der Gesellschaft unbestehbar sind, aufzuhalten. Denn wenn sie stärker wird als diese Absicht erfodert, so un- terdrückt sie die Kraft und den Muth der Natur. Wei- ter bessert sie auch nicht; denn sie erreget keine Lust zur Thätigkeit. Alsdenn muß das sinnliche Vergnügen gebraucht werden, um die Kräfte zu reizen, das ist, man muß den Menschen mit mehrern und feinern Ar- ten der Vergnügungen bekannt machen, als sein bloß thierischer Jnstinkt vorher aussuchte. Man gewöhne den in Respekt gesetzten Wilden an die Ergözungen der Musik. Man lehre ihn mehrere Mannichfaltigkeit in dem Geschmack an Speisen. Besonders suche man ihn auf die Schönheiten der Malerey aufmerksam zu ma- chen. Und warum sollte der Sinn des Geruchs zu- rückbleiben? Diese neuen Empfindungen werden neue Bedürfnisse, und diese neue Begierden, hervorbringen. Dadurch wird die Phantasie an mehrern Seiten gerei- zet, und also zertheilt. Alsdenn kann eine Begierde gebraucht werden, um die andere im Zaum zu halten.
Hiedurch wird der Mensch nun freylich noch nichts mehr, als ein etwas feineres sinnliches Wesen. Soll er von dieser Stufe, welche die zwote ist, von der ersten rohen Wildheit an weiter zu der höhern, zur Freyheit und Vernunft, gebracht werden, so sind Maßregeln er- fo derlich, die man auf folgende reduciren kann. Den heftigen Leidenschaften müssen äußere Hindernisse ent- gegengesetzt werden, die sie aufhalten, wenn sie in Be- wegung sind, und die Veranlassungen sie zu reizen ent- zogen werden. Dann muß die Leidenschaft in mehrere einfache zertheilet werden, dadurch daß man ihre Gegen- stände vervielfältiget. Jndem dieß geschieht, gewinnt die Ueberlegungskraft Zeit dazwischen zu kommen, und sich bey den lenksamer gewordenen Trieben selbstthätig zu beschäftigen. Hiezu kommt der Unterricht, durch den man unmittelbar auf die Ueberlegungskraft wirket, sie
reizet,
XIV. Verſ. Ueber die Perfektibilitaͤt
der Geſellſchaft unbeſtehbar ſind, aufzuhalten. Denn wenn ſie ſtaͤrker wird als dieſe Abſicht erfodert, ſo un- terdruͤckt ſie die Kraft und den Muth der Natur. Wei- ter beſſert ſie auch nicht; denn ſie erreget keine Luſt zur Thaͤtigkeit. Alsdenn muß das ſinnliche Vergnuͤgen gebraucht werden, um die Kraͤfte zu reizen, das iſt, man muß den Menſchen mit mehrern und feinern Ar- ten der Vergnuͤgungen bekannt machen, als ſein bloß thieriſcher Jnſtinkt vorher ausſuchte. Man gewoͤhne den in Reſpekt geſetzten Wilden an die Ergoͤzungen der Muſik. Man lehre ihn mehrere Mannichfaltigkeit in dem Geſchmack an Speiſen. Beſonders ſuche man ihn auf die Schoͤnheiten der Malerey aufmerkſam zu ma- chen. Und warum ſollte der Sinn des Geruchs zu- ruͤckbleiben? Dieſe neuen Empfindungen werden neue Beduͤrfniſſe, und dieſe neue Begierden, hervorbringen. Dadurch wird die Phantaſie an mehrern Seiten gerei- zet, und alſo zertheilt. Alsdenn kann eine Begierde gebraucht werden, um die andere im Zaum zu halten.
Hiedurch wird der Menſch nun freylich noch nichts mehr, als ein etwas feineres ſinnliches Weſen. Soll er von dieſer Stufe, welche die zwote iſt, von der erſten rohen Wildheit an weiter zu der hoͤhern, zur Freyheit und Vernunft, gebracht werden, ſo ſind Maßregeln er- fo derlich, die man auf folgende reduciren kann. Den heftigen Leidenſchaften muͤſſen aͤußere Hinderniſſe ent- gegengeſetzt werden, die ſie aufhalten, wenn ſie in Be- wegung ſind, und die Veranlaſſungen ſie zu reizen ent- zogen werden. Dann muß die Leidenſchaft in mehrere einfache zertheilet werden, dadurch daß man ihre Gegen- ſtaͤnde vervielfaͤltiget. Jndem dieß geſchieht, gewinnt die Ueberlegungskraft Zeit dazwiſchen zu kommen, und ſich bey den lenkſamer gewordenen Trieben ſelbſtthaͤtig zu beſchaͤftigen. Hiezu kommt der Unterricht, durch den man unmittelbar auf die Ueberlegungskraft wirket, ſie
reizet,
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><p><pbfacs="#f0648"n="618"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b"><hirendition="#aq">XIV.</hi> Verſ. Ueber die Perfektibilitaͤt</hi></fw><lb/>
der Geſellſchaft unbeſtehbar ſind, aufzuhalten. Denn<lb/>
wenn ſie ſtaͤrker wird als dieſe Abſicht erfodert, ſo un-<lb/>
