Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Thomasius, Christian: Von der Kunst Vernünfftig und Tugendhafft zu lieben. Halle (Saale), 1692.

Bild:
<< vorherige Seite

Das 1. Hauptst. von der Gelahrheit
Vernunfft zu wider wäre/ und nicht vielmehr
der Gebrauch der gesunden Vernunfft selbsten
in der Gemüths-Ruhe/ diese aber in einer stillen
Belustigung bestände.

103.

Sprichst du gleich: diese mäßigen Be-
lustigungen und alle Belustigungen des Ge-
müths
wären keine belustigende Güter/ weil
das belustigende Gut eintzig und alleine in sehr
empfindlichen Berührungen der
Sinnlig-
keiten bestünde/ Z. e. in einer Wollust/ in delica-
ten Essen und Trincken/ und andern Dingen/ die
wie Wohllüste des Leibes nennen; So ist doch
diese Ausflucht sehr unvernünfftig. Denn erst-
lich haben wir schon oben erwiesen/ daß alle
empfindliche Belustigung ein Schein-Gut/

oder deutlicher etwas böses sey/ und daß denen
mäßigen Belustigungen alleine die Beschreibung
des Guten zukomme.

104.

Zum andern/ gleichwie es eine grosse
Thorheit seyn würde/ wenn wir vermeinen wol-
ten/ daß ein Säuffer/ Spieler und Huhrer in
dem Augenblick seiner Belustigung kein Ver-
gnügen fühlen solte; also wäre es auch unge-
schickt/ wenn man diejenigen/ die die Belusti-
gung der Seelen
würcklich empsinden/ bere-
den wolte/ ihre Empfindligkeit betröge sie.
Denn daß ich anjetzo nichts von der stillen Lust
und ruhigen Vergnügen eines warhafftig wei-
sen und tugendhafften Mannes erwehne/ so ist
wohl ausser Zweiffel/ daß das Gemüthe eines

Ehr-

Das 1. Hauptſt. von der Gelahrheit
Vernunfft zu wider waͤre/ und nicht vielmehr
der Gebrauch der geſunden Vernunfft ſelbſten
in der Gemuͤths-Ruhe/ dieſe aber in einer ſtillen
Beluſtigung beſtaͤnde.

103.

Sprichſt du gleich: dieſe maͤßigen Be-
luſtigungen und alle Beluſtigungen des Ge-
muͤths
waͤren keine beluſtigende Guͤter/ weil
das beluſtigende Gut eintzig und alleine in ſehr
empfindlichen Beruͤhrungen der
Sinnlig-
keiten beſtuͤnde/ Z. e. in einer Wolluſt/ in delica-
ten Eſſen und Trincken/ und andern Dingen/ die
wie Wohlluͤſte des Leibes nennen; So iſt doch
dieſe Ausflucht ſehr unvernuͤnfftig. Denn erſt-
lich haben wir ſchon oben erwieſen/ daß alle
empfindliche Beluſtigung ein Schein-Gut/

oder deutlicher etwas boͤſes ſey/ und daß denen
maͤßigen Beluſtigungen alleine die Beſchreibung
des Guten zukomme.

104.

Zum andern/ gleichwie es eine groſſe
Thorheit ſeyn wuͤrde/ wenn wir vermeinen wol-
ten/ daß ein Saͤuffer/ Spieler und Huhrer in
dem Augenblick ſeiner Beluſtigung kein Ver-
gnuͤgen fuͤhlen ſolte; alſo waͤre es auch unge-
ſchickt/ wenn man diejenigen/ die die Beluſti-
gung der Seelen
wuͤrcklich empſinden/ bere-
den wolte/ ihre Empfindligkeit betroͤge ſie.
Denn daß ich anjetzo nichts von der ſtillen Luſt
und ruhigen Vergnuͤgen eines warhafftig wei-
ſen und tugendhafften Mannes erwehne/ ſo iſt
wohl auſſer Zweiffel/ daß das Gemuͤthe eines

