Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777.

Bild:
<< vorherige Seite

und Entwickelung des Menschen.
drungen, erweicht und biegsamer gemacht würde, so
hätten wir eine Veränderung, die derjenigen entspricht,
welche in der Seele immer möglich ist, die niemals ei-
ner solchen Wiederauflebung unfähig wird. Und nur
andere Beziehungen auf äußere Gegenstände sind noth-
wendig, um sie wirklich wieder aufzuleben.

Viertens, worinn aber auch die Unbiegsamkeit
in der Seele bestehen mag, so kann sie den Graden nach
nicht so groß seyn, als sie bey den materiellen Vorstel-
lungen im Gehirn ist. "Denn so zeiget sich, daß je
"mehr die Theile an dem menschlichen Körper so zu sa-
"gen zu den äußern gehören, desto merklicher wird
"die Verhärtung an ihnen, und desto eher stellet sie sich
"ein." Der Mensch nach seiner thierischen Natur
nimmt gewöhnlicher Weise, wenn nicht besondere Zu-
fälle dazwischen kommen, schleuniger ab, und in größerm
Verhältnisse, als an seinem innern Seelenwesen. Nach
der Analogie wird also die Abnahme langsamer und ge-
ringer seyn in der unkörperlichen Einheit, dem wahren
Mittelpunkt seiner Natur, als in den Fibern des ihn
umgebenden Organs.

Fünftens, dieselbige Bemerkung läßt sich bey der
Abnahme an innerer Wirksamkeit wiederholen. Diese
kann in dem Geiste nicht mit demselbigen Schritte fort-
gehen, wie in dem Menschen, wie in dem körperlichen
Werkzeuge und in dem gröbern Körper. Wie die Er-
fahrung lehret, daß die Seele noch lange ihre Feuer-
kraft behält, und solches im Wollen und Verlangen be-
weiset, wenn schon der Körper zum Ausführen nicht
mehr so brauchbar ist: so kann man nach der Analogie
vermuthen, daß, wenn gleich allmälig die Flamme aus-
löscht, der innere Funke im Mittelpunkte am längsten
seinen Schein, seine Wärme und seine Thätigkeit behal-
ten müsse.

Ohne

und Entwickelung des Menſchen.
drungen, erweicht und biegſamer gemacht wuͤrde, ſo
haͤtten wir eine Veraͤnderung, die derjenigen entſpricht,
welche in der Seele immer moͤglich iſt, die niemals ei-
ner ſolchen Wiederauflebung unfaͤhig wird. Und nur
andere Beziehungen auf aͤußere Gegenſtaͤnde ſind noth-
wendig, um ſie wirklich wieder aufzuleben.

Viertens, worinn aber auch die Unbiegſamkeit
in der Seele beſtehen mag, ſo kann ſie den Graden nach
nicht ſo groß ſeyn, als ſie bey den materiellen Vorſtel-
lungen im Gehirn iſt. „Denn ſo zeiget ſich, daß je
„mehr die Theile an dem menſchlichen Koͤrper ſo zu ſa-
„gen zu den aͤußern gehoͤren, deſto merklicher wird
„die Verhaͤrtung an ihnen, und deſto eher ſtellet ſie ſich
„ein.“ Der Menſch nach ſeiner thieriſchen Natur
nimmt gewoͤhnlicher Weiſe, wenn nicht beſondere Zu-
faͤlle dazwiſchen kommen, ſchleuniger ab, und in groͤßerm
Verhaͤltniſſe, als an ſeinem innern Seelenweſen. Nach
der Analogie wird alſo die Abnahme langſamer und ge-
ringer ſeyn in der unkoͤrperlichen Einheit, dem wahren
Mittelpunkt ſeiner Natur, als in den Fibern des ihn
umgebenden Organs.

Fuͤnftens, dieſelbige Bemerkung laͤßt ſich bey der
Abnahme an innerer Wirkſamkeit wiederholen. Dieſe
kann in dem Geiſte nicht mit demſelbigen Schritte fort-
gehen, wie in dem Menſchen, wie in dem koͤrperlichen
Werkzeuge und in dem groͤbern Koͤrper. Wie die Er-
fahrung lehret, daß die Seele noch lange ihre Feuer-
kraft behaͤlt, und ſolches im Wollen und Verlangen be-
weiſet, wenn ſchon der Koͤrper zum Ausfuͤhren nicht
mehr ſo brauchbar iſt: ſo kann man nach der Analogie
vermuthen, daß, wenn gleich allmaͤlig die Flamme aus-
loͤſcht, der innere Funke im Mittelpunkte am laͤngſten
ſeinen Schein, ſeine Waͤrme und ſeine Thaͤtigkeit behal-
ten muͤſſe.

