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Thomasius, Christian: Einleitung zu der Vernunfft-Lehre. Halle (Saale), 1691.

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Das 10. Hauptst. von warscheinl.
man von einem einigen individuo auff an-
dere schliesset/ weil 1. der 0. oder nichts am
nechsten ist/ und oben haben wir gesagt/ daß
das Falsche nichts sey.

58. Aber hier wirffst du ein: Wie soll ich
denn ideas oder abstractiones universa-
liter veras,
von denen abstractionibus ve-
rosimilibus
entscheiden? Alle propositio-
nes universales
werden von den individuis
abstrahirt,
und gleichsam in inductionem
resolvirt.
Nun hast du aber oben selbst ge-
sagt/ daß ein Mensch ohnmöglich alle indi-
vidua
zu denen Sinnligkeiten bringen kön-
ne/ und also wird kein Mensch veras ideas
besitzen/ sondern lauter propositiones vero-
similes.

59. Dieser Einwurff ist nicht zu verach-
ten/ denn er ist sehr wahrscheinlich/ aber er ist
doch nicht unstreitig wahr/ weil dich dein eigen
Gewissen eines andern überzeigen soll. Jsts
nicht wahr? du hast alsbald in deiner zarten
Jugend dir ein gewissen concept, von einem
Menschen/ von einem Hunde/ Katze &c. von
dem Klange/ von der Farbe/ von Rosen-Ge-
ruch u. s. w. gemacht/ ob du gleich sehr wenig
individua, von einem jeden vermittelst der

Sin-

Das 10. Hauptſt. von warſcheinl.
man von einem einigen individuo auff an-
dere ſchlieſſet/ weil 1. der 0. oder nichts am
nechſten iſt/ und oben haben wir geſagt/ daß
das Falſche nichts ſey.

58. Aber hier wirffſt du ein: Wie ſoll ich
denn ideas oder abſtractiones univerſa-
liter veras,
von denen abſtractionibus ve-
roſimilibus
entſcheiden? Alle propoſitio-
nes univerſales
werden von den individuis
abſtrahirt,
und gleichſam in inductionem
reſolvirt.
Nun haſt du aber oben ſelbſt ge-
ſagt/ daß ein Menſch ohnmoͤglich alle indi-
vidua
zu denen Sinnligkeiten bringen koͤn-
ne/ und alſo wird kein Menſch veras ideas
beſitzen/ ſondern lauter propoſitiones vero-
ſimiles.

59. Dieſer Einwurff iſt nicht zu verach-
ten/ denn er iſt ſehr wahrſcheinlich/ aber er iſt
doch nicht unſtreitig wahr/ weil dich dein eigen
Gewiſſen eines andern uͤberzeigen ſoll. Jſts
nicht wahr? du haſt alsbald in deiner zarten
Jugend dir ein gewiſſen concept, von einem
Menſchen/ von einem Hunde/ Katze &c. von
dem Klange/ von der Farbe/ von Roſen-Ge-
ruch u. ſ. w. gemacht/ ob du gleich ſehr wenig
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[234/0252] Das 10. Hauptſt. von warſcheinl. man von einem einigen individuo auff an- dere ſchlieſſet/ weil 1. der 0. oder nichts am nechſten iſt/ und oben haben wir geſagt/ daß das Falſche nichts ſey. 58. Aber hier wirffſt du ein: Wie ſoll ich denn ideas oder abſtractiones univerſa- liter veras, von denen abſtractionibus ve- roſimilibus entſcheiden? Alle propoſitio- nes univerſales werden von den individuis abſtrahirt, und gleichſam in inductionem reſolvirt. Nun haſt du aber oben ſelbſt ge- ſagt/ daß ein Menſch ohnmoͤglich alle indi- vidua zu denen Sinnligkeiten bringen koͤn- ne/ und alſo wird kein Menſch veras ideas beſitzen/ ſondern lauter propoſitiones vero- ſimiles. 59. Dieſer Einwurff iſt nicht zu verach- ten/ denn er iſt ſehr wahrſcheinlich/ aber er iſt doch nicht unſtreitig wahr/ weil dich dein eigen Gewiſſen eines andern uͤberzeigen ſoll. Jſts nicht wahr? du haſt alsbald in deiner zarten Jugend dir ein gewiſſen concept, von einem Menſchen/ von einem Hunde/ Katze &c. von dem Klange/ von der Farbe/ von Roſen-Ge- ruch u. ſ. w. gemacht/ ob du gleich ſehr wenig individua, von einem jeden vermittelſt der Sin-

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Zitationshilfe: Thomasius, Christian: Einleitung zu der Vernunfft-Lehre. Halle (Saale), 1691, S. 234. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_einleitungvernufftlehre_1691/252>, abgerufen am 02.06.2024.