wesentliches Geschäft in der Moral, davon ich hier nur etwas, das unmittelbar aus der allgemeinen Betrach- tung der menschlichen Natur fließt, anführen will.
Es ist für sich ein Grundsatz, dessen Richtigkeit auf- fällt, "daß je mehr der Mensch vervollkommnet wird, "einer desto größern Glückseligkeit werde er fähig." Seine Bestrebungen werden vervielfältiget und ver- stärket, wie seine thätigen Kräfte wachsen; und der Umfang und die Stärke seiner Empfindungen wäch- set mit der Erhöhung seiner Empfindsamkeit, die wie- derum von der Ausbildung am Verstande abhängt. So gar die gröbsten sinnlichen Vergnügungen, die sich am meisten nach den Eindrücken von äußern Ursachen richten, sind bey Menschen von stumpfem Geist und Ge- fühl bey weitem das nicht, was sie bey andern sind.
Eben so klar ist es, daß jede Erhöhung der Voll- kommenheiten der Natur eine Vermehrung eines innern Schatzes sey, aus dessen Besitz die edelsten und feinsten Vergnügungen entstehen, die am tiefsten eindringen und am dauerhaftesten und unabhängigsten von äußern Zufäl- len sind. Jeder Zuwachs an innerer Menschengröße macht die Quelle der Glückseligkeit größer, und die letz- tere selbst, weil die Quelle, wenn nicht immer gleich stark, doch in einiger Maße, sich ergießen und genossen werden muß. "Jn einem sich selbst fühlenden Wesen, "kann es keine nahe physische Realität geben, "die, (ich will nicht sagen, auf ewig versteckt und un- "gefühlt in ihm bleibe, man möchte nur auf das gegen- "wärtige Leben sehen wollen, sondern) so lange sie da "ist, nicht unmittelbar und abgesondert für sich, oder "doch mittelbar und in Verbindung mit andern, nicht "als etwas angenehmes sollte empfunden werden." Sie wird zum wenigsten ihren Einfluß in andere Ge- fühle haben, und entweder Schmerzen lindern, die aus andern Unvollkommenheiten entspringen, oder die Masse
der
und Entwickelung des Menſchen.
weſentliches Geſchaͤft in der Moral, davon ich hier nur etwas, das unmittelbar aus der allgemeinen Betrach- tung der menſchlichen Natur fließt, anfuͤhren will.
Es iſt fuͤr ſich ein Grundſatz, deſſen Richtigkeit auf- faͤllt, „daß je mehr der Menſch vervollkommnet wird, „einer deſto groͤßern Gluͤckſeligkeit werde er faͤhig.“ Seine Beſtrebungen werden vervielfaͤltiget und ver- ſtaͤrket, wie ſeine thaͤtigen Kraͤfte wachſen; und der Umfang und die Staͤrke ſeiner Empfindungen waͤch- ſet mit der Erhoͤhung ſeiner Empfindſamkeit, die wie- derum von der Ausbildung am Verſtande abhaͤngt. So gar die groͤbſten ſinnlichen Vergnuͤgungen, die ſich am meiſten nach den Eindruͤcken von aͤußern Urſachen richten, ſind bey Menſchen von ſtumpfem Geiſt und Ge- fuͤhl bey weitem das nicht, was ſie bey andern ſind.
Eben ſo klar iſt es, daß jede Erhoͤhung der Voll- kommenheiten der Natur eine Vermehrung eines innern Schatzes ſey, aus deſſen Beſitz die edelſten und feinſten Vergnuͤgungen entſtehen, die am tiefſten eindringen und am dauerhafteſten und unabhaͤngigſten von aͤußern Zufaͤl- len ſind. Jeder Zuwachs an innerer Menſchengroͤße macht die Quelle der Gluͤckſeligkeit groͤßer, und die letz- tere ſelbſt, weil die Quelle, wenn nicht immer gleich ſtark, doch in einiger Maße, ſich ergießen und genoſſen werden muß. „Jn einem ſich ſelbſt fuͤhlenden Weſen, „kann es keine nahe phyſiſche Realitaͤt geben, „die, (ich will nicht ſagen, auf ewig verſteckt und un- „gefuͤhlt in ihm bleibe, man moͤchte nur auf das gegen- „waͤrtige Leben ſehen wollen, ſondern) ſo lange ſie da „iſt, nicht unmittelbar und abgeſondert fuͤr ſich, oder „doch mittelbar und in Verbindung mit andern, nicht „als etwas angenehmes ſollte empfunden werden.“ Sie wird zum wenigſten ihren Einfluß in andere Ge- fuͤhle haben, und entweder Schmerzen lindern, die aus andern Unvollkommenheiten entſpringen, oder die Maſſe
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und Entwickelung des Menſchen.
weſentliches Geſchaͤft in der Moral, davon ich hier nur
etwas, das unmittelbar aus der allgemeinen Betrach-
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Es iſt fuͤr ſich ein Grundſatz, deſſen Richtigkeit auf-
faͤllt, „daß je mehr der Menſch vervollkommnet wird,
„einer deſto groͤßern Gluͤckſeligkeit werde er faͤhig.“
Seine Beſtrebungen werden vervielfaͤltiget und ver-
ſtaͤrket, wie ſeine thaͤtigen Kraͤfte wachſen; und der
Umfang und die Staͤrke ſeiner Empfindungen waͤch-
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derum von der Ausbildung am Verſtande abhaͤngt.
So gar die groͤbſten ſinnlichen Vergnuͤgungen, die ſich
am meiſten nach den Eindruͤcken von aͤußern Urſachen
richten, ſind bey Menſchen von ſtumpfem Geiſt und Ge-
fuͤhl bey weitem das nicht, was ſie bey andern ſind.
Eben ſo klar iſt es, daß jede Erhoͤhung der Voll-
kommenheiten der Natur eine Vermehrung eines innern
Schatzes ſey, aus deſſen Beſitz die edelſten und feinſten
Vergnuͤgungen entſtehen, die am tiefſten eindringen und
am dauerhafteſten und unabhaͤngigſten von aͤußern Zufaͤl-
len ſind. Jeder Zuwachs an innerer Menſchengroͤße
macht die Quelle der Gluͤckſeligkeit groͤßer, und die letz-
tere ſelbſt, weil die Quelle, wenn nicht immer gleich
ſtark, doch in einiger Maße, ſich ergießen und genoſſen
werden muß. „Jn einem ſich ſelbſt fuͤhlenden Weſen,
„kann es keine nahe phyſiſche Realitaͤt geben,
„die, (ich will nicht ſagen, auf ewig verſteckt und un-
„gefuͤhlt in ihm bleibe, man moͤchte nur auf das gegen-
„waͤrtige Leben ſehen wollen, ſondern) ſo lange ſie da
„iſt, nicht unmittelbar und abgeſondert fuͤr ſich, oder
„doch mittelbar und in Verbindung mit andern, nicht
„als etwas angenehmes ſollte empfunden werden.“
Sie wird zum wenigſten ihren Einfluß in andere Ge-
fuͤhle haben, und entweder Schmerzen lindern, die aus
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 815. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/845>, abgerufen am 23.11.2024.
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