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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777.

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XII. Versuch. Ueber die Selbstthätigkeit
den Kraft angesehen werden kann, so ist es doch mög-
lich, daß jene selbstthätige Kraft während ihrer
Aktion
einer beständigen Anreizung benöthigt ge-
wesen sey, und diese von dem Einflusse einer äußern Ur-
sache empfangen habe.

Hiebey stößt uns aber in den Erfahrungen noch eine
andere Verschiedenheit auf, die sehr in Betracht gezo-
gen zu werden verdienet, weil sie unsere Begriffe unge-
mein verwirren kann. Es ist nämlich ganz etwas an-
ders, "wenn ein Ding die Kraft eines andern zur
Thätigkeit reizet,
" und wenn ein Ding einem an-
dern die Kraft verleihet,
mit welcher dieß letztere
wirket. Diese Verschiedenheit verräth sich an zweyen
Merkmalen. Wenn eine Kraft nur durch ein anderes
Ding, als durch sein Jnstrument wirket, so ist das
letztere nur ein Kanal, der die Wirksamkeit des erstern
fortführt, oder, nur ein Konduktor, wie die leidenden
Körper bey der Elektricität; und dann würde sich die
Kraft auch ohne dieses Zwischenmittel, auf eine ähnli-
che Art, obgleich in einer andern Richtung, wirksam
haben bewegen können. Die Schale der Wage druckt
die Hand nieder durch das Gewicht, welches in ihr liegt.
Aber das Gewicht würde die nämliche Wirkung in der-
selbigen Stärke unmittelbar hervorbringen können. Die
Schale handelt also nicht durch ihre eigene, sondern
durch die fremde Schwere, und der erfolgte Druck ist
nichts, als eine mittelbare Wirkung des fremden Ge-
wichts, welches durch die Schale wirket. Es verhält sich
anders, wo die wirkende Kraft nur zur Thätigkeit von ei-
ner andern gereizet worden ist. Denn in diesem Fall würde
die erfolgte Wirkung aus der Aktion der bloß reizen-
den
und erweckenden Kraft nimmermehr erfolget seyn.

Dazu kommt noch ein zweytes Kennzeichen. Wenn
eine Ursache nur aus fremder mitgetheilter Kraft thätig
ist, so höret nicht nur ihre ganze Thätigkeit, sondern

auch

XII. Verſuch. Ueber die Selbſtthaͤtigkeit
den Kraft angeſehen werden kann, ſo iſt es doch moͤg-
lich, daß jene ſelbſtthaͤtige Kraft waͤhrend ihrer
Aktion
einer beſtaͤndigen Anreizung benoͤthigt ge-
weſen ſey, und dieſe von dem Einfluſſe einer aͤußern Ur-
ſache empfangen habe.

Hiebey ſtoͤßt uns aber in den Erfahrungen noch eine
andere Verſchiedenheit auf, die ſehr in Betracht gezo-
gen zu werden verdienet, weil ſie unſere Begriffe unge-
mein verwirren kann. Es iſt naͤmlich ganz etwas an-
ders, „wenn ein Ding die Kraft eines andern zur
Thaͤtigkeit reizet,
‟ und wenn ein Ding einem an-
dern die Kraft verleihet,
mit welcher dieß letztere
wirket. Dieſe Verſchiedenheit verraͤth ſich an zweyen
Merkmalen. Wenn eine Kraft nur durch ein anderes
Ding, als durch ſein Jnſtrument wirket, ſo iſt das
letztere nur ein Kanal, der die Wirkſamkeit des erſtern
fortfuͤhrt, oder, nur ein Konduktor, wie die leidenden
Koͤrper bey der Elektricitaͤt; und dann wuͤrde ſich die
Kraft auch ohne dieſes Zwiſchenmittel, auf eine aͤhnli-
che Art, obgleich in einer andern Richtung, wirkſam
haben bewegen koͤnnen. Die Schale der Wage druckt
die Hand nieder durch das Gewicht, welches in ihr liegt.
Aber das Gewicht wuͤrde die naͤmliche Wirkung in der-
ſelbigen Staͤrke unmittelbar hervorbringen koͤnnen. Die
Schale handelt alſo nicht durch ihre eigene, ſondern
durch die fremde Schwere, und der erfolgte Druck iſt
nichts, als eine mittelbare Wirkung des fremden Ge-
wichts, welches durch die Schale wirket. Es verhaͤlt ſich
anders, wo die wirkende Kraft nur zur Thaͤtigkeit von ei-
ner andern gereizet worden iſt. Denn in dieſem Fall wuͤrde
die erfolgte Wirkung aus der Aktion der bloß reizen-
den
und erweckenden Kraft nimmermehr erfolget ſeyn.

Dazu kommt noch ein zweytes Kennzeichen. Wenn
eine Urſache nur aus fremder mitgetheilter Kraft thaͤtig
iſt, ſo hoͤret nicht nur ihre ganze Thaͤtigkeit, ſondern

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[50/0080] XII. Verſuch. Ueber die Selbſtthaͤtigkeit den Kraft angeſehen werden kann, ſo iſt es doch moͤg- lich, daß jene ſelbſtthaͤtige Kraft waͤhrend ihrer Aktion einer beſtaͤndigen Anreizung benoͤthigt ge- weſen ſey, und dieſe von dem Einfluſſe einer aͤußern Ur- ſache empfangen habe. Hiebey ſtoͤßt uns aber in den Erfahrungen noch eine andere Verſchiedenheit auf, die ſehr in Betracht gezo- gen zu werden verdienet, weil ſie unſere Begriffe unge- mein verwirren kann. Es iſt naͤmlich ganz etwas an- ders, „wenn ein Ding die Kraft eines andern zur Thaͤtigkeit reizet,‟ und wenn ein Ding einem an- dern die Kraft verleihet, mit welcher dieß letztere wirket. Dieſe Verſchiedenheit verraͤth ſich an zweyen Merkmalen. Wenn eine Kraft nur durch ein anderes Ding, als durch ſein Jnſtrument wirket, ſo iſt das letztere nur ein Kanal, der die Wirkſamkeit des erſtern fortfuͤhrt, oder, nur ein Konduktor, wie die leidenden Koͤrper bey der Elektricitaͤt; und dann wuͤrde ſich die Kraft auch ohne dieſes Zwiſchenmittel, auf eine aͤhnli- che Art, obgleich in einer andern Richtung, wirkſam haben bewegen koͤnnen. Die Schale der Wage druckt die Hand nieder durch das Gewicht, welches in ihr liegt. Aber das Gewicht wuͤrde die naͤmliche Wirkung in der- ſelbigen Staͤrke unmittelbar hervorbringen koͤnnen. Die Schale handelt alſo nicht durch ihre eigene, ſondern durch die fremde Schwere, und der erfolgte Druck iſt nichts, als eine mittelbare Wirkung des fremden Ge- wichts, welches durch die Schale wirket. Es verhaͤlt ſich anders, wo die wirkende Kraft nur zur Thaͤtigkeit von ei- ner andern gereizet worden iſt. Denn in dieſem Fall wuͤrde die erfolgte Wirkung aus der Aktion der bloß reizen- den und erweckenden Kraft nimmermehr erfolget ſeyn. Dazu kommt noch ein zweytes Kennzeichen. Wenn eine Urſache nur aus fremder mitgetheilter Kraft thaͤtig iſt, ſo hoͤret nicht nur ihre ganze Thaͤtigkeit, ſondern auch

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Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 50. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/80>, abgerufen am 24.11.2024.