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Thomasius, Christian: Außübung Der Vernunfft-Lehre. Halle (Saale), [1691].

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Das 1. H. von der Geschickligkeit

106. Der Menschliche Verstand ob er gleich
leichte erkennen kan/ daß er unzehliche Dinge
nicht begreiffen möge; so erkennet er doch
auch/ daß das menschliche Leben viel zu kurtz
sey/ hinter alle Warheiten/ derer der Ver-
stand fähig ist/ zu gelangen. Derowegen muß
der Mensch bey zeiten unter denen Künsten
und Wissenschafften eine Aussonderung
anstellen/ damit er sehe/ worauff er seine Ge-
dancken in Erforschung der Warheit zuför-
derst zu richten habe.

107. Die Wissenschafften die heut zu tage
in der Welt im schwange gehen/ sind entwe-
der dahin gerichtet/ daß sie den Nutzen des
menschlichen Geschlechts
befördern/ oder daß
sie das Gemüthe mehr belustigen/ und zum
Studieren eine Lust erwecken/ oder daß sie we-
der nutzen noch auff eine vernünfftige Weise
belustigen/ sondern entweder das praejudici-
um autoritatis stabiliren,
oder aber den zur
praecipitanz geneigten menschlichen Ver-
stand darinnen bekräfftigen/ und eine verbote-
ne Lust
zuwege bringen.

108. Von allen und ieden dieser itzt erzehl-
ter Classen etwas ausführlich zu handeln/ ist
itzo unsers Vorhabens nicht/ weil wir hierzu

einen
Das 1. H. von der Geſchickligkeit

106. Der Menſchliche Verſtand ob er gleich
leichte erkennen kan/ daß er unzehliche Dinge
nicht begreiffen moͤge; ſo erkennet er doch
auch/ daß das menſchliche Leben viel zu kurtz
ſey/ hinter alle Warheiten/ derer der Ver-
ſtand faͤhig iſt/ zu gelangen. Derowegen muß
der Menſch bey zeiten unter denen Kuͤnſten
und Wiſſenſchafften eine Ausſonderung
anſtellen/ damit er ſehe/ worauff er ſeine Ge-
dancken in Erforſchung der Warheit zufoͤr-
derſt zu richten habe.

107. Die Wiſſenſchafften die heut zu tage
in der Welt im ſchwange gehen/ ſind entwe-
der dahin gerichtet/ daß ſie den Nutzen des
menſchlichen Geſchlechts
befoͤrdern/ oder daß
ſie das Gemuͤthe mehr beluſtigen/ und zum
Studieren eine Luſt erwecken/ oder daß ſie we-
der nutzen noch auff eine vernuͤnfftige Weiſe
beluſtigen/ ſondern entweder das præjudici-
um autoritatis ſtabiliren,
oder aber den zur
præcipitanz geneigten menſchlichen Ver-
ſtand darinnen bekraͤfftigen/ und eine verbote-
ne Luſt
zuwege bringen.

108. Von allen und ieden dieſer itzt erzehl-
ter Claſſen etwas ausfuͤhrlich zu handeln/ iſt
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[52/0078] Das 1. H. von der Geſchickligkeit 106. Der Menſchliche Verſtand ob er gleich leichte erkennen kan/ daß er unzehliche Dinge nicht begreiffen moͤge; ſo erkennet er doch auch/ daß das menſchliche Leben viel zu kurtz ſey/ hinter alle Warheiten/ derer der Ver- ſtand faͤhig iſt/ zu gelangen. Derowegen muß der Menſch bey zeiten unter denen Kuͤnſten und Wiſſenſchafften eine Ausſonderung anſtellen/ damit er ſehe/ worauff er ſeine Ge- dancken in Erforſchung der Warheit zufoͤr- derſt zu richten habe. 107. Die Wiſſenſchafften die heut zu tage in der Welt im ſchwange gehen/ ſind entwe- der dahin gerichtet/ daß ſie den Nutzen des menſchlichen Geſchlechts befoͤrdern/ oder daß ſie das Gemuͤthe mehr beluſtigen/ und zum Studieren eine Luſt erwecken/ oder daß ſie we- der nutzen noch auff eine vernuͤnfftige Weiſe beluſtigen/ ſondern entweder das præjudici- um autoritatis ſtabiliren, oder aber den zur præcipitanz geneigten menſchlichen Ver- ſtand darinnen bekraͤfftigen/ und eine verbote- ne Luſt zuwege bringen. 108. Von allen und ieden dieſer itzt erzehl- ter Claſſen etwas ausfuͤhrlich zu handeln/ iſt itzo unſers Vorhabens nicht/ weil wir hierzu einen

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Zitationshilfe: Thomasius, Christian: Außübung Der Vernunfft-Lehre. Halle (Saale), [1691], S. 52. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_ausuebungvernunfftlehre_1691/78>, abgerufen am 21.05.2024.