Thomasius, Christian: Von der Kunst Vernünfftig und Tugendhafft zu lieben. Halle (Saale), 1692.vernünfftigen Liebe überhaupt. man sein Vertrauen einander zu bezeigen gutthä-tig seyn müsse. Denn es ist ja so natürlich/ daß das Vertrauen oder die Vertraulichkeit vor der Gutthätigkeit vorgehe/ als die Hochach- tung vor der sorgfältigen Gefälligkeit. So lan- ge als man sich noch der Gefälligkeit bedienet/ ist man zwischen Furcht und Hoffnung/ und folglich kan man sich noch keines Vertrauens rühmen; Wo man die Liebe noch suchet/ da zweiffelt man; und wo man zweiffelt/ ist man noch ein wenig miß- trauisch. Wo man aber dieselbe anfänget zu finden/ da muß das Suchen und Zweiffeln auff- hören/ und wo man einander durch die sorgfältige Gefälligkeit gleichsam biß in das Jnnerste des Hertzens siehet/ da muß nothwendig ein Ver- trauen entstehen/ daß uns die geliebte Person nicht hintergehen könne noch wolle. Ja da muß man nothwendig anfangen gegen einander ver- traulich zu werden/ weil man Wechsels-Weise erkennet/ daß man sich ferner weder für einander verbergen könne/ noch solches zu thun Ursache habe. 55. Ferner gleich wie ohne die vorhergehende 56. Hier- S 5
vernuͤnfftigen Liebe uͤberhaupt. man ſein Vertrauen einander zu bezeigen gutthaͤ-tig ſeyn muͤſſe. Denn es iſt ja ſo natuͤrlich/ daß das Vertrauen oder die Vertraulichkeit vor der Gutthaͤtigkeit vorgehe/ als die Hochach- tung vor der ſorgfaͤltigen Gefaͤlligkeit. So lan- ge als man ſich noch der Gefaͤlligkeit bedienet/ iſt man zwiſchen Furcht und Hoffnung/ und folglich kan man ſich noch keines Vertrauens ruͤhmen; Wo man die Liebe noch ſuchet/ da zweiffelt man; und wo man zweiffelt/ iſt man noch ein wenig miß- trauiſch. Wo man aber dieſelbe anfaͤnget zu finden/ da muß das Suchen und Zweiffeln auff- hoͤren/ und wo man einander durch die ſorgfaͤltige Gefaͤlligkeit gleichſam biß in das Jnnerſte des Hertzens ſiehet/ da muß nothwendig ein Ver- trauen entſtehen/ daß uns die geliebte Perſon nicht hintergehen koͤnne noch wolle. Ja da muß man nothwendig anfangen gegen einander ver- traulich zu werden/ weil man Wechſels-Weiſe erkennet/ daß man ſich ferner weder fuͤr einander verbergen koͤnne/ noch ſolches zu thun Urſache habe. 55. Ferner gleich wie ohne die vorhergehende 56. Hier- S 5
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0313" n="285[281]"/><fw place="top" type="header">vernuͤnfftigen Liebe uͤberhaupt.</fw><lb/> man ſein Vertrauen einander zu bezeigen gutthaͤ-<lb/> tig ſeyn muͤſſe. Denn es iſt ja ſo natuͤrlich/ daß<lb/><hi rendition="#fr">das Vertrauen oder die Vertraulichkeit vor<lb/> der Gutthaͤtigkeit vorgehe/</hi> als die Hochach-<lb/> tung vor der ſorgfaͤltigen Gefaͤlligkeit. So lan-<lb/> ge als man ſich noch der Gefaͤlligkeit bedienet/ iſt<lb/> man zwiſchen Furcht und Hoffnung/ und folglich<lb/> kan man ſich noch keines Vertrauens ruͤhmen;<lb/> Wo man die Liebe