Die zwote Klaſſe der ausbildenden Urſachen
kann unter dem Namen der Erziehung begriffen wer-
den, wenn man damit uͤberhaupt alle gefliſſentlich zur
Ausbildung der menſchlichen Natur in der Jugend ver-
anſtaltete Einrichtungen bezeichnet. Sie iſt die phy-
ſiſche Erziehung,
inſoferne ihre Abſicht auf die Kraͤfte
des Koͤrpers, auf die mechaniſchen Kraͤfte, und auf
die thieriſchen Vollkommenheiten in den Werkzeugen
des Empfindens und der willkuͤrlichen Bewegung, ge-
richtet iſt, und inſoferne koͤrperliche Mittel hiezu ge-
braucht werden. Sie iſt die geiſtige, die morali-
ſche
und intellektuelle, inſoferne ſie unmittelbar die
Bildung der Seelennatur mittelſt der Vorſtellungen
zum Zweck hat. Sie iſt Anfuͤhrung, Unterricht.
Jenes, wenn der Menſch unter Umftaͤnde geſetzet wird,
die ihm zur Anwendung ſeiner Vermoͤgen Gelegenheit
geben, wenn dieſe Vermoͤgen alsdenn zur Thaͤtigkeit
mittelſt ſinnlicher Vorſtellungen gereizet werden, und
wenn man ihm alsdenn die Handlung vormacht. Sie
iſt Unterricht, Jnſtruktion, inſoferne man den
Weg uͤber den Verſtand nimmt und Kenntniſſe und
Regeln, die von der Ueberlegungskraft gefaßt werden,
beybringet. Sie wird aber naͤhere Anweiſung,
wenn Anfuͤhrung zur Ausuͤbung mit Unterricht verbun-
den wird. Sonſt faßt auch wohl die Anweiſung
uͤberhaupt nichts mehr in ſich, als daß man dem An-
zuweiſenden die Gegenſtaͤnde ſeiner Thaͤtigkeit vor-

ſtellet.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0614" n="584"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">XIV.</hi> Ver&#x017F;. Ueber die Perfektibilita&#x0364;t</hi></fw><lb/>
welcher vorgeht, noch der andere, der ihm nachmacht,<lb/>
&#x017F;olches wi&#x017F;&#x017F;e oder wolle. Die&#x017F;es innere &#x017F;ympatheti&#x017F;che<lb/>
Band zwi&#x017F;chen Men&#x017F;chen und Men&#x017F;chen i&#x017F;t bey der<lb/>
Ausbildung des Kindes, und in der Entwickelung &#x017F;einer<lb/>
Vermo&#x0364;gen, &#x017F;o ma&#x0364;chtig, daß der Einfluß davon, ohner-<lb/>
achtet er unter dem allgemeinen Einfluß der a&#x0364;ußern Um-<lb/>
&#x017F;ta&#x0364;nde begriffen i&#x017F;t, be&#x017F;onders als die <hi rendition="#fr">Ausbildung<lb/>
durch Bey&#x017F;piele</hi> bemerket zu werden verdienet.</p><lb/>
              <p>2) Die zwote Kla&#x017F;&#x017F;e der ausbildenden Ur&#x017F;achen<lb/>
kann unter dem Namen der <hi rendition="#fr">Erziehung</hi> begriffen wer-<lb/>
den, wenn man damit u&#x0364;berhaupt alle gefli&#x017F;&#x017F;entlich zur<lb/>
Ausbildung der men&#x017F;chlichen Natur in der Jugend ver-<lb/>
an&#x017F;taltete Einrichtungen bezeichnet. Sie i&#x017F;t die <hi rendition="#fr">phy-<lb/>
&#x017F;i&#x017F;che Erziehung,</hi> in&#x017F;oferne ihre Ab&#x017F;icht auf die Kra&#x0364;fte<lb/>
des Ko&#x0364;rpers, auf die mechani&#x017F;chen Kra&#x0364;fte, und auf<lb/>
die thieri&#x017F;chen Vollkommenheiten in den Werkzeugen<lb/>
des Empfindens und der willku&#x0364;rlichen Bewegung, ge-<lb/>
richtet i&#x017F;t, und in&#x017F;oferne ko&#x0364;rperliche Mittel hiezu ge-<lb/>
braucht werden. Sie i&#x017F;t die <hi rendition="#fr">gei&#x017F;tige,</hi> die <hi rendition="#fr">morali-<lb/>
&#x017F;che</hi> und <hi rendition="#fr">intellektuelle,</hi> in&#x017F;oferne &#x017F;ie unmittelbar die<lb/>
Bildung der Seelennatur mittel&#x017F;t der Vor&#x017F;tellungen<lb/>