Ohne
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0793" n="763"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">und Entwickelung des Men&#x017F;chen.</hi></fw><lb/>
drungen, erweicht und bieg&#x017F;amer gemacht wu&#x0364;rde, &#x017F;o<lb/>
ha&#x0364;tten wir eine Vera&#x0364;nderung, die derjenigen ent&#x017F;pricht,<lb/>
welche in der Seele immer mo&#x0364;glich i&#x017F;t, die niemals ei-<lb/>
ner &#x017F;olchen Wiederauflebung unfa&#x0364;hig wird. Und nur<lb/>
andere Beziehungen auf a&#x0364;ußere Gegen&#x017F;ta&#x0364;nde &#x017F;ind noth-<lb/>
wendig, um &#x017F;ie wirklich wieder aufzuleben.</p><lb/>
              <p><hi rendition="#fr">Viertens,</hi> worinn aber auch die Unbieg&#x017F;amkeit<lb/>
in der Seele be&#x017F;tehen mag, &#x017F;o kann &#x017F;ie den Graden nach<lb/>
nicht &#x017F;o groß &#x017F;eyn, als &#x017F;ie bey den materiellen Vor&#x017F;tel-<lb/>
lungen im Gehirn i&#x017F;t. &#x201E;Denn &#x017F;o zeiget &#x017F;ich, daß je<lb/>
&#x201E;mehr die Theile an dem men&#x017F;chlichen Ko&#x0364;rper &#x017F;o zu &#x017F;a-<lb/>
&#x201E;gen zu den a&#x0364;ußern geho&#x0364;ren, de&#x017F;to merklicher wird<lb/>
&#x201E;die Verha&#x0364;rtung an ihnen, und de&#x017F;to eher &#x017F;tellet &#x017F;ie &#x017F;ich<lb/>
&#x201E;ein.&#x201C; Der Men&#x017F;ch nach &#x017F;einer thieri&#x017F;chen Natur<lb/>
nimmt gewo&#x0364;hnlicher Wei&#x017F;e, wenn nicht be&#x017F;ondere Zu-<lb/>
fa&#x0364;lle dazwi&#x017F;chen kommen, &#x017F;chleuniger ab, und in gro&#x0364;ßerm<lb/>
Verha&#x0364;ltni&#x017F;&#x017F;e, als an &#x017F;einem innern Seelenwe&#x017F;en. Nach<lb/>
der Analogie wird al&#x017F;o die Abnahme lang&#x017F;amer und ge-<lb/>
ringer &#x017F;eyn in der unko&#x0364;rperlichen Einheit, dem wahren<lb/>
Mittelpunkt &#x017F;einer Natur, als in den Fibern des ihn<lb/>
umgebenden Organs.</p><lb/>
              <p><hi rendition="#fr">Fu&#x0364;nftens,</hi> die&#x017F;elbige Bemerkung la&#x0364;ßt &#x017F;ich bey der<lb/>
Abnahme an innerer Wirk&#x017F;amkeit wiederholen. Die&#x017F;e<lb/>
kann in dem Gei&#x017F;te nicht mit dem&#x017F;elbigen Schritte fort-<lb/>
gehen, wie in dem Men&#x017F;chen, wie in dem ko&#x0364;rperlichen<lb/>
Werkzeuge und in dem gro&#x0364;bern Ko&#x0364;rper. Wie die Er-<lb/>
fahrung lehret, daß die Seele noch lange ihre Feuer-<lb/>
kraft beha&#x0364;lt, und &#x017F;olches im Wollen und Verlangen be-<lb/>
wei&#x017F;et, wenn &#x017F;chon der Ko&#x0364;rper zum Ausfu&#x0364;hren nicht<lb/>
mehr &#x017F;o brauchbar i&#x017F;t: &#x017F;o kann man nach der Analogie<lb/>
vermuthen, daß, wenn gleich allma&#x0364;lig die Flamme aus-<lb/>
lo&#x0364;&#x017F;cht, der innere Funke im Mittelpunkte am la&#x0364;ng&#x017F;ten<lb/>
&#x017F;einen Schein, &#x017F;eine Wa&#x0364;rme und &#x017F;eine Tha&#x0364;tigkeit behal-<lb/>
ten mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e.</p><lb/>
              <fw place="bottom" type="catch">Ohne</fw><lb/>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[763/0793] und Entwickelung des Menſchen. drungen, erweicht und biegſamer gemacht wuͤrde, ſo haͤtten wir eine Veraͤnderung, die derjenigen entſpricht, welche in der Seele immer moͤglich iſt, die niemals ei- ner ſolchen Wiederauflebung unfaͤhig wird. Und nur andere Beziehungen auf aͤußere Gegenſtaͤnde ſind noth- wendig, um ſie wirklich wieder aufzuleben. Viertens, worinn aber auch die Unbiegſamkeit in der Seele beſtehen mag, ſo kann ſie den Graden nach nicht ſo groß ſeyn, als ſie bey den materiellen Vorſtel- lungen im Gehirn iſt. „Denn ſo zeiget ſich, daß je „mehr die Theile an dem menſchlichen Koͤrper ſo zu ſa- „gen zu den aͤußern gehoͤren, deſto merklicher wird „die Verhaͤrtung an ihnen, und deſto eher ſtellet ſie ſich „ein.“ Der Menſch nach ſeiner thieriſchen Natur nimmt gewoͤhnlicher Weiſe, wenn nicht beſondere Zu- faͤlle dazwiſchen kommen, ſchleuniger ab, und in groͤßerm Verhaͤltniſſe, als an ſeinem innern Seelenweſen. Nach der Analogie wird alſo die Abnahme langſamer und ge- ringer ſeyn in der unkoͤrperlichen Einheit, dem wahren Mittelpunkt ſeiner Natur, als in den Fibern des ihn umgebenden Organs. Fuͤnftens, dieſelbige Bemerkung laͤßt ſich bey der Abnahme an innerer Wirkſamkeit wiederholen. Dieſe kann in dem Geiſte nicht mit demſelbigen Schritte fort- gehen, wie in dem Menſchen, wie in dem koͤrperlichen Werkzeuge und in dem groͤbern Koͤrper. Wie die Er- fahrung lehret, daß die Seele noch lange ihre Feuer- kraft behaͤlt, und ſolches im Wollen und Verlangen be- weiſet, wenn ſchon der Koͤrper zum Ausfuͤhren nicht mehr ſo brauchbar iſt: ſo kann man nach der Analogie vermuthen, daß, wenn gleich allmaͤlig die Flamme aus- loͤſcht, der innere Funke im Mittelpunkte am laͤngſten ſeinen Schein, ſeine Waͤrme und ſeine Thaͤtigkeit behal- ten muͤſſe. Ohne

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/793
Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 763. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/793>, abgerufen am 22.11.2024.