noch ſuchet/ da zweiffelt man;<lb/> und wo man zweiffelt/ iſt man noch ein wenig miß-<lb/> trauiſch. Wo man aber dieſelbe anfaͤnget zu<lb/> finden/ da muß das Suchen und Zweiffeln auff-<lb/> hoͤren/ und wo man einander durch die ſorgfaͤltige<lb/> Gefaͤlligkeit gleichſam biß in das Jnnerſte des<lb/> Hertzens ſiehet/ da muß nothwendig <hi rendition="#fr">ein Ver-<lb/> trauen</hi> entſtehen/ daß uns die geliebte Perſon<lb/> nicht hintergehen koͤnne noch wolle. Ja da muß<lb/> man nothwendig anfangen gegen einander <hi rendition="#fr">ver-<lb/> traulich zu werden/</hi> weil man Wechſels-Weiſe<lb/> erkennet/ daß man ſich ferner weder fuͤr einander<lb/> verbergen koͤnne/ noch ſolches zu thun Urſache<lb/> habe.</p> </div><lb/> <div n="3"> <head>55.</head> <p>Ferner gleich wie ohne die vorhergehende<lb/> Hochachtung keine Liebe oder Gefaͤlligkeit ver-<lb/> nuͤnfftig iſt; alſo iſt auch <hi rendition="#fr">keine Gutthaͤtigkeit<lb/> vernuͤnfftig/ wenn nicht dieſes Vertranen<lb/> vorhergehet/</hi> und alſo iſt in Anſehen deſſen ein<lb/> mercklicher Unterſchied zwiſchen denen Dienſten<lb/> der Gefaͤlligkeit und denen Gutthaten/ weil das<lb/> Vertrauen jener ihre Tochter/ und dieſer ihre<lb/> Mutter iſt.</p> </div><lb/> <fw place="bottom" type="sig">S 5</fw> <fw place="bottom" type="catch">56. Hier-</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [285[281]/0313]
vernuͤnfftigen Liebe uͤberhaupt.
man ſein Vertrauen einander zu bezeigen gutthaͤ-
tig ſeyn muͤſſe. Denn es iſt ja ſo natuͤrlich/ daß
das Vertrauen oder die Vertraulichkeit vor
der Gutthaͤtigkeit vorgehe/ als die Hochach-
tung vor der ſorgfaͤltigen Gefaͤlligkeit. So lan-
ge als man ſich noch der Gefaͤlligkeit bedienet/ iſt
man zwiſchen Furcht und Hoffnung/ und folglich
kan man ſich noch keines Vertrauens ruͤhmen;
Wo man die Liebe noch ſuchet/ da zweiffelt man;
und wo man zweiffelt/ iſt man noch ein wenig miß-
trauiſch. Wo man aber dieſelbe anfaͤnget zu
finden/ da muß das Suchen und Zweiffeln auff-
hoͤren/ und wo man einander durch die ſorgfaͤltige
Gefaͤlligkeit gleichſam biß in das Jnnerſte des
Hertzens ſiehet/ da muß nothwendig ein Ver-
trauen entſtehen/ daß uns die geliebte Perſon
nicht hintergehen koͤnne noch wolle. Ja da muß
man nothwendig anfangen gegen einander ver-
traulich zu werden/ weil man Wechſels-Weiſe
erkennet/ daß man ſich ferner weder fuͤr einander
verbergen koͤnne/ noch ſolches zu thun Urſache
habe.
55. Ferner gleich wie ohne die vorhergehende
Hochachtung keine Liebe oder Gefaͤlligkeit ver-
nuͤnfftig iſt; alſo iſt auch keine Gutthaͤtigkeit
vernuͤnfftig/ wenn nicht dieſes Vertranen
vorhergehet/ und alſo iſt in Anſehen deſſen ein
mercklicher Unterſchied zwiſchen denen Dienſten
der Gefaͤlligkeit und denen Gutthaten/ weil das
Vertrauen jener ihre Tochter/ und dieſer ihre
Mutter iſt.
56. Hier-
S 5
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |