daß, so viel die Vermögen in der Seele betrift die Ak- tionen sich vorzustellen, sich dazu zu bestimmen, inner- lich diese Vorstellungen zur Empfindung zu erheben, die Sinnglieder zu lenken und auf die Eindrücke von aus- sen aufmerksam zu seyn, solche noch in ihrer völligen er- worbenen Stärke bestehen müssen; wenigstens so viel sich aus dem innern Gefühl erkennen läßt. Und daraus folgt ferner, daß die Seelenvermögen, die zu den Kunst- sertigkeiten des Körpers gehören, nicht nur noch einige Zeit ungeschwächt bleiben können, wenn schon die Or- gane ihre vorigen Dienste versagen, sondern noch wohl gar im Anfang etwas zunehmen, weil sie gereizet wer- den mit einer größern Jntension zu wirken, um das zu ersetzen, was von der Seite des Körpers abzugehen anfängt.
Aber wenn nun das Gefühl es mehrmalen gelehrt hat, daß es vergeblich sey, mit der Stärke und Lebhaf- tigkeit der jüngern Zeit, und mit gleichem Erfolg, em- pfinden und wirken zu wollen, so fängt auch die wollen- de Seelenkraft an sich einzuziehen. Es ermattet auch die Neigung zu dergleichen Kraftäußerungen. Da ist dann auch das Ende der weitern Vervollkommnung der innern Geschicklichkeit in der Seele.
Noch mehr. Die innere Fertigkeit in der Seele, die gehörigen Vorstellungen zu erwecken und zu wollen, ist zuweilen in alten Leuten noch fast in derselbigen Stär- ke, wenn gleich der Körper nicht erst nun, sondern schon lange und in einem hohen Grade, zur Ausführung des Willens unfähig geworden ist. Ein alter Mann redet öfters von seinen Geschicklichkeiten, die er in jüngern Jahren erlernet hatte, mit einer Lebhaftigkeit, die es nicht zweifelhaft läßt, daß seine Vorstellung davon noch anschaulich, stark völlig, und lebhaft sey; und seine Mie- nen drucken die Stärke seines Willens aus. Er würde dasselbige noch jetzo verrichten, was er ehedem verrichtet
hat,
und Entwickelung des Menſchen.
daß, ſo viel die Vermoͤgen in der Seele betrift die Ak- tionen ſich vorzuſtellen, ſich dazu zu beſtimmen, inner- lich dieſe Vorſtellungen zur Empfindung zu erheben, die Sinnglieder zu lenken und auf die Eindruͤcke von auſ- ſen aufmerkſam zu ſeyn, ſolche noch in ihrer voͤlligen er- worbenen Staͤrke beſtehen muͤſſen; wenigſtens ſo viel ſich aus dem innern Gefuͤhl erkennen laͤßt. Und daraus folgt ferner, daß die Seelenvermoͤgen, die zu den Kunſt- ſertigkeiten des Koͤrpers gehoͤren, nicht nur noch einige Zeit ungeſchwaͤcht bleiben koͤnnen, wenn ſchon die Or- gane ihre vorigen Dienſte verſagen, ſondern noch wohl gar im Anfang etwas zunehmen, weil ſie gereizet wer- den mit einer groͤßern Jntenſion zu wirken, um das zu erſetzen, was von der Seite des Koͤrpers abzugehen anfaͤngt.
Aber wenn nun das Gefuͤhl es mehrmalen gelehrt hat, daß es vergeblich ſey, mit der Staͤrke und Lebhaf- tigkeit der juͤngern Zeit, und mit gleichem Erfolg, em- pfinden und wirken zu wollen, ſo faͤngt auch die wollen- de Seelenkraft an ſich einzuziehen. Es ermattet auch die Neigung zu dergleichen Kraftaͤußerungen. Da iſt dann auch das Ende der weitern Vervollkommnung der innern Geſchicklichkeit in der Seele.
Noch mehr. Die innere Fertigkeit in der Seele, die gehoͤrigen Vorſtellungen zu erwecken und zu wollen, iſt zuweilen in alten Leuten noch faſt in derſelbigen Staͤr- ke, wenn gleich der Koͤrper nicht erſt nun, ſondern ſchon lange und in einem hohen Grade, zur Ausfuͤhrung des Willens unfaͤhig geworden iſt. Ein alter Mann redet oͤfters von ſeinen Geſchicklichkeiten, die er in juͤngern Jahren erlernet hatte, mit einer Lebhaftigkeit, die es nicht zweifelhaft laͤßt, daß ſeine Vorſtellung davon noch anſchaulich, ſtark voͤllig, und lebhaft ſey; und ſeine Mie- nen drucken die Staͤrke ſeines Willens aus. Er wuͤrde daſſelbige noch jetzo verrichten, was er ehedem verrichtet
hat,
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und Entwickelung des Menſchen.
daß, ſo viel die Vermoͤgen in der Seele betrift die Ak-
tionen ſich vorzuſtellen, ſich dazu zu beſtimmen, inner-
lich dieſe Vorſtellungen zur Empfindung zu erheben, die
Sinnglieder zu lenken und auf die Eindruͤcke von auſ-
ſen aufmerkſam zu ſeyn, ſolche noch in ihrer voͤlligen er-
worbenen Staͤrke beſtehen muͤſſen; wenigſtens ſo viel
ſich aus dem innern Gefuͤhl erkennen laͤßt. Und daraus
folgt ferner, daß die Seelenvermoͤgen, die zu den Kunſt-
ſertigkeiten des Koͤrpers gehoͤren, nicht nur noch einige
Zeit ungeſchwaͤcht bleiben koͤnnen, wenn ſchon die Or-
gane ihre vorigen Dienſte verſagen, ſondern noch wohl
gar im Anfang etwas zunehmen, weil ſie gereizet wer-
den mit einer groͤßern Jntenſion zu wirken, um das zu
erſetzen, was von der Seite des Koͤrpers abzugehen
anfaͤngt.
Aber wenn nun das Gefuͤhl es mehrmalen gelehrt
hat, daß es vergeblich ſey, mit der Staͤrke und Lebhaf-
tigkeit der juͤngern Zeit, und mit gleichem Erfolg, em-
pfinden und wirken zu wollen, ſo faͤngt auch die wollen-
de Seelenkraft an ſich einzuziehen. Es ermattet auch
die Neigung zu dergleichen Kraftaͤußerungen. Da iſt
dann auch das Ende der weitern Vervollkommnung der
innern Geſchicklichkeit in der Seele.
Noch mehr. Die innere Fertigkeit in der Seele,
die gehoͤrigen Vorſtellungen zu erwecken und zu wollen,
iſt zuweilen in alten Leuten noch faſt in derſelbigen Staͤr-
ke, wenn gleich der Koͤrper nicht erſt nun, ſondern ſchon
lange und in einem hohen Grade, zur Ausfuͤhrung des
Willens unfaͤhig geworden iſt. Ein alter Mann redet
oͤfters von ſeinen Geſchicklichkeiten, die er in juͤngern
Jahren erlernet hatte, mit einer Lebhaftigkeit, die es
nicht zweifelhaft laͤßt, daß ſeine Vorſtellung davon noch
anſchaulich, ſtark voͤllig, und lebhaft ſey; und ſeine Mie-
nen drucken die Staͤrke ſeines Willens aus. Er wuͤrde
daſſelbige noch jetzo verrichten, was er ehedem verrichtet
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 747. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/777>, abgerufen am 22.11.2024.
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