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Thomasius, Christian: Von der Kunst Vernünfftig und Tugendhafft zu lieben. Halle (Saale), 1692.

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vernünfftigen Liebe überhaupt.
wäre; Denn ein Feind hält uns doch noch für
seines gleichen/ weil er sich über uns erzürnet.
Aber ein Mensch der unsere Liebe verschmähet/
setzet uns gleichsam dadurch aus der Menschheit
heraus/ in dem alle Menschen fähig sind von al-
len Menschen geliebet zu werden; Ja er beschuldi-
get uns gleichsam dadurch der gröbsten Laster/
weil kein Mensch der absonderlichen Freundschaft
unwürdig ist/ als der nicht Tugendhafft ist.

47.

So schätzbar aber und so nöthig die sorg-
fältige Gefälligkeit bey der Liebe ist/ so wenig ist sie
die fürtrefflichste Tugend der Liebe. Sie jaget
der Liebe nur nach/ und erkläret auf unserer Seite/
daß wir zur Liebe bereit seyn/ wenn wir die andere
Person dergestalt beschaffen befinden/ daß sie un-
sere Liebe annehmen wolle. Sie ist eine ehrliche
Kundschaffterin/ den andern zu erforschen/ ob
er unserer Liebe würdig sey. Die Bezeugun-
gen derselben sind viel zu geringe/ als daß man
sie für Wirckung der rechten Liebe und
Freundschafft ausgeben könne. Dannenhero
muß sie weichen/ so bald die rechte Liebe angehet/
das ist/ so bald wir der Gegen-Liebe des andern
oder seiner Tugend anfangen versichert zu wer-
den/ und andern vortrefflichern Tugenden Platz
geben.

48.

Laßt uns aber diese Betrachtung so klar
und deutlich sie auch ist/ nicht so obenhin berühren/
sondern etliche Anmerckungen daraus herleiten/
die nothwendig mit derselben verknüpfft seyn müs-

sen/
S 3

vernuͤnfftigen Liebe uͤberhaupt.
waͤre; Denn ein Feind haͤlt uns doch noch fuͤr
ſeines gleichen/ weil er ſich uͤber uns erzuͤrnet.
Aber ein Menſch der unſere Liebe verſchmaͤhet/
ſetzet uns gleichſam dadurch aus der Menſchheit
heraus/ in dem alle Menſchen faͤhig ſind von al-
len Menſchen geliebet zu werden; Ja er beſchuldi-
get uns gleichſam dadurch der groͤbſten Laſter/
weil kein Menſch der abſonderlichen Freundſchaft
unwuͤrdig iſt/ als der nicht Tugendhafft iſt.

47.

So ſchaͤtzbar aber und ſo noͤthig die ſorg-
faͤltige Gefaͤlligkeit bey der Liebe iſt/ ſo wenig iſt ſie
die fuͤrtrefflichſte Tugend der Liebe. Sie jaget
der Liebe nur nach/ und erklaͤret auf unſerer Seite/
daß wir zur Liebe bereit ſeyn/ wenn wir die andere
Perſon dergeſtalt beſchaffen befinden/ daß ſie un-
ſere Liebe annehmen wolle. Sie iſt eine ehrliche
Kundſchaffterin/ den andern zu erforſchen/ ob
er unſerer Liebe wuͤrdig ſey. Die Bezeugun-
gen derſelben ſind viel zu geringe/ als daß man
ſie fuͤr Wirckung der rechten Liebe und
Freundſchafft ausgeben koͤnne. Dannenhero
muß ſie weichen/ ſo bald die rechte Liebe angehet/
das iſt/ ſo bald wir der Gegen-Liebe des andern
oder ſeiner Tugend anfangen verſichert zu wer-
den/ und andern vortrefflichern Tugenden Platz
geben.

48.

Laßt uns aber dieſe Betrachtung ſo klar
und deutlich ſie auch iſt/ nicht ſo obenhin beruͤhren/
ſondern etliche Anmerckungen daraus herleiten/
die nothwendig mit derſelben verknuͤpfft ſeyn muͤſ-

ſen/
S 3
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[281[277]/0309] vernuͤnfftigen Liebe uͤberhaupt. waͤre; Denn ein Feind haͤlt uns doch noch fuͤr ſeines gleichen/ weil er ſich uͤber uns erzuͤrnet. Aber ein Menſch der unſere Liebe verſchmaͤhet/ ſetzet uns gleichſam dadurch aus der Menſchheit heraus/ in dem alle Menſchen faͤhig ſind von al- len Menſchen geliebet zu werden; Ja er beſchuldi- get uns gleichſam dadurch der groͤbſten Laſter/ weil kein Menſch der abſonderlichen Freundſchaft unwuͤrdig iſt/ als der nicht Tugendhafft iſt. 47. So ſchaͤtzbar aber und ſo noͤthig die ſorg- faͤltige Gefaͤlligkeit bey der Liebe iſt/ ſo wenig iſt ſie die fuͤrtrefflichſte Tugend der Liebe. Sie jaget der Liebe nur nach/ und erklaͤret auf unſerer Seite/ daß wir zur Liebe bereit ſeyn/ wenn wir die andere Perſon dergeſtalt beſchaffen befinden/ daß ſie un- ſere Liebe annehmen wolle. Sie iſt eine ehrliche Kundſchaffterin/ den andern zu erforſchen/ ob er unſerer Liebe wuͤrdig ſey. Die Bezeugun- gen derſelben ſind viel zu geringe/ als daß man ſie fuͤr Wirckung der rechten Liebe und Freundſchafft ausgeben koͤnne. Dannenhero muß ſie weichen/ ſo bald die rechte Liebe angehet/ das iſt/ ſo bald wir der Gegen-Liebe des andern oder ſeiner Tugend anfangen verſichert zu wer- den/ und andern vortrefflichern Tugenden Platz geben. 48. Laßt uns aber dieſe Betrachtung ſo klar und deutlich ſie auch iſt/ nicht ſo obenhin beruͤhren/ ſondern etliche Anmerckungen daraus herleiten/ die nothwendig mit derſelben verknuͤpfft ſeyn muͤſ- ſen/ S 3

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Zitationshilfe: Thomasius, Christian: Von der Kunst Vernünfftig und Tugendhafft zu lieben. Halle (Saale), 1692, S. 281[277]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_einleitungsittenlehre_1692/309>, abgerufen am 22.11.2024.