sie das Vermögen anders zu handeln ungekränkt, schwächet es nicht, und bindet es nicht. Jn solchen Fällen haben wir, wie die Erfahrung lehret, uns alle- mal in unserer Gewalt. Und nach deutlichen Vor- stellungen, mit vollem Bewußtseyn dessen, was wir thun, handeln, und durch nichts als durch diese deutli- che Jdeen bestimmt werden, ist so viel, als so handeln, daß wir uns in unserer Gewalt haben und frey han- deln.
Es giebt zwar eine Nothwendigkeit in unsern Handlungen, die in der Vernunft ihren Grund hat, und eine wahre physische Nothwendigkeit ist, aber dem Erfahrungssatze, den ich oben vorher angezeigt habe, nicht entgegen stehet. Man pflegt sie wohl eine moralische Nothwendigkeit zu nennen. Diesen Namen kann sie haben von einer Seite betrachtet, nur nicht in derjenigen Bedeutung, in der das Moralisch- nothwendige so viel ist, als das Gesetz- und Pflicht- mäßige, das billig nicht nothwendig heißen sollte, da die Rechtmäßigkeit der Handlung für sich allein nie- mals die Selbstmacht der Seele über sich aufhebet, und mit dieser nichts zu thun hat. Jene physische Noth- wendigkeit zeiget sich in folgenden Beyspielen. Es ist mir, wenn ich wache, und mich besinnen kann, unmög- lich, meine Hand willkührlich an dem Feuer verbren- nen zu lassen, so unmöglich als es dem Reisenden über die Alpen ist, der seine Vernunft besitzet, sich von dem Fuß- steige hinab in die Abgründe zu stürzen. Solche auf- fallende Unsinnigkeiten kann der mit Ueberlegungskraft begabte Mensch nicht vornehmen, als nur im Stande der Vernunftlosigkeit, bey den allerheftigsten Leiden- schaften, welche die Reflexion unterdrücken. Eine Lei- denschaft brachte den Römer Metius, bringet die Fackyers und andere Fanatiker, zu Tollheiten. Aber wo diese Ursachen fehlen, da fehlet nicht bloß ihre Wir-
kung,
C 2
und Freyheit.
ſie das Vermoͤgen anders zu handeln ungekraͤnkt, ſchwaͤchet es nicht, und bindet es nicht. Jn ſolchen Faͤllen haben wir, wie die Erfahrung lehret, uns alle- mal in unſerer Gewalt. Und nach deutlichen Vor- ſtellungen, mit vollem Bewußtſeyn deſſen, was wir thun, handeln, und durch nichts als durch dieſe deutli- che Jdeen beſtimmt werden, iſt ſo viel, als ſo handeln, daß wir uns in unſerer Gewalt haben und frey han- deln.
Es giebt zwar eine Nothwendigkeit in unſern Handlungen, die in der Vernunft ihren Grund hat, und eine wahre phyſiſche Nothwendigkeit iſt, aber dem Erfahrungsſatze, den ich oben vorher angezeigt habe, nicht entgegen ſtehet. Man pflegt ſie wohl eine moraliſche Nothwendigkeit zu nennen. Dieſen Namen kann ſie haben von einer Seite betrachtet, nur nicht in derjenigen Bedeutung, in der das Moraliſch- nothwendige ſo viel iſt, als das Geſetz- und Pflicht- maͤßige, das billig nicht nothwendig heißen ſollte, da die Rechtmaͤßigkeit der Handlung fuͤr ſich allein nie- mals die Selbſtmacht der Seele uͤber ſich aufhebet, und mit dieſer nichts zu thun hat. Jene phyſiſche Noth- wendigkeit zeiget ſich in folgenden Beyſpielen. Es iſt mir, wenn ich wache, und mich beſinnen kann, unmoͤg- lich, meine Hand willkuͤhrlich an dem Feuer verbren- nen zu laſſen, ſo unmoͤglich als es dem Reiſenden uͤber die Alpen iſt, der ſeine Vernunft beſitzet, ſich von dem Fuß- ſteige hinab in die Abgruͤnde zu ſtuͤrzen. Solche auf- fallende Unſinnigkeiten kann der mit Ueberlegungskraft begabte Menſch nicht vornehmen, als nur im Stande der Vernunftloſigkeit, bey den allerheftigſten Leiden- ſchaften, welche die Reflexion unterdruͤcken. Eine Lei- denſchaft brachte den Roͤmer Metius, bringet die Fackyers und andere Fanatiker, zu Tollheiten. Aber wo dieſe Urſachen fehlen, da fehlet nicht bloß ihre Wir-
kung,
C 2
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0065"n="35"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">und Freyheit.</hi></fw><lb/>ſie das Vermoͤgen anders zu handeln ungekraͤnkt,<lb/>ſchwaͤchet es nicht, und bindet es nicht. Jn ſolchen<lb/>
Faͤllen haben wir, wie die Erfahrung lehret, uns alle-<lb/>
mal in unſerer Gewalt. Und nach <hirendition="#fr">deutlichen</hi> Vor-<lb/>ſtellungen, mit vollem Bewußtſeyn deſſen, was wir<lb/>