terdruͤckt ſie die Kraft und den Muth der Natur. Wei-<lb/>
ter beſſert ſie auch nicht; denn ſie erreget keine Luſt zur<lb/>
Thaͤtigkeit. Alsdenn muß das ſinnliche Vergnuͤgen<lb/>
gebraucht werden, um die Kraͤfte zu reizen, das iſt,<lb/>
man muß den Menſchen mit mehrern und feinern Ar-<lb/>
ten der Vergnuͤgungen bekannt machen, als ſein bloß<lb/>
thieriſcher Jnſtinkt vorher ausſuchte. Man gewoͤhne<lb/>
den in Reſpekt geſetzten Wilden an die Ergoͤzungen der<lb/>
Muſik. Man lehre ihn mehrere Mannichfaltigkeit in<lb/>
dem Geſchmack an Speiſen. Beſonders ſuche man ihn<lb/>
auf die Schoͤnheiten der Malerey aufmerkſam zu ma-<lb/>
chen. Und warum ſollte der Sinn des Geruchs zu-<lb/>
ruͤckbleiben? Dieſe neuen Empfindungen werden neue<lb/>
Beduͤrfniſſe, und dieſe neue Begierden, hervorbringen.<lb/>
Dadurch wird die Phantaſie an mehrern Seiten gerei-<lb/>
zet, und alſo zertheilt. Alsdenn kann eine Begierde<lb/>
gebraucht werden, um die andere im Zaum zu halten.</p><lb/><p>Hiedurch wird der Menſch nun freylich noch nichts<lb/>
mehr, als ein etwas feineres ſinnliches Weſen. Soll<lb/>
er von dieſer Stufe, welche die zwote iſt, von der erſten<lb/>
rohen Wildheit an weiter zu der hoͤhern, zur Freyheit<lb/>
und Vernunft, gebracht werden, ſo ſind Maßregeln er-<lb/>
fo derlich, die man auf folgende reduciren kann. Den<lb/>
heftigen Leidenſchaften muͤſſen aͤußere Hinderniſſe ent-<lb/>
gegengeſetzt werden, die ſie aufhalten, wenn ſie in Be-<lb/>
wegung ſind, und die Veranlaſſungen ſie zu reizen ent-<lb/>
zogen werden. Dann muß die Leidenſchaft in mehrere<lb/>
einfache zertheilet werden, dadurch daß man ihre Gegen-<lb/>ſtaͤnde vervielfaͤltiget. Jndem dieß geſchieht, gewinnt<lb/>
die Ueberlegungskraft Zeit dazwiſchen zu kommen, und<lb/>ſich bey den lenkſamer gewordenen Trieben ſelbſtthaͤtig<lb/>
zu beſchaͤftigen. Hiezu kommt der Unterricht, durch den<lb/>
man unmittelbar auf die Ueberlegungskraft wirket, ſie<lb/><fwplace="bottom"type="catch">reizet,</fw><lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[618/0648]
XIV. Verſ. Ueber die Perfektibilitaͤt
der Geſellſchaft unbeſtehbar ſind, aufzuhalten. Denn
wenn ſie ſtaͤrker wird als dieſe Abſicht erfodert, ſo un-
terdruͤckt ſie die Kraft und den Muth der Natur. Wei-
ter beſſert ſie auch nicht; denn ſie erreget keine Luſt zur
Thaͤtigkeit. Alsdenn muß das ſinnliche Vergnuͤgen
gebraucht werden, um die Kraͤfte zu reizen, das iſt,
man muß den Menſchen mit mehrern und feinern Ar-
ten der Vergnuͤgungen bekannt machen, als ſein bloß
thieriſcher Jnſtinkt vorher ausſuchte. Man gewoͤhne
den in Reſpekt geſetzten Wilden an die Ergoͤzungen der
Muſik. Man lehre ihn mehrere Mannichfaltigkeit in
dem Geſchmack an Speiſen. Beſonders ſuche man ihn
auf die Schoͤnheiten der Malerey aufmerkſam zu ma-
chen. Und warum ſollte der Sinn des Geruchs zu-
ruͤckbleiben? Dieſe neuen Empfindungen werden neue
Beduͤrfniſſe, und dieſe neue Begierden, hervorbringen.
Dadurch wird die Phantaſie an mehrern Seiten gerei-
zet, und alſo zertheilt. Alsdenn kann eine Begierde
gebraucht werden, um die andere im Zaum zu halten.
Hiedurch wird der Menſch nun freylich noch nichts
mehr, als ein etwas feineres ſinnliches Weſen. Soll
er von dieſer Stufe, welche die zwote iſt, von der erſten
rohen Wildheit an weiter zu der hoͤhern, zur Freyheit
und Vernunft, gebracht werden, ſo ſind Maßregeln er-
fo derlich, die man auf folgende reduciren kann. Den
heftigen Leidenſchaften muͤſſen aͤußere Hinderniſſe ent-
gegengeſetzt werden, die ſie aufhalten, wenn ſie in Be-
wegung ſind, und die Veranlaſſungen ſie zu reizen ent-
zogen werden. Dann muß die Leidenſchaft in mehrere
einfache zertheilet werden, dadurch daß man ihre Gegen-
ſtaͤnde vervielfaͤltiget. Jndem dieß geſchieht, gewinnt
die Ueberlegungskraft Zeit dazwiſchen zu kommen, und
ſich bey den lenkſamer gewordenen Trieben ſelbſtthaͤtig
zu beſchaͤftigen. Hiezu kommt der Unterricht, durch den
man unmittelbar auf die Ueberlegungskraft wirket, ſie
reizet,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 618. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/648>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.