Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777.XIV. Vers. Ueber die Perfektibilität oft von einer ähnlichen Wirkung auf die nämliche Urfa-che geschlossen, und wiederum dieselbige Wirkung er- wartet, wo dieselbige Ursache vorhanden ist? da doch zu dem letztern noch ein Umstand mehr erfodert wird, nämlich daß auch dieselbige Ursache ohne Hinderniß in einem Falle sich äußern könne, wie in dem andern. Und nicht einmal zu sagen, daß so manches für Urfache und Wirkung angesehen wird, was bloß durch einen Zufall bey einander ist. Daraus entstehen alsdenn unrichtige Gemeinsätze, die man für Erfahrungssätze hält. Man hat in der Politik die Frage aufgeworfen, ob sie ihre Maximen aus dem Lauf der Welt hernehmen, oder sie auf vernünftige Einsicht gründen solle? Wer weder ein blinder Empiriker, noch ein romanhafter Projekt- macher seyn will, muß nothwendig zugleich sehen und überlegen, die Beobachtungen mit Vernunft prüfen, aus den geprüften Erfahrungen einfache Grundsätze ab- ziehen und so die Wirkungen jeder bildenden Ursache ein- zeln aus Erfahrungen bestimmen, und alsdenn ihre Stär- ke und Größe und ihre Beziehungen auf einander, wie ferne sie sich unterstützen und zurückhalten, befördern oder hindern, zu schätzen suchen; und wenn dieß gesche- hen ist, die Grundsätze wiederum auf die Beobachtun- gen anwenden. Wenn diese Vergleichung der allge- meinen Grundsätze und der einzelnen Fälle fortgesetzet wird, so kommt man auf den wahren Weg zu sichern Erfahrungserkenntnissen, das ist zu solchen, worinnen jedweder Gemeinsatz seine gehörigen Bestimmungen und seinen wahren Umfang hat. 2. Wenn nen Schluß auf ihren Nationalcharakter, und aus die-
sem wiederum auf ihre verschiedene Abstammungen zu machen, und insonderheit Gastfreyheit und Haß gegen Fremde für angeborne Unterschiede der Wilden anzusehen. XIV. Verſ. Ueber die Perfektibilitaͤt oft von einer aͤhnlichen Wirkung auf die naͤmliche Urfa-che geſchloſſen, und wiederum dieſelbige Wirkung er- wartet, wo dieſelbige Urſache vorhanden iſt? da doch zu dem letztern noch ein Umſtand mehr erfodert wird, naͤmlich daß auch dieſelbige Urſache ohne Hinderniß in einem Falle ſich aͤußern koͤnne, wie in dem andern. Und nicht einmal zu ſagen, daß ſo manches fuͤr Urfache und Wirkung angeſehen wird, was bloß durch einen Zufall bey einander iſt. Daraus entſtehen alsdenn unrichtige Gemeinſaͤtze, die man fuͤr Erfahrungsſaͤtze haͤlt. Man hat in der Politik die Frage aufgeworfen, ob ſie ihre Maximen aus dem Lauf der Welt hernehmen, oder ſie auf vernuͤnftige Einſicht gruͤnden ſolle? Wer weder ein blinder Empiriker, noch ein romanhafter Projekt- macher ſeyn will, muß nothwendig zugleich ſehen und uͤberlegen, die Beobachtungen mit Vernunft pruͤfen, aus den gepruͤften Erfahrungen einfache Grundſaͤtze ab- ziehen und ſo die Wirkungen jeder bildenden Urſache ein- zeln aus Erfahrungen beſtimmen, und alsdenn ihre Staͤr- ke und Groͤße und ihre Beziehungen auf einander, wie ferne ſie ſich unterſtuͤtzen und zuruͤckhalten, befoͤrdern oder hindern, zu ſchaͤtzen ſuchen; und wenn dieß geſche- hen iſt, die Grundſaͤtze wiederum auf die Beobachtun- gen anwenden. Wenn dieſe Vergleichung der allge- meinen Grundſaͤtze und der einzelnen Faͤlle fortgeſetzet wird, ſo kommt man auf den wahren Weg zu ſichern Erfahrungserkenntniſſen, das iſt zu ſolchen, worinnen jedweder Gemeinſatz ſeine gehoͤrigen Beſtimmungen und ſeinen wahren Umfang hat. 2. Wenn nen Schluß auf ihren Nationalcharakter, und aus die-
