Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Thomasius, Christian: Von der Kunst Vernünfftig und Tugendhafft zu lieben. Halle (Saale), 1692.

Bild:
<< vorherige Seite

Liebe anderer Menschen.
te das blinde Glück nennen/ spielet mit ihnen
auff gleiche Weise/ und erhebet bald einen Bett-
ler/ daß er reich und mächtig wird/ bald aber stür-
tzet sie den mächtigsten König in die äußerste Ar-
muth und Verachtung. Endlich haben alle Men-
schen weil sie gleicher Weise unter Gott sind/ und
der elendeste Mensch sich von Gott gleicher Lie-
be
als der vornehmste zu versehen hat; sich auch
gleiches Recht bey ihm zu versichern/ und muß
für diesem Thron auch der allerhochmüthigste
für die geringste Beleidigung/ die er dem allerge-
ringsten Menschen anthut/ gleiche Rechen-
schafft
geben/ und gleicher Straffe gewärtig
seyn.

5.

Wilstu noch diese Gleichheit beyfügen/ daß
alle Menschen verderbet sind/ und daß der arm-
seligste/ kränckeste tummeste Mensch/ den vortref-
lichsten/ stärckesten und verschlagensten/ wo nicht
mit offenbahrer Gewalt/ doch mit List/ den grö-
sten Schaden
thun könne; kan ich es zwar wohl
leiden; aber diese Gleichheit gehöret nicht hieher/
weil sie keine Ursache der Liebe/ sondern des
Hasses ist. Erwege vielmehr/ wenn du noch et-
was hinzu setzen wilst/ daß in Gegentheil auch der
elendeste Mensch zuweilen dem mächtigsten und
vortrefflichsten Manne die grösten Dienste
thun kan.

6.

Neben dieser allgemeinen Gleichheit der
Menschen gibt es noch eine andere absonderli-
che/
die nicht bey allen Menschen/ sondern nur

bey
N 4

Liebe anderer Menſchen.
te das blinde Gluͤck nennen/ ſpielet mit ihnen
auff gleiche Weiſe/ und erhebet bald einen Bett-
ler/ daß er reich und maͤchtig wird/ bald aber ſtuͤr-
tzet ſie den maͤchtigſten Koͤnig in die aͤußerſte Ar-
muth und Verachtung. Endlich haben alle Men-
ſchen weil ſie gleicher Weiſe unter Gott ſind/ und
der elendeſte Menſch ſich von Gott gleicher Lie-
be
als der vornehmſte zu verſehen hat; ſich auch
gleiches Recht bey ihm zu verſichern/ und muß
fuͤr dieſem Thron auch der allerhochmuͤthigſte
fuͤr die geringſte Beleidigung/ die er dem allerge-
ringſten Menſchen anthut/ gleiche Rechen-
ſchafft
geben/ und gleicher Straffe gewaͤrtig
ſeyn.

5.

Wilſtu noch dieſe Gleichheit beyfuͤgen/ daß
alle Menſchen verderbet ſind/ und daß der arm-
ſeligſte/ kraͤnckeſte tummeſte Menſch/ den vortref-
lichſten/ ſtaͤrckeſten und verſchlagenſten/ wo nicht
mit offenbahrer Gewalt/ doch mit Liſt/ den groͤ-
ſten Schaden
thun koͤnne; kan ich es zwar wohl
leiden; aber dieſe Gleichheit gehoͤret nicht hieher/
weil ſie keine Urſache der Liebe/ ſondern des
Haſſes iſt. Erwege vielmehr/ wenn du noch et-
was hinzu ſetzen wilſt/ daß in Gegentheil auch der
elendeſte Menſch zuweilen dem maͤchtigſten und
vortrefflichſten Manne die groͤſten Dienſte
thun kan.

6.

Neben dieſer allgemeinen Gleichheit der
Menſchen gibt es noch eine andere abſonderli-
che/
die nicht bey allen Menſchen/ ſondern nur

