VII. Von dem zureichenden Grunde, den freye Hand- lungen haben.
Ehe man aber weiter geht, ist es nöthig auf den Er- fahrungssatz zurückzusehen, den die Jndetermini- sten eben so vergeblich einzuschränken und wegzuraison- niren sich bemühen, weil er sich mit ihrer Jdee von der Freyheit nicht verträgt, als ihre Gegner das wahre Ge- fühl von Freyheit; daß nämlich jedwede, auch die al- lerfreyeste Handlung, die möglich ist, theils in der Seele, welche sich bestimmt und handelt, theils in den äußern indwiduellen Beziehungen auf das Objekt der Aktion, theils in der Beschaffenheit des Objekts selbst, ihren völlig zureichenden, oder wenn man will, bestim- menden Grund habe, das ist, einen Grund, warum sie unternommen wird, und warum sie auf diese, und auf keine andere Art unternommen wird. Die Erfah- rung ist hier eben so deutlich und entscheidend, als sie es in Hinsicht der Freyheit selbst ist. Jn unzähligen Fällen erkennen wir den Zustand, der unmittelbar vor der Bestimmung der Kraft vorhergeht, so weit, daß wir es deutlich sehen, daß ein solcher hinreichender Grund vorhanden ist. Und dieß offenbaret sich am meisten da, wo wir mit der völligsten Besinnung han- deln, und unsere Aktion so völlig frey ist, als sie es seyn kann. Noch sind die Jndeterministen es schuldig, ir- gend eine einzige vollständige Beobachtung beyzubrin- gen, die hievon eine Ausnahme mache. Denn in al- len solchen Fällen, die dem ersten Anscheine nach viel- leicht angeführt werden möchten, und auch wohl von einigen als Beyspiele gebraucht sind, ist es bis zur Evi- denz gewiß, daß uns die individuellen Umstände lange nicht alle bekannt sind, und daß also auch bloße Unwis- senheit den Theil der zureichenden Ursache, den wir
vermis-
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und Freyheit.
VII. Von dem zureichenden Grunde, den freye Hand- lungen haben.
Ehe man aber weiter geht, iſt es noͤthig auf den Er- fahrungsſatz zuruͤckzuſehen, den die Jndetermini- ſten eben ſo vergeblich einzuſchraͤnken und wegzuraiſon- niren ſich bemuͤhen, weil er ſich mit ihrer Jdee von der Freyheit nicht vertraͤgt, als ihre Gegner das wahre Ge- fuͤhl von Freyheit; daß naͤmlich jedwede, auch die al- lerfreyeſte Handlung, die moͤglich iſt, theils in der Seele, welche ſich beſtimmt und handelt, theils in den aͤußern indwiduellen Beziehungen auf das Objekt der Aktion, theils in der Beſchaffenheit des Objekts ſelbſt, ihren voͤllig zureichenden, oder wenn man will, beſtim- menden Grund habe, das iſt, einen Grund, warum ſie unternommen wird, und warum ſie auf dieſe, und auf keine andere Art unternommen wird. Die Erfah- rung iſt hier eben ſo deutlich und entſcheidend, als ſie es in Hinſicht der Freyheit ſelbſt iſt. Jn unzaͤhligen Faͤllen erkennen wir den Zuſtand, der unmittelbar vor der Beſtimmung der Kraft vorhergeht, ſo weit, daß wir es deutlich ſehen, daß ein ſolcher hinreichender Grund vorhanden iſt. Und dieß offenbaret ſich am meiſten da, wo wir mit der voͤlligſten Beſinnung han- deln, und unſere Aktion ſo voͤllig frey iſt, als ſie es ſeyn kann. Noch ſind die Jndeterminiſten es ſchuldig, ir- gend eine einzige vollſtaͤndige Beobachtung beyzubrin- gen, die hievon eine Ausnahme mache. Denn in al- len ſolchen Faͤllen, die dem erſten Anſcheine nach viel- leicht angefuͤhrt werden moͤchten, und auch wohl von einigen als Beyſpiele gebraucht ſind, iſt es bis zur Evi- denz gewiß, daß uns die individuellen Umſtaͤnde lange nicht alle bekannt ſind, und daß alſo auch bloße Unwiſ- ſenheit den Theil der zureichenden Urſache, den wir
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und Freyheit.
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Von dem zureichenden Grunde, den freye Hand-
lungen haben.
Ehe man aber weiter geht, iſt es noͤthig auf den Er-
fahrungsſatz zuruͤckzuſehen, den die Jndetermini-
ſten eben ſo vergeblich einzuſchraͤnken und wegzuraiſon-
niren ſich bemuͤhen, weil er ſich mit ihrer Jdee von der
Freyheit nicht vertraͤgt, als ihre Gegner das wahre Ge-
fuͤhl von Freyheit; daß naͤmlich jedwede, auch die al-
lerfreyeſte Handlung, die moͤglich iſt, theils in der Seele,
welche ſich beſtimmt und handelt, theils in den aͤußern
indwiduellen Beziehungen auf das Objekt der Aktion,
theils in der Beſchaffenheit des Objekts ſelbſt, ihren
voͤllig zureichenden, oder wenn man will, beſtim-
menden Grund habe, das iſt, einen Grund, warum
ſie unternommen wird, und warum ſie auf dieſe, und
auf keine andere Art unternommen wird. Die Erfah-
rung iſt hier eben ſo deutlich und entſcheidend, als ſie
es in Hinſicht der Freyheit ſelbſt iſt. Jn unzaͤhligen
Faͤllen erkennen wir den Zuſtand, der unmittelbar vor
der Beſtimmung der Kraft vorhergeht, ſo weit, daß
wir es deutlich ſehen, daß ein ſolcher hinreichender
Grund vorhanden iſt. Und dieß offenbaret ſich am
meiſten da, wo wir mit der voͤlligſten Beſinnung han-
deln, und unſere Aktion ſo voͤllig frey iſt, als ſie es ſeyn
kann. Noch ſind die Jndeterminiſten es ſchuldig, ir-
gend eine einzige vollſtaͤndige Beobachtung beyzubrin-
gen, die hievon eine Ausnahme mache. Denn in al-
len ſolchen Faͤllen, die dem erſten Anſcheine nach viel-
leicht angefuͤhrt werden moͤchten, und auch wohl von
einigen als Beyſpiele gebraucht ſind, iſt es bis zur Evi-
denz gewiß, daß uns die individuellen Umſtaͤnde lange
nicht alle bekannt ſind, und daß alſo auch bloße Unwiſ-
ſenheit den Theil der zureichenden Urſache, den wir
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 41. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/71>, abgerufen am 21.11.2024.
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