Wie erduldete Jesus das Selenleiden am Oelberg, von dem, wie unerklärlich auch für uns die innere Beschaffenheit desselben sei, doch das aus dem einstimmigen Bericht der drei ersten Evangelisten klar wird, daß es an sich, und auch für Jesum, das schwerste Leiden gewesen sei, wovon sich eine, doch nur kurze, Wiederkehr bei ihm fand, gegen den schweren Ausgang seiner Todesstunde? wie erduldete er dies Selenlei- den? Das wird ebenfals aus diesem einstimmi- gen Berichte klar. So wie dies Leiden ihm ans Herz trat, und alle Empfindungen seiner Menschennatur durchdrang, so, daß er anfing zu trauren, und zu zagen: so sing er auch an, von Herzen zu beten. Und wie es so weit mit ihm kam, daß er mit dem Tode rang, und daß sein Angstschweis auf die Erde siel, wie Blutstropfen: so betete er heftiger. Dies größeste und tiefste Leiden erduldete er also nicht, wie ein Mensch, wenn der es hätte tragen können, es würd' er- duldet haben, mit anfänglicher Gelassenheit, und nachmaligem, steigenden Unmuth, son- dern mit anfänglicher Unruh, und nachma- liger, steigender Geduld, der Göttliche! Sein Gemüth ward von der tiefsten Trauer durch- drungen, von der schreklichsten Angst überfallen; er, der nie gezittert hatte, auch bei der gegen- wärtigsten, ich mögte sagen, bei mehr als Lebens- gefahr, zitterte hier so, daß er sich nicht aufrecht halten konnte; er fiel nieder auf sein Angesicht; nicht blos sein Körper, seine ganze Sele zagte, und doch behielt er nicht nur Gegenwart des
Gei-
Unſer Herr
Wie erduldete Jeſus das Selenleiden am Oelberg, von dem, wie unerklärlich auch für uns die innere Beſchaffenheit deſſelben ſei, doch das aus dem einſtimmigen Bericht der drei erſten Evangeliſten klar wird, daß es an ſich, und auch für Jeſum, das ſchwerſte Leiden geweſen ſei, wovon ſich eine, doch nur kurze, Wiederkehr bei ihm fand, gegen den ſchweren Ausgang ſeiner Todesſtunde? wie erduldete er dies Selenlei- den? Das wird ebenfals aus dieſem einſtimmi- gen Berichte klar. So wie dies Leiden ihm ans Herz trat, und alle Empfindungen ſeiner Menſchennatur durchdrang, ſo, daß er anfing zu trauren, und zu zagen: ſo ſing er auch an, von Herzen zu beten. Und wie es ſo weit mit ihm kam, daß er mit dem Tode rang, und daß ſein Angſtſchweis auf die Erde ſiel, wie Blutstropfen: ſo betete er heftiger. Dies größeſte und tiefſte Leiden erduldete er alſo nicht, wie ein Menſch, wenn der es hätte tragen können, es würd’ er- duldet haben, mit anfänglicher Gelaſſenheit, und nachmaligem, ſteigenden Unmuth, ſon- dern mit anfänglicher Unruh, und nachma- liger, ſteigender Geduld, der Göttliche! Sein Gemüth ward von der tiefſten Trauer durch- drungen, von der ſchreklichſten Angſt überfallen; er, der nie gezittert hatte, auch bei der gegen- wärtigſten, ich mögte ſagen, bei mehr als Lebens- gefahr, zitterte hier ſo, daß er ſich nicht aufrecht halten konnte; er fiel nieder auf ſein Angeſicht; nicht blos ſein Körper, ſeine ganze Sele zagte, und doch behielt er nicht nur Gegenwart des
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Unſer Herr
Wie erduldete Jeſus das Selenleiden am
Oelberg, von dem, wie unerklärlich auch für uns
die innere Beſchaffenheit deſſelben ſei, doch das
aus dem einſtimmigen Bericht der drei erſten
Evangeliſten klar wird, daß es an ſich, und auch
für Jeſum, das ſchwerſte Leiden geweſen ſei,
wovon ſich eine, doch nur kurze, Wiederkehr bei
ihm fand, gegen den ſchweren Ausgang ſeiner
Todesſtunde? wie erduldete er dies Selenlei-
den? Das wird ebenfals aus dieſem einſtimmi-
gen Berichte klar. So wie dies Leiden ihm
ans Herz trat, und alle Empfindungen ſeiner
Menſchennatur durchdrang, ſo, daß er anfing zu
trauren, und zu zagen: ſo ſing er auch an, von
Herzen zu beten. Und wie es ſo weit mit ihm
kam, daß er mit dem Tode rang, und daß ſein
Angſtſchweis auf die Erde ſiel, wie Blutstropfen:
ſo betete er heftiger. Dies größeſte und tiefſte
Leiden erduldete er alſo nicht, wie ein Menſch,
wenn der es hätte tragen können, es würd’ er-
duldet haben, mit anfänglicher Gelaſſenheit,
und nachmaligem, ſteigenden Unmuth, ſon-
dern mit anfänglicher Unruh, und nachma-
liger, ſteigender Geduld, der Göttliche!
Sein Gemüth ward von der tiefſten Trauer durch-
drungen, von der ſchreklichſten Angſt überfallen;
er, der nie gezittert hatte, auch bei der gegen-
wärtigſten, ich mögte ſagen, bei mehr als Lebens-
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Thieß, Johann Otto: Unser Herr! in den lezten Tagen seines ersten und in den ersten Tagen seines andern Menschenlebens. Neue Aufl. Hannover, 1794, S. 42. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thiess_andachtsbuch_1794/56>, abgerufen am 16.02.2025.
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