Reiz fehlt, um in wirkliches Bestreben überzugehen. Jnsbesondere findet sich in der unangenehmen Trägheit, die mit der Ermüdung verbunden ist, ein Bestreben alles zu entfernen, was die Kraft reizen und rege ma- chen kann. Es scheint also der Hang zur Ruhe ein positiver Hang der Seele zu seyn, sich aus dem Stande der Thätigkeit und des Bewußtseyns ihrer selbst herauszusetzen. Sie will nicht mehr fühlen noch empfinden, oder unterhalten seyn, weil dieß alles sie zu stark angreift. Jst nun alles das ein positives Ver- gnügen, was mit ihren dermaligen Bestrebungen über- einstimmt, so wird auch dieses dahin zu rechnen seyn, was sie empfindet, wenn die äußern Eindrücke und die innern Bewegungen weggehen, die ihre Kraft zur Thä- tigkeit reizen und ihre Entspannung aufhalten. So scheint es mir wirklich sich zu verhalten, obgleich die Richtung der Kraft alsdenn dahin gehet, sich unthätig zu machen, und, so zu sagen, abzulaufen. Es ist wenigstens so, sofern man sich selbst fühlet. Denn sonst mag die Grundkraft immer nur ihre Richtung verän- dern, wie die Psychologen es erklären, die die Seele im tiefsten Schlaf eben so stark beschäftiget seyn lassen, als im Wachen, nur daß sie alsdenn mehr mit dem ganzen Jnbegrif ihrer dunkeln Vorstellungen zu thun hat, als mit den hervorstechenden klaren und deutlichen Gedanken, die sie im Wachen bearbeitet. Eine Jdee, die selbst nach den Anzeigen, welche man in den Beobachtungen findet, nicht unwahrscheinlich, und gewiß nicht ganz und gar falsch ist.
Jn Hinsicht des Körpers ist es nicht schwer sich vor- zustellen, wie in ihm ein Trieb entstehen könne zu Ver- änderungen, die seine Fibern entspannen und ihn unthä- tig machen. Die Kräfte der Organisation erschöpfen sich, und es häufen sich die Hindernisse gegen ihre wei- tere Wirksamkeit. Dieß ändert durch eine Rückwir-
kung
und Entwickelung des Menſchen.
Reiz fehlt, um in wirkliches Beſtreben uͤberzugehen. Jnsbeſondere findet ſich in der unangenehmen Traͤgheit, die mit der Ermuͤdung verbunden iſt, ein Beſtreben alles zu entfernen, was die Kraft reizen und rege ma- chen kann. Es ſcheint alſo der Hang zur Ruhe ein poſitiver Hang der Seele zu ſeyn, ſich aus dem Stande der Thaͤtigkeit und des Bewußtſeyns ihrer ſelbſt herauszuſetzen. Sie will nicht mehr fuͤhlen noch empfinden, oder unterhalten ſeyn, weil dieß alles ſie zu ſtark angreift. Jſt nun alles das ein poſitives Ver- gnuͤgen, was mit ihren dermaligen Beſtrebungen uͤber- einſtimmt, ſo wird auch dieſes dahin zu rechnen ſeyn, was ſie empfindet, wenn die aͤußern Eindruͤcke und die innern Bewegungen weggehen, die ihre Kraft zur Thaͤ- tigkeit reizen und ihre Entſpannung aufhalten. So ſcheint es mir wirklich ſich zu verhalten, obgleich die Richtung der Kraft alsdenn dahin gehet, ſich unthaͤtig zu machen, und, ſo zu ſagen, abzulaufen. Es iſt wenigſtens ſo, ſofern man ſich ſelbſt fuͤhlet. Denn ſonſt mag die Grundkraft immer nur ihre Richtung veraͤn- dern, wie die Pſychologen es erklaͤren, die die Seele im tiefſten Schlaf eben ſo ſtark beſchaͤftiget ſeyn laſſen, als im Wachen, nur daß ſie alsdenn mehr mit dem ganzen Jnbegrif ihrer dunkeln Vorſtellungen zu thun hat, als mit den hervorſtechenden klaren und deutlichen Gedanken, die ſie im Wachen bearbeitet. Eine Jdee, die ſelbſt nach den Anzeigen, welche man in den Beobachtungen findet, nicht unwahrſcheinlich, und gewiß nicht ganz und gar falſch iſt.
Jn Hinſicht des Koͤrpers iſt es nicht ſchwer ſich vor- zuſtellen, wie in ihm ein Trieb entſtehen koͤnne zu Ver- aͤnderungen, die ſeine Fibern entſpannen und ihn unthaͤ- tig machen. Die Kraͤfte der Organiſation erſchoͤpfen ſich, und es haͤufen ſich die Hinderniſſe gegen ihre wei- tere Wirkſamkeit. Dieß aͤndert durch eine Ruͤckwir-
kung
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und Entwickelung des Menſchen.
Reiz fehlt, um in wirkliches Beſtreben uͤberzugehen.
Jnsbeſondere findet ſich in der unangenehmen Traͤgheit,
die mit der Ermuͤdung verbunden iſt, ein Beſtreben
alles zu entfernen, was die Kraft reizen und rege ma-
chen kann. Es ſcheint alſo der Hang zur Ruhe ein
poſitiver Hang der Seele zu ſeyn, ſich aus dem
Stande der Thaͤtigkeit und des Bewußtſeyns ihrer
ſelbſt herauszuſetzen. Sie will nicht mehr fuͤhlen noch
empfinden, oder unterhalten ſeyn, weil dieß alles ſie
zu ſtark angreift. Jſt nun alles das ein poſitives Ver-
gnuͤgen, was mit ihren dermaligen Beſtrebungen uͤber-
einſtimmt, ſo wird auch dieſes dahin zu rechnen ſeyn,
was ſie empfindet, wenn die aͤußern Eindruͤcke und die
innern Bewegungen weggehen, die ihre Kraft zur Thaͤ-
tigkeit reizen und ihre Entſpannung aufhalten. So
ſcheint es mir wirklich ſich zu verhalten, obgleich die
Richtung der Kraft alsdenn dahin gehet, ſich unthaͤtig
zu machen, und, ſo zu ſagen, abzulaufen. Es iſt
wenigſtens ſo, ſofern man ſich ſelbſt fuͤhlet. Denn ſonſt
mag die Grundkraft immer nur ihre Richtung veraͤn-
dern, wie die Pſychologen es erklaͤren, die die Seele
im tiefſten Schlaf eben ſo ſtark beſchaͤftiget ſeyn laſſen, als
im Wachen, nur daß ſie alsdenn mehr mit dem ganzen
Jnbegrif ihrer dunkeln Vorſtellungen zu thun hat, als
mit den hervorſtechenden klaren und deutlichen Gedanken,
die ſie im Wachen bearbeitet. Eine Jdee, die ſelbſt
nach den Anzeigen, welche man in den Beobachtungen
findet, nicht unwahrſcheinlich, und gewiß nicht ganz und
gar falſch iſt.
Jn Hinſicht des Koͤrpers iſt es nicht ſchwer ſich vor-
zuſtellen, wie in ihm ein Trieb entſtehen koͤnne zu Ver-
aͤnderungen, die ſeine Fibern entſpannen und ihn unthaͤ-
tig machen. Die Kraͤfte der Organiſation erſchoͤpfen
ſich, und es haͤufen ſich die Hinderniſſe gegen ihre wei-
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 813. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/843>, abgerufen am 25.06.2024.
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