Thieß, Johann Otto: Unser Herr! in den lezten Tagen seines ersten und in den ersten Tagen seines andern Menschenlebens. Neue Aufl. Hannover, 1794.im Grabe und in der Hölle. harten Einwohner der Stadt, die ihn aus ihrenMauern stiessen? erschien er der Gemahlin des Pilatus im sanften Morgentraum, oder schrekte er die Oberpriester am hellen Mittag? Gewis nicht. Deun gäb es auch Gespenster: so hätte er doch in keinem Augenblik seines geistigen Le- bens so erscheinen können; er, der die Furcht vor Gespenstern und die Gespenster selbst vertrieb, er, dessen irdisches Leben schon ein stetes, zusam- menhängendes, planmäßiges, genau bestimmtes Wirken war. So scheinbar leblos konnt Er nicht leben, am allerwenigsten in so entscheiden- den, wigtigen, kostbaren Augenblikken seines Le- bens, als ihm die Augenblikke sein mußten gleich nach seinem irdischen Tode. Auf Erden lebte also der, auf Erden gestorbne, Jesus nicht mehr, in die- ser Körperwelt brachte der, von ihr abgeschiedne, Geist des Herrn keine bestimmte, sicht- oder hör- oder fühlbare Würkungen mehr hervor. Denn nirgends finden wir davon die geringste Spur in der evangelischen Geschichte, und daran dürft es doch nicht fehlen; wir müßten hier gerade so viele Spuren wieder finden können, als Er uns gelassen hätte. Die Todtenerwekkung und Erscheinung, deren Matthäus gedenkt, hat sich entweder bei dem Tode Jesu und mit dem Erdbeben, was gleich darnach, oder auch mit dem Erdbeben, was kurz vor der Auferstehung Jesu erfolgte, zugetragen, und ist also immer Würkung des, auf Erden gegenwärtigen, Heilandes. Also war denn et- wa sein Geist, den er ia auch in die Hände seines himmlischen Vaters befohlen hatte, in seinem Tode
im Grabe und in der Hölle. harten Einwohner der Stadt, die ihn aus ihrenMauern ſtieſſen? erſchien er der Gemahlin des Pilatus im ſanften Morgentraum, oder ſchrekte er die Oberprieſter am hellen Mittag? Gewis nicht. Deun gäb es auch Geſpenſter: ſo hätte er doch in keinem Augenblik ſeines geiſtigen Le- bens ſo erſcheinen können; er, der die Furcht vor Geſpenſtern und die Geſpenſter ſelbſt vertrieb, er, deſſen irdiſches Leben ſchon ein ſtetes, zuſam- menhängendes, planmäßiges, genau beſtimmtes Wirken war. So ſcheinbar leblos konnt Er nicht leben, am allerwenigſten in ſo entſcheiden- den, wigtigen, koſtbaren Augenblikken ſeines Le- bens, als ihm die Augenblikke ſein mußten gleich nach ſeinem irdiſchen Tode. Auf Erden lebte alſo der, auf Erden geſtorbne, Jeſus nicht mehr, in die- ſer Körperwelt brachte der, von ihr abgeſchiedne, Geiſt des Herrn keine beſtimmte, ſicht- oder hör- oder fühlbare Würkungen mehr hervor. Denn nirgends finden wir davon die geringſte Spur in der evangeliſchen Geſchichte, und daran dürft es doch nicht fehlen; wir müßten hier gerade ſo viele Spuren wieder finden können, als Er uns gelaſſen hätte. Die Todtenerwekkung und Erſcheinung, deren Matthäus gedenkt, hat ſich entweder bei dem Tode Jeſu und mit dem Erdbeben, was gleich darnach, oder auch mit dem Erdbeben, was kurz vor der Auferſtehung Jeſu erfolgte, zugetragen, und iſt alſo immer Würkung des, auf Erden gegenwärtigen, Heilandes. Alſo war denn et- wa ſein Geiſt, den er ia auch in die Hände ſeines himmliſchen Vaters befohlen hatte, in ſeinem Tode
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im Grabe und in der Hölle.
harten Einwohner der Stadt, die ihn aus ihren
Mauern ſtieſſen? erſchien er der Gemahlin des
Pilatus im ſanften Morgentraum, oder ſchrekte
er die Oberprieſter am hellen Mittag? Gewis
nicht. Deun gäb es auch Geſpenſter: ſo hätte
er doch in keinem Augenblik ſeines geiſtigen Le-
bens ſo erſcheinen können; er, der die Furcht
vor Geſpenſtern und die Geſpenſter ſelbſt vertrieb,
er, deſſen irdiſches Leben ſchon ein ſtetes, zuſam-
menhängendes, planmäßiges, genau beſtimmtes
Wirken war. So ſcheinbar leblos konnt Er
nicht leben, am allerwenigſten in ſo entſcheiden-
den, wigtigen, koſtbaren Augenblikken ſeines Le-
bens, als ihm die Augenblikke ſein mußten gleich
nach ſeinem irdiſchen Tode. Auf Erden lebte alſo
der, auf Erden geſtorbne, Jeſus nicht mehr, in die-
ſer Körperwelt brachte der, von ihr abgeſchiedne,
Geiſt des Herrn keine beſtimmte, ſicht- oder hör-
oder fühlbare Würkungen mehr hervor. Denn
nirgends finden wir davon die geringſte Spur in
der evangeliſchen Geſchichte, und daran dürft es
doch nicht fehlen; wir müßten hier gerade ſo viele
Spuren wieder finden können, als Er uns gelaſſen
hätte. Die Todtenerwekkung und Erſcheinung,
deren Matthäus gedenkt, hat ſich entweder bei
dem Tode Jeſu und mit dem Erdbeben, was gleich
darnach, oder auch mit dem Erdbeben, was kurz
vor der Auferſtehung Jeſu erfolgte, zugetragen,
und iſt alſo immer Würkung des, auf Erden
gegenwärtigen, Heilandes. Alſo war denn et-
wa ſein Geiſt, den er ia auch in die Hände ſeines
himmliſchen Vaters befohlen hatte, in ſeinem
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