Ehr-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0070" n="38"/><fw place="top" type="header">Das 1. Haupt&#x017F;t. von der Gelahrheit</fw><lb/>
Vernunfft zu wider wa&#x0364;re/ und nicht vielmehr<lb/>
der Gebrauch der ge&#x017F;unden Vernunfft &#x017F;elb&#x017F;ten<lb/>
in der Gemu&#x0364;ths-Ruhe/ die&#x017F;e aber in einer &#x017F;tillen<lb/>
Belu&#x017F;tigung be&#x017F;ta&#x0364;nde.</p>
        </div><lb/>
        <div n="2">
          <head>103.</head>
          <p>Sprich&#x017F;t du gleich: <hi rendition="#fr">die&#x017F;e ma&#x0364;ßigen Be-<lb/>
lu&#x017F;tigungen und alle Belu&#x017F;tigungen des Ge-<lb/>
mu&#x0364;ths</hi> wa&#x0364;ren keine belu&#x017F;tigende Gu&#x0364;ter/ weil<lb/>
das belu&#x017F;tigende Gut eintzig und alleine <hi rendition="#fr">in &#x017F;ehr<lb/>
empfindlichen Beru&#x0364;hrungen der</hi> Sinnlig-<lb/>
keiten be&#x017F;tu&#x0364;nde/ Z. e. in einer Wollu&#x017F;t/ in <hi rendition="#aq">delica-</hi><lb/>
ten E&#x017F;&#x017F;en und Trincken/ und andern Dingen/ die<lb/>
wie Wohllu&#x0364;&#x017F;te des Leibes nennen; So i&#x017F;t doch<lb/>
die&#x017F;e Ausflucht &#x017F;ehr unvernu&#x0364;nfftig. Denn er&#x017F;t-<lb/>
lich haben wir &#x017F;chon oben erwie&#x017F;en/ <hi rendition="#fr">daß alle<lb/>
empfindliche Belu&#x017F;tigung ein Schein-Gut/</hi><lb/>
oder deutlicher etwas bo&#x0364;&#x017F;es &#x017F;ey/ und daß denen<lb/>
ma&#x0364;ßigen Belu&#x017F;tigungen alleine die Be&#x017F;chreibung<lb/>
des Guten zukomme.</p>
        </div><lb/>
        <div n="2">
          <head>104.</head>
          <p>Zum andern/ gleichwie es eine gro&#x017F;&#x017F;e<lb/>
Thorheit &#x017F;eyn wu&#x0364;rde/ wenn wir vermeinen wol-<lb/>
ten/ daß ein Sa&#x0364;uffer/ Spieler und Huhrer in<lb/>
dem Augenblick &#x017F;einer Belu&#x017F;tigung kein Ver-<lb/>
gnu&#x0364;gen fu&#x0364;hlen &#x017F;olte; al&#x017F;o wa&#x0364;re es auch unge-<lb/>
&#x017F;chickt/ wenn man diejenigen/ die die <hi rendition="#fr">Belu&#x017F;ti-<lb/>
gung der Seelen</hi> wu&#x0364;rcklich emp&#x017F;inden/ bere-<lb/>
den wolte/ ihre Empfindligkeit betro&#x0364;ge &#x017F;ie.<lb/>
Denn daß ich anjetzo nichts von der &#x017F;tillen Lu&#x017F;t<lb/>
und ruhigen Vergnu&#x0364;gen eines warhafftig wei-<lb/>
&#x017F;en und tugendhafften Mannes erwehne/ &#x017F;o i&#x017F;t<lb/>
wohl au&#x017F;&#x017F;er Zweiffel/ daß das Gemu&#x0364;the eines<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Ehr-</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[38/0070] Das 1. Hauptſt. von der Gelahrheit Vernunfft zu wider waͤre/ und nicht vielmehr der Gebrauch der geſunden Vernunfft ſelbſten in der Gemuͤths-Ruhe/ dieſe aber in einer ſtillen Beluſtigung beſtaͤnde. 103. Sprichſt du gleich: dieſe maͤßigen Be- luſtigungen und alle Beluſtigungen des Ge- muͤths waͤren keine beluſtigende Guͤter/ weil das beluſtigende Gut eintzig und alleine in ſehr empfindlichen Beruͤhrungen der Sinnlig- keiten beſtuͤnde/ Z. e. in einer Wolluſt/ in delica- ten Eſſen und Trincken/ und andern Dingen/ die wie Wohlluͤſte des Leibes nennen; So iſt doch dieſe Ausflucht ſehr unvernuͤnfftig. Denn erſt- lich haben wir ſchon oben erwieſen/ daß alle empfindliche Beluſtigung ein Schein-Gut/ oder deutlicher etwas boͤſes ſey/ und daß denen maͤßigen Beluſtigungen alleine die Beſchreibung des Guten zukomme. 104. Zum andern/ gleichwie es eine groſſe Thorheit ſeyn wuͤrde/ wenn wir vermeinen wol- ten/ daß ein Saͤuffer/ Spieler und Huhrer in dem Augenblick ſeiner Beluſtigung kein Ver- gnuͤgen fuͤhlen ſolte; alſo waͤre es auch unge- ſchickt/ wenn man diejenigen/ die die Beluſti- gung der Seelen wuͤrcklich empſinden/ bere- den wolte/ ihre Empfindligkeit betroͤge ſie. Denn daß ich anjetzo nichts von der ſtillen Luſt und ruhigen Vergnuͤgen eines warhafftig wei- ſen und tugendhafften Mannes erwehne/ ſo iſt wohl auſſer Zweiffel/ daß das Gemuͤthe eines Ehr-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_einleitungsittenlehre_1692
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_einleitungsittenlehre_1692/70
Zitationshilfe: Thomasius, Christian: Von der Kunst Vernünfftig und Tugendhafft zu lieben. Halle (Saale), 1692, S. 38. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_einleitungsittenlehre_1692/70>, abgerufen am 26.11.2024.