zum Zweck hat. Sie i&#x017F;t <hi rendition="#fr">Anfu&#x0364;hrung, Unterricht.</hi><lb/>
Jenes, wenn der Men&#x017F;ch unter Umfta&#x0364;nde ge&#x017F;etzet wird,<lb/>
die ihm zur Anwendung &#x017F;einer Vermo&#x0364;gen Gelegenheit<lb/>
geben, wenn die&#x017F;e Vermo&#x0364;gen alsdenn zur Tha&#x0364;tigkeit<lb/>
mittel&#x017F;t &#x017F;innlicher Vor&#x017F;tellungen gereizet werden, und<lb/>
wenn man ihm alsdenn die Handlung vormacht. Sie<lb/>
i&#x017F;t <hi rendition="#fr">Unterricht, Jn&#x017F;truktion,</hi> in&#x017F;oferne man den<lb/>
Weg u&#x0364;ber den Ver&#x017F;tand nimmt und Kenntni&#x017F;&#x017F;e und<lb/>
Regeln, die von der Ueberlegungskraft gefaßt werden,<lb/>
beybringet. Sie wird aber <hi rendition="#fr">na&#x0364;here Anwei&#x017F;ung,</hi><lb/>
wenn Anfu&#x0364;hrung zur Ausu&#x0364;bung mit Unterricht verbun-<lb/>
den wird. Son&#x017F;t faßt auch wohl die <hi rendition="#fr">Anwei&#x017F;ung</hi><lb/>
u&#x0364;berhaupt nichts mehr in &#x017F;ich, als daß man dem An-<lb/>
zuwei&#x017F;enden die Gegen&#x017F;ta&#x0364;nde &#x017F;einer Tha&#x0364;tigkeit vor-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">&#x017F;tellet.</fw><lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[584/0614] XIV. Verſ. Ueber die Perfektibilitaͤt welcher vorgeht, noch der andere, der ihm nachmacht, ſolches wiſſe oder wolle. Dieſes innere ſympathetiſche Band zwiſchen Menſchen und Menſchen iſt bey der Ausbildung des Kindes, und in der Entwickelung ſeiner Vermoͤgen, ſo maͤchtig, daß der Einfluß davon, ohner- achtet er unter dem allgemeinen Einfluß der aͤußern Um- ſtaͤnde begriffen iſt, beſonders als die Ausbildung durch Beyſpiele bemerket zu werden verdienet. 2) Die zwote Klaſſe der ausbildenden Urſachen kann unter dem Namen der Erziehung begriffen wer- den, wenn man damit uͤberhaupt alle gefliſſentlich zur Ausbildung der menſchlichen Natur in der Jugend ver- anſtaltete Einrichtungen bezeichnet. Sie iſt die phy- ſiſche Erziehung, inſoferne ihre Abſicht auf die Kraͤfte des Koͤrpers, auf die mechaniſchen Kraͤfte, und auf die thieriſchen Vollkommenheiten in den Werkzeugen des Empfindens und der willkuͤrlichen Bewegung, ge- richtet iſt, und inſoferne koͤrperliche Mittel hiezu ge- braucht werden. Sie iſt die geiſtige, die morali- ſche und intellektuelle, inſoferne ſie unmittelbar die Bildung der Seelennatur mittelſt der Vorſtellungen zum Zweck hat. Sie iſt Anfuͤhrung, Unterricht. Jenes, wenn der Menſch unter Umftaͤnde geſetzet wird, die ihm zur Anwendung ſeiner Vermoͤgen Gelegenheit geben, wenn dieſe Vermoͤgen alsdenn zur Thaͤtigkeit mittelſt ſinnlicher Vorſtellungen gereizet werden, und wenn man ihm alsdenn die Handlung vormacht. Sie iſt Unterricht, Jnſtruktion, inſoferne man den Weg uͤber den Verſtand nimmt und Kenntniſſe und Regeln, die von der Ueberlegungskraft gefaßt werden, beybringet. Sie wird aber naͤhere Anweiſung, wenn Anfuͤhrung zur Ausuͤbung mit Unterricht verbun- den wird. Sonſt faßt auch wohl die Anweiſung uͤberhaupt nichts mehr in ſich, als daß man dem An- zuweiſenden die Gegenſtaͤnde ſeiner Thaͤtigkeit vor- ſtellet.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/614
Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 584. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/614>, abgerufen am 22.11.2024.