thun, handeln, und durch nichts als durch dieſe deutli-<lb/>
che Jdeen beſtimmt werden, iſt ſo viel, als ſo handeln,<lb/>
daß wir uns in unſerer Gewalt haben und frey han-<lb/>
deln.</p><lb/><p>Es giebt zwar eine <hirendition="#fr">Nothwendigkeit</hi> in unſern<lb/>
Handlungen, die in der <hirendition="#fr">Vernunft</hi> ihren Grund hat,<lb/>
und eine wahre <hirendition="#fr">phyſiſche Nothwendigkeit</hi> iſt, aber<lb/>
dem Erfahrungsſatze, den ich oben vorher angezeigt<lb/>
habe, nicht entgegen ſtehet. Man pflegt ſie wohl eine<lb/><hirendition="#fr">moraliſche Nothwendigkeit</hi> zu nennen. Dieſen<lb/>
Namen kann ſie haben von einer Seite betrachtet, nur<lb/>
nicht in derjenigen Bedeutung, in der das <hirendition="#fr">Moraliſch-<lb/>
nothwendige</hi>ſo viel iſt, als das <hirendition="#fr">Geſetz-</hi> und <hirendition="#fr">Pflicht-<lb/>
maͤßige,</hi> das billig nicht <hirendition="#fr">nothwendig</hi> heißen ſollte,<lb/>
da die Rechtmaͤßigkeit der Handlung fuͤr ſich allein nie-<lb/>
mals die Selbſtmacht der Seele uͤber ſich aufhebet, und<lb/>
mit dieſer nichts zu thun hat. Jene phyſiſche Noth-<lb/>
wendigkeit zeiget ſich in folgenden Beyſpielen. Es iſt<lb/>
mir, wenn ich wache, und mich beſinnen kann, unmoͤg-<lb/>
lich, meine Hand willkuͤhrlich an dem Feuer verbren-<lb/>
nen zu laſſen, ſo unmoͤglich als es dem Reiſenden uͤber die<lb/>
Alpen iſt, der ſeine Vernunft beſitzet, ſich von dem Fuß-<lb/>ſteige hinab in die Abgruͤnde zu ſtuͤrzen. Solche auf-<lb/>
fallende Unſinnigkeiten kann der mit Ueberlegungskraft<lb/>
begabte Menſch nicht vornehmen, als nur im Stande<lb/>
der Vernunftloſigkeit, bey den allerheftigſten Leiden-<lb/>ſchaften, welche die Reflexion unterdruͤcken. Eine Lei-<lb/>
denſchaft brachte den Roͤmer Metius, bringet die<lb/>
Fackyers und andere Fanatiker, zu Tollheiten. Aber<lb/>
wo dieſe Urſachen fehlen, da fehlet nicht bloß ihre Wir-<lb/><fwplace="bottom"type="sig">C 2</fw><fwplace="bottom"type="catch">kung,</fw><lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[35/0065]
und Freyheit.
ſie das Vermoͤgen anders zu handeln ungekraͤnkt,
ſchwaͤchet es nicht, und bindet es nicht. Jn ſolchen
Faͤllen haben wir, wie die Erfahrung lehret, uns alle-
mal in unſerer Gewalt. Und nach deutlichen Vor-
ſtellungen, mit vollem Bewußtſeyn deſſen, was wir
thun, handeln, und durch nichts als durch dieſe deutli-
che Jdeen beſtimmt werden, iſt ſo viel, als ſo handeln,
daß wir uns in unſerer Gewalt haben und frey han-
deln.
Es giebt zwar eine Nothwendigkeit in unſern
Handlungen, die in der Vernunft ihren Grund hat,
und eine wahre phyſiſche Nothwendigkeit iſt, aber
dem Erfahrungsſatze, den ich oben vorher angezeigt
habe, nicht entgegen ſtehet. Man pflegt ſie wohl eine
moraliſche Nothwendigkeit zu nennen. Dieſen
Namen kann ſie haben von einer Seite betrachtet, nur
nicht in derjenigen Bedeutung, in der das Moraliſch-
nothwendige ſo viel iſt, als das Geſetz- und Pflicht-
maͤßige, das billig nicht nothwendig heißen ſollte,
da die Rechtmaͤßigkeit der Handlung fuͤr ſich allein nie-
mals die Selbſtmacht der Seele uͤber ſich aufhebet, und
mit dieſer nichts zu thun hat. Jene phyſiſche Noth-
wendigkeit zeiget ſich in folgenden Beyſpielen. Es iſt
mir, wenn ich wache, und mich beſinnen kann, unmoͤg-
lich, meine Hand willkuͤhrlich an dem Feuer verbren-
nen zu laſſen, ſo unmoͤglich als es dem Reiſenden uͤber die
Alpen iſt, der ſeine Vernunft beſitzet, ſich von dem Fuß-
ſteige hinab in die Abgruͤnde zu ſtuͤrzen. Solche auf-
fallende Unſinnigkeiten kann der mit Ueberlegungskraft
begabte Menſch nicht vornehmen, als nur im Stande
der Vernunftloſigkeit, bey den allerheftigſten Leiden-
ſchaften, welche die Reflexion unterdruͤcken. Eine Lei-
denſchaft brachte den Roͤmer Metius, bringet die
Fackyers und andere Fanatiker, zu Tollheiten. Aber
wo dieſe Urſachen fehlen, da fehlet nicht bloß ihre Wir-
kung,
C 2
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 35. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/65>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.