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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777.

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und Entwickelung des Menschen.
Maß für ihre Wirksamkeit festsetzen, wenn man dieje-
nigen Naturen, die sich besonders auszeichnen, übergeht,
und nur den Eindruck, den sie auf den übrigen großen
Haufen der Menschen, auf das Volk und die Nation im
Ganzen, machen, in Betracht ziehet. Oder, wenn
auch hiezu die Beobachtungen nicht einmal hinreichen,
so kann doch vielleicht die verhältnißmäßige Stärke der
einen, in Vergleichung mit der andern, im Allgemeinen
angegeben werden; wie solches vorher bey der Verglei-
chung der Natur und der äußern Umstände zusammen
geschehen ist. Solche Sätze würden in der Philosophie
über die Menschheit Grundsätze seyn. Jch werde diese
Materie nur obenhin berühren. Das Klima hat für
sich einen ungezweifelten Einfluß auf den Körper, und
durch diesen auf die Seele, auf den Charakter, auf das
Genie. Die Lebensart und die Nahrungsmittel haben
den ihrigen. Die Regierungsform ist in mancher Hin-
sicht mächtiger, als jene. Aber in welcher und wie groß
ist das Uebergewicht im Durchschnitt? Anders wirkt
der Stand der Wildheit, anders der Stand der Bar-
barey, auf die Natur; anders die Verhältnisse in den
polizirten Staaten; auf eine andere Art die Freyheit,
auf eine andere die Sklaverey. Reichthum, Armuth,
Gewalt, Herrschaft, Schwäche, Unterwürfigkeit,
Dummheit und Aufklärung, der Regierstand, der Lehr-
der Wehr- und Nährstand u. s. f. Jeder dieser Um-
stände hat seinen eigenen Geist. Das, was von der
bloßen Nachahmung abhängt, mag hiebey eingeschlos-
sen oder abgesondert werden. Jeder Zustand ist ein ei-
genes Nahrungsmittel zur Ausbildung gewisser Seiten
und Vermögen der Natur, und bringet eine eigene Form
in ihr hervor. Es giebt kein Jndividuum, in dessen
Charakter nicht einige Züge seyn sollten, die von dem
ununterbrochenen und unvermerkten Einflusse des äußern
Zustandes abhangen. Ein höheres selbstthätiges Genie

kann
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und Entwickelung des Menſchen.
Maß fuͤr ihre Wirkſamkeit feſtſetzen, wenn man dieje-
nigen Naturen, die ſich beſonders auszeichnen, uͤbergeht,
und nur den Eindruck, den ſie auf den uͤbrigen großen
Haufen der Menſchen, auf das Volk und die Nation im
Ganzen, machen, in Betracht ziehet. Oder, wenn
auch hiezu die Beobachtungen nicht einmal hinreichen,
ſo kann doch vielleicht die verhaͤltnißmaͤßige Staͤrke der
einen, in Vergleichung mit der andern, im Allgemeinen
angegeben werden; wie ſolches vorher bey der Verglei-
chung der Natur und der aͤußern Umſtaͤnde zuſammen
geſchehen iſt. Solche Saͤtze wuͤrden in der Philoſophie
uͤber die Menſchheit Grundſaͤtze ſeyn. Jch werde dieſe
Materie nur obenhin beruͤhren. Das Klima hat fuͤr
ſich einen ungezweifelten Einfluß auf den Koͤrper, und
durch dieſen auf die Seele, auf den Charakter, auf das
Genie. Die Lebensart und die Nahrungsmittel haben
den ihrigen. Die Regierungsform iſt in mancher Hin-
ſicht maͤchtiger, als jene. Aber in welcher und wie groß
iſt das Uebergewicht im Durchſchnitt? Anders wirkt
der Stand der Wildheit, anders der Stand der Bar-
barey, auf die Natur; anders die Verhaͤltniſſe in den
polizirten Staaten; auf eine andere Art die Freyheit,
auf eine andere die Sklaverey. Reichthum, Armuth,
Gewalt, Herrſchaft, Schwaͤche, Unterwuͤrfigkeit,
Dummheit und Aufklaͤrung, der Regierſtand, der Lehr-
der Wehr- und Naͤhrſtand u. ſ. f. Jeder dieſer Um-
ſtaͤnde hat ſeinen eigenen Geiſt. Das, was von der
bloßen Nachahmung abhaͤngt, mag hiebey eingeſchloſ-
ſen oder abgeſondert werden. Jeder Zuſtand iſt ein ei-
genes Nahrungsmittel zur Ausbildung gewiſſer Seiten
und Vermoͤgen der Natur, und bringet eine eigene Form
in ihr hervor. Es giebt kein Jndividuum, in deſſen
Charakter nicht einige Zuͤge ſeyn ſollten, die von dem
ununterbrochenen und unvermerkten Einfluſſe des aͤußern
Zuſtandes abhangen. Ein hoͤheres ſelbſtthaͤtiges Genie

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[597/0627] und Entwickelung des Menſchen. Maß fuͤr ihre Wirkſamkeit feſtſetzen, wenn man dieje- nigen Naturen, die ſich beſonders auszeichnen, uͤbergeht, und nur den Eindruck, den ſie auf den uͤbrigen großen Haufen der Menſchen, auf das Volk und die Nation im Ganzen, machen, in Betracht ziehet. Oder, wenn auch hiezu die Beobachtungen nicht einmal hinreichen, ſo kann doch vielleicht die verhaͤltnißmaͤßige Staͤrke der einen, in Vergleichung mit der andern, im Allgemeinen angegeben werden; wie ſolches vorher bey der Verglei- chung der Natur und der aͤußern Umſtaͤnde zuſammen geſchehen iſt. Solche Saͤtze wuͤrden in der Philoſophie uͤber die Menſchheit Grundſaͤtze ſeyn. Jch werde dieſe Materie nur obenhin beruͤhren. Das Klima hat fuͤr ſich einen ungezweifelten Einfluß auf den Koͤrper, und durch dieſen auf die Seele, auf den Charakter, auf das Genie. Die Lebensart und die Nahrungsmittel haben den ihrigen. Die Regierungsform iſt in mancher Hin- ſicht maͤchtiger, als jene. Aber in welcher und wie groß iſt das Uebergewicht im Durchſchnitt? Anders wirkt der Stand der Wildheit, anders der Stand der Bar- barey, auf die Natur; anders die Verhaͤltniſſe in den polizirten Staaten; auf eine andere Art die Freyheit, auf eine andere die Sklaverey. Reichthum, Armuth, Gewalt, Herrſchaft, Schwaͤche, Unterwuͤrfigkeit, Dummheit und Aufklaͤrung, der Regierſtand, der Lehr- der Wehr- und Naͤhrſtand u. ſ. f. Jeder dieſer Um- ſtaͤnde hat ſeinen eigenen Geiſt. Das, was von der bloßen Nachahmung abhaͤngt, mag hiebey eingeſchloſ- ſen oder abgeſondert werden. Jeder Zuſtand iſt ein ei- genes Nahrungsmittel zur Ausbildung gewiſſer Seiten und Vermoͤgen der Natur, und bringet eine eigene Form in ihr hervor. Es giebt kein Jndividuum, in deſſen Charakter nicht einige Zuͤge ſeyn ſollten, die von dem ununterbrochenen und unvermerkten Einfluſſe des aͤußern Zuſtandes abhangen. Ein hoͤheres ſelbſtthaͤtiges Genie kann P p 3

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Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 597. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/627>, abgerufen am 22.11.2024.