bey
N 4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0231" n="201[199]"/><fw place="top" type="header">Liebe anderer Men&#x017F;chen.</fw><lb/>
te das blinde Glu&#x0364;ck nennen/ &#x017F;pielet mit ihnen<lb/>
auff gleiche Wei&#x017F;e/ und erhebet bald einen Bett-<lb/>
ler/ daß er reich und ma&#x0364;chtig wird/ bald aber &#x017F;tu&#x0364;r-<lb/>
tzet &#x017F;ie den ma&#x0364;chtig&#x017F;ten Ko&#x0364;nig in die a&#x0364;ußer&#x017F;te Ar-<lb/>
muth und Verachtung. Endlich haben alle Men-<lb/>
&#x017F;chen weil &#x017F;ie gleicher Wei&#x017F;e unter Gott &#x017F;ind/ und<lb/>
der elende&#x017F;te Men&#x017F;ch &#x017F;ich von Gott <hi rendition="#fr">gleicher Lie-<lb/>
be</hi> als der vornehm&#x017F;te zu ver&#x017F;ehen hat; &#x017F;ich auch<lb/><hi rendition="#fr">gleiches Recht</hi> bey ihm zu ver&#x017F;ichern/ und muß<lb/>
fu&#x0364;r die&#x017F;em Thron auch der allerhochmu&#x0364;thig&#x017F;te<lb/>
fu&#x0364;r die gering&#x017F;te Beleidigung/ die er dem allerge-<lb/>
ring&#x017F;ten Men&#x017F;chen anthut/ <hi rendition="#fr">gleiche Rechen-<lb/>
&#x017F;chafft</hi> geben/ und <hi rendition="#fr">gleicher Straffe</hi> gewa&#x0364;rtig<lb/>
&#x017F;eyn.</p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head>5.</head>
            <p>Wil&#x017F;tu noch die&#x017F;e Gleichheit beyfu&#x0364;gen/ daß<lb/>
alle Men&#x017F;chen verderbet &#x017F;ind/ und daß der arm-<lb/>
&#x017F;elig&#x017F;te/ kra&#x0364;ncke&#x017F;te tumme&#x017F;te Men&#x017F;ch/ den vortref-<lb/>
lich&#x017F;ten/ &#x017F;ta&#x0364;rcke&#x017F;ten und ver&#x017F;chlagen&#x017F;ten/ wo nicht<lb/>
mit offenbahrer Gewalt/ doch mit Li&#x017F;t/ den <hi rendition="#fr">gro&#x0364;-<lb/>
&#x017F;ten Schaden</hi> thun ko&#x0364;nne; kan ich es zwar wohl<lb/>
leiden; aber die&#x017F;e Gleichheit geho&#x0364;ret nicht hieher/<lb/>
weil &#x017F;ie keine <hi rendition="#fr">Ur&#x017F;ache der Liebe/</hi> &#x017F;ondern des<lb/>
Ha&#x017F;&#x017F;es i&#x017F;t. Erwege vielmehr/ wenn du noch et-<lb/>
was hinzu &#x017F;etzen wil&#x017F;t/ daß in Gegentheil auch der<lb/>
elende&#x017F;te Men&#x017F;ch zuweilen dem ma&#x0364;chtig&#x017F;ten und<lb/>
vortrefflich&#x017F;ten Manne die <hi rendition="#fr">gro&#x0364;&#x017F;ten Dien&#x017F;te</hi><lb/>
thun kan.</p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head>6.</head>
            <p>Neben die&#x017F;er allgemeinen Gleichheit der<lb/>
Men&#x017F;chen gibt es noch eine andere <hi rendition="#fr">ab&#x017F;onderli-<lb/>
che/</hi> die nicht bey allen Men&#x017F;chen/ &#x017F;ondern nur<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">N 4</fw><fw place="bottom" type="catch">bey</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[201[199]/0231] Liebe anderer Menſchen. te das blinde Gluͤck nennen/ ſpielet mit ihnen auff gleiche Weiſe/ und erhebet bald einen Bett- ler/ daß er reich und maͤchtig wird/ bald aber ſtuͤr- tzet ſie den maͤchtigſten Koͤnig in die aͤußerſte Ar- muth und Verachtung. Endlich haben alle Men- ſchen weil ſie gleicher Weiſe unter Gott ſind/ und der elendeſte Menſch ſich von Gott gleicher Lie- be als der vornehmſte zu verſehen hat; ſich auch gleiches Recht bey ihm zu verſichern/ und muß fuͤr dieſem Thron auch der allerhochmuͤthigſte fuͤr die geringſte Beleidigung/ die er dem allerge- ringſten Menſchen anthut/ gleiche Rechen- ſchafft geben/ und gleicher Straffe gewaͤrtig ſeyn. 5. Wilſtu noch dieſe Gleichheit beyfuͤgen/ daß alle Menſchen verderbet ſind/ und daß der arm- ſeligſte/ kraͤnckeſte tummeſte Menſch/ den vortref- lichſten/ ſtaͤrckeſten und verſchlagenſten/ wo nicht mit offenbahrer Gewalt/ doch mit Liſt/ den groͤ- ſten Schaden thun koͤnne; kan ich es zwar wohl leiden; aber dieſe Gleichheit gehoͤret nicht hieher/ weil ſie keine Urſache der Liebe/ ſondern des Haſſes iſt. Erwege vielmehr/ wenn du noch et- was hinzu ſetzen wilſt/ daß in Gegentheil auch der elendeſte Menſch zuweilen dem maͤchtigſten und vortrefflichſten Manne die groͤſten Dienſte thun kan. 6. Neben dieſer allgemeinen Gleichheit der Menſchen gibt es noch eine andere abſonderli- che/ die nicht bey allen Menſchen/ ſondern nur bey N 4

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_einleitungsittenlehre_1692
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_einleitungsittenlehre_1692/231
Zitationshilfe: Thomasius, Christian: Von der Kunst Vernünfftig und Tugendhafft zu lieben. Halle (Saale), 1692, S. 201[199]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_einleitungsittenlehre_1692/231>, abgerufen am 22.11.2024.