sich, seiner vorzüglichen Erhöhung der Erkenntnißkraft wegen, auf die oberste Staffel der Menschen setzt. Wir mögen Stufenfolgen unter den Menschen annehmen, die durch die Größe der Menschheit charakterisirt| wer- den; aber jede Klasse behält doch etwas eigenes auch an Vollkommenheit. Die höhern fassen eine größere Summe von menschlichen Realitäten in sich. Nur keine hat alles Gute beysammen, was die niedrigern besitzen.
Welch ein Projekt würde es seyn, der innern Mensch- heit durch alle ihre abstechende äußere Zustände nachzu- gehen, und die Empfindungen, Geisteserhöhungen, Ge- müthsfähigkeiten und Willenskräfte aufzusuchen, die in jedem derselben vorzüglich entwickelt werden; und dann bey jeder das Unterscheidende in den Graden der Jntension, der Ausdehnung und Dauer der Vermö- gen, der leidentlichen und thätigen, und in ihren dar- aus entspringenden Beziehungen auf einander zu beob- achten. Die Zukunft kann vielleicht eine so reizende voll- ständige Geschichte der Menschheit erwarten, und eine Moral, die auf diese gegründet ist; wenn nicht etwan der jetzige Eifer in der Untersuchung des Menschen nach- lassen sollte. Wer steht dafür, daß nicht auch das Studium des Menschen das Schicksal der Modestudien haben werde? Der Verfasser des philosophischen Bauers und des philosophischen Kaufmanns hat zwar nicht die Absicht gehabt, den Geist dieser bei- den Stände, davon Cicero den erstern für die beste Schule der Weisheit, nächst dem Studium der Philo- sophie, erklärte, zu zeichnen; aber er hat sehr viele von den wichtigsten Grundzügen desselben scharf genug beob- achtet. So ein Unternehmen ist nicht leicht. Wer nicht, außer einem feinen Beobachtungsgeist, Menschen- kenntniß und philosophischen Scharfsinn besitzet, und in einer Lage ist, worinn ihm das Jnnere eines Standes
vor
XIV. Verſ. Ueber die Perfektibilitaͤt
ſich, ſeiner vorzuͤglichen Erhoͤhung der Erkenntnißkraft wegen, auf die oberſte Staffel der Menſchen ſetzt. Wir moͤgen Stufenfolgen unter den Menſchen annehmen, die durch die Groͤße der Menſchheit charakteriſirt| wer- den; aber jede Klaſſe behaͤlt doch etwas eigenes auch an Vollkommenheit. Die hoͤhern faſſen eine groͤßere Summe von menſchlichen Realitaͤten in ſich. Nur keine hat alles Gute beyſammen, was die niedrigern beſitzen.
Welch ein Projekt wuͤrde es ſeyn, der innern Menſch- heit durch alle ihre abſtechende aͤußere Zuſtaͤnde nachzu- gehen, und die Empfindungen, Geiſteserhoͤhungen, Ge- muͤthsfaͤhigkeiten und Willenskraͤfte aufzuſuchen, die in jedem derſelben vorzuͤglich entwickelt werden; und dann bey jeder das Unterſcheidende in den Graden der Jntenſion, der Ausdehnung und Dauer der Vermoͤ- gen, der leidentlichen und thaͤtigen, und in ihren dar- aus entſpringenden Beziehungen auf einander zu beob- achten. Die Zukunft kann vielleicht eine ſo reizende voll- ſtaͤndige Geſchichte der Menſchheit erwarten, und eine Moral, die auf dieſe gegruͤndet iſt; wenn nicht etwan der jetzige Eifer in der Unterſuchung des Menſchen nach- laſſen ſollte. Wer ſteht dafuͤr, daß nicht auch das Studium des Menſchen das Schickſal der Modeſtudien haben werde? Der Verfaſſer des philoſophiſchen Bauers und des philoſophiſchen Kaufmanns hat zwar nicht die Abſicht gehabt, den Geiſt dieſer bei- den Staͤnde, davon Cicero den erſtern fuͤr die beſte Schule der Weisheit, naͤchſt dem Studium der Philo- ſophie, erklaͤrte, zu zeichnen; aber er hat ſehr viele von den wichtigſten Grundzuͤgen deſſelben ſcharf genug beob- achtet. So ein Unternehmen iſt nicht leicht. Wer nicht, außer einem feinen Beobachtungsgeiſt, Menſchen- kenntniß und philoſophiſchen Scharfſinn beſitzet, und in einer Lage iſt, worinn ihm das Jnnere eines Standes
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XIV. Verſ. Ueber die Perfektibilitaͤt
ſich, ſeiner vorzuͤglichen Erhoͤhung der Erkenntnißkraft
wegen, auf die oberſte Staffel der Menſchen ſetzt. Wir
moͤgen Stufenfolgen unter den Menſchen annehmen,
die durch die Groͤße der Menſchheit charakteriſirt| wer-
den; aber jede Klaſſe behaͤlt doch etwas eigenes auch an
Vollkommenheit. Die hoͤhern faſſen eine groͤßere
Summe von menſchlichen Realitaͤten in ſich. Nur
keine hat alles Gute beyſammen, was die niedrigern
beſitzen.
Welch ein Projekt wuͤrde es ſeyn, der innern Menſch-
heit durch alle ihre abſtechende aͤußere Zuſtaͤnde nachzu-
gehen, und die Empfindungen, Geiſteserhoͤhungen, Ge-
muͤthsfaͤhigkeiten und Willenskraͤfte aufzuſuchen, die
in jedem derſelben vorzuͤglich entwickelt werden; und
dann bey jeder das Unterſcheidende in den Graden der
Jntenſion, der Ausdehnung und Dauer der Vermoͤ-
gen, der leidentlichen und thaͤtigen, und in ihren dar-
aus entſpringenden Beziehungen auf einander zu beob-
achten. Die Zukunft kann vielleicht eine ſo reizende voll-
ſtaͤndige Geſchichte der Menſchheit erwarten, und eine
Moral, die auf dieſe gegruͤndet iſt; wenn nicht etwan
der jetzige Eifer in der Unterſuchung des Menſchen nach-
laſſen ſollte. Wer ſteht dafuͤr, daß nicht auch das
Studium des Menſchen das Schickſal der Modeſtudien
haben werde? Der Verfaſſer des philoſophiſchen
Bauers und des philoſophiſchen Kaufmanns
hat zwar nicht die Abſicht gehabt, den Geiſt dieſer bei-
den Staͤnde, davon Cicero den erſtern fuͤr die beſte
Schule der Weisheit, naͤchſt dem Studium der Philo-
ſophie, erklaͤrte, zu zeichnen; aber er hat ſehr viele von
den wichtigſten Grundzuͤgen deſſelben ſcharf genug beob-
achtet. So ein Unternehmen iſt nicht leicht. Wer
nicht, außer einem feinen Beobachtungsgeiſt, Menſchen-
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 600. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/630>, abgerufen am 22.11.2024.
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