ſem wiederum auf ihre verſchiedene Abſtammungen zu machen, und inſonderheit Gaſtfreyheit und Haß gegen Fremde fuͤr angeborne Unterſchiede der Wilden anzuſehen. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0618" n="588"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">XIV.</hi> Verſ. Ueber die Perfektibilitaͤt</hi></fw><lb/> oft von einer aͤhnlichen Wirkung auf die naͤmliche Urfa-<lb/> che geſchloſſen, und wiederum dieſelbige Wirkung er-<lb/> wartet, wo dieſelbige Urſache vorhanden iſt? da doch<lb/> zu dem letztern noch ein Umſtand mehr erfodert wird,<lb/> naͤmlich daß auch dieſelbige Urſache ohne Hinderniß in<lb/> einem Falle ſich aͤußern koͤnne, wie in dem andern. Und<lb/> nicht einmal zu ſagen, daß ſo manches fuͤr Urfache und<lb/> Wirkung angeſehen wird, was bloß durch einen Zufall<lb/> bey einander iſt. Daraus entſtehen alsdenn unrichtige<lb/> Gemeinſaͤtze, die man fuͤr Erfahrungsſaͤtze haͤlt. Man<lb/> hat in der Politik die Frage aufgeworfen, ob ſie ihre<lb/> Maximen aus dem Lauf der Welt hernehmen, oder ſie<lb/> auf vernuͤnftige Einſicht gruͤnden ſolle? Wer weder<lb/> ein blinder Empiriker, noch ein romanhafter Projekt-<lb/> macher ſeyn will, muß nothwendig zugleich ſehen und<lb/> uͤberlegen, die Beobachtungen mit Vernunft pruͤfen,<lb/> aus den gepruͤften Erfahrungen einfache Grundſaͤtze ab-<lb/> ziehen und ſo die Wirkungen jeder bildenden Urſache ein-<lb/> zeln aus Erfahrungen beſtimmen, und alsdenn ihre Staͤr-<lb/> ke und Groͤße und ihre Beziehungen auf einander, wie<lb/> ferne ſie ſich unterſtuͤtzen und zuruͤckhalten, befoͤrdern<lb/> oder hindern, zu ſchaͤtzen ſuchen; und wenn dieß geſche-<lb/> hen iſt, die Grundſaͤtze wiederum auf die Beobachtun-<lb/> gen anwenden. Wenn dieſe Vergleichung der allge-<lb/> meinen Grundſaͤtze und der einzelnen Faͤlle fortgeſetzet<lb/> wird, ſo kommt man auf den wahren Weg zu <hi rendition="#fr">ſichern</hi><lb/> Erfahrungserkenntniſſen, das iſt zu ſolchen, worinnen<lb/> jedweder Gemeinſatz ſeine gehoͤrigen Beſtimmungen und<lb/> ſeinen wahren Umfang hat.</p><lb/> <fw place="bottom" type="catch">2. Wenn</fw><lb/> <p> <note xml:id="F4" prev="#F3" place="foot" n="*)">nen Schluß auf ihren Nationalcharakter, und aus die-<lb/> ſem wiederum auf ihre verſchiedene Abſtammungen zu<lb/> machen, und inſonderheit Gaſtfreyheit und Haß gegen<lb/> Fremde fuͤr angeborne Unterſchiede der Wilden anzuſehen.</note> </p> </div><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [588/0618]
XIV. Verſ. Ueber die Perfektibilitaͤt
oft von einer aͤhnlichen Wirkung auf die naͤmliche Urfa-
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wartet, wo dieſelbige Urſache vorhanden iſt? da doch
zu dem letztern noch ein Umſtand mehr erfodert wird,
naͤmlich daß auch dieſelbige Urſache ohne Hinderniß in
einem Falle ſich aͤußern koͤnne, wie in dem andern. Und
nicht einmal zu ſagen, daß ſo manches fuͤr Urfache und
Wirkung angeſehen wird, was bloß durch einen Zufall
bey einander iſt. Daraus entſtehen alsdenn unrichtige
Gemeinſaͤtze, die man fuͤr Erfahrungsſaͤtze haͤlt. Man
hat in der Politik die Frage aufgeworfen, ob ſie ihre
Maximen aus dem Lauf der Welt hernehmen, oder ſie
auf vernuͤnftige Einſicht gruͤnden ſolle? Wer weder
ein blinder Empiriker, noch ein romanhafter Projekt-
macher ſeyn will, muß nothwendig zugleich ſehen und
uͤberlegen, die Beobachtungen mit Vernunft pruͤfen,
aus den gepruͤften Erfahrungen einfache Grundſaͤtze ab-
ziehen und ſo die Wirkungen jeder bildenden Urſache ein-
zeln aus Erfahrungen beſtimmen, und alsdenn ihre Staͤr-
ke und Groͤße und ihre Beziehungen auf einander, wie
ferne ſie ſich unterſtuͤtzen und zuruͤckhalten, befoͤrdern
oder hindern, zu ſchaͤtzen ſuchen; und wenn dieß geſche-
hen iſt, die Grundſaͤtze wiederum auf die Beobachtun-
gen anwenden. Wenn dieſe Vergleichung der allge-
meinen Grundſaͤtze und der einzelnen Faͤlle fortgeſetzet
wird, ſo kommt man auf den wahren Weg zu ſichern
Erfahrungserkenntniſſen, das iſt zu ſolchen, worinnen
jedweder Gemeinſatz ſeine gehoͤrigen Beſtimmungen und
ſeinen wahren Umfang hat.
2. Wenn
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*) nen Schluß auf ihren Nationalcharakter, und aus die-
ſem wiederum auf ihre verſchiedene Abſtammungen zu
machen, und inſonderheit Gaſtfreyheit und Haß gegen
Fremde fuͤr angeborne Unterſchiede der Wilden anzuſehen.
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