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Thomasius, Christian: Ernsthaffte, aber doch Muntere und Vernünfftige Thomasische Gedancken und Errinnerungen über allerhand außerlesene Juristische Händel. Erster Theil. Halle, 1723.

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Kind eine Zeitlang bald nach der Geburt, ausser der Mutter-Leibe leben könne sine respiratione, so folget hieraus gar leichte, ex concessis, daß wenn ein solches Kind, in denen gedachten Casibus erblasset oder ertödtet wird, ehe die Lufft in die pulmones kommen kan, daß desselben Lunge nicht schwimmen, sondern untersincken müsse, und wir dahero nicht apodictice schliessen können, es müsse in Mutter-Leibe das Kind gestorben seyn, welches Lunge in der Besichtigung untergesuncken. Wir halten auch vor unnöthig, weitläufftig zu erweisen, daß ein lebendig Kind in solchen Casibus ertödtet werden könne, ehe es respiriret, weil in letztern Casu viel media können erdacht werden, in involucris haerentem Foetum zu eneciren, in andern Casu, darff die Nabelschnur nur feste angezogen werden, so wird der Todt bald erfolgen, wie man solches öffters von unvorsichtigen Wehe-Müttern erfähret, zugeschweigen, daß wenn alsobald in der Geburt das Köpffgen eingedrücket oder das Genicke gebrochen wird, das Kind ertödtet werden kan, ehe es darzu gelanget, daß es Athem holen kan. Wolte man darwieder einwenden, daß solches alles nur praesupposita und durch experimenta nicht confirmiret würde, so müssen wir zwar gestehen, daß in dergleichen Casibus verstorbene oder ertödtete wir nicht geöffnet, dahero weil sie rar, nicht experimentiren können, ob dergleichen Lungen untersincken oder nicht, es ist aber auch das Gegentheil noch nicht per experimenta confirmiret. Und weil die angeführten rationes praegnantes, so folget zum wenigsten dieses daraus, daß diese quaestio noch nicht vollkommen per experimenta confirmiret, und man ex hoc fundamento nicht infallibiliter concludiren kan, inmassen denn auch allerdings darauff zusehen, daß diese opinio noch nicht communi Eruditorum consensu confirmata und recepta sey, dahero in Sachen, so Leib und Leben antreffeu, so blosser dinge auff solche problemata sich nicht zugründen. Und so viel von dieser Quaestion in genere.

Anlangende praesentem casum, so können wir zwar aus obangeführten Ursachen einig und alleine darum, daß weil die Lunge Annen Vogtin Kindes untergesuncken, solches ante partum in utero müsse verstorben seyn, firmiter nicht schliessen; Gleichwohl aber, weil andere circumstantiae zu consideriren, als

1. das Anna über eine Schwelle kurtz vor der Geburt, in dem Backhause auff den Leib gefallen, und darbey sehr erschrocken.

2. Die Medici bey der Besichtigung keine andere laesion gefunden, als die Wunden, so erst nach dem Tode mit einem Bratspiesse sollen von der Köchin seyn gemacht worden.

3. Die Käse-Mutter eydl. ausgesaget, daß kurtz vor der Geburt Sie Annen auff den Leib gefühlet, und keine Bewegung eines Kindes gewahr worden.

4. Bey einer Ersten Geburt es ohne dem schwer zugehet, daß also ein von Fall und Schrecken vorhero geschwächtes Kind leicht in der Geburt ersterben kan, und dann

Kind eine Zeitlang bald nach der Geburt, ausser der Mutter-Leibe leben könne sine respiratione, so folget hieraus gar leichte, ex concessis, daß wenn ein solches Kind, in denen gedachten Casibus erblasset oder ertödtet wird, ehe die Lufft in die pulmones kommen kan, daß desselben Lunge nicht schwimmen, sondern untersincken müsse, und wir dahero nicht apodictice schliessen können, es müsse in Mutter-Leibe das Kind gestorben seyn, welches Lunge in der Besichtigung untergesuncken. Wir halten auch vor unnöthig, weitläufftig zu erweisen, daß ein lebendig Kind in solchen Casibus ertödtet werden könne, ehe es respiriret, weil in letztern Casu viel media können erdacht werden, in involucris haerentem Foetum zu eneciren, in andern Casu, darff die Nabelschnur nur feste angezogen werden, so wird der Todt bald erfolgen, wie man solches öffters von unvorsichtigen Wehe-Müttern erfähret, zugeschweigen, daß wenn alsobald in der Geburt das Köpffgen eingedrücket oder das Genicke gebrochen wird, das Kind ertödtet werden kan, ehe es darzu gelanget, daß es Athem holen kan. Wolte man darwieder einwenden, daß solches alles nur praesupposita und durch experimenta nicht confirmiret würde, so müssen wir zwar gestehen, daß in dergleichen Casibus verstorbene oder ertödtete wir nicht geöffnet, dahero weil sie rar, nicht experimentiren können, ob dergleichen Lungen untersincken oder nicht, es ist aber auch das Gegentheil noch nicht per experimenta confirmiret. Und weil die angeführten rationes praegnantes, so folget zum wenigsten dieses daraus, daß diese quaestio noch nicht vollkommen per experimenta confirmiret, und man ex hoc fundamento nicht infallibiliter concludiren kan, inmassen denn auch allerdings darauff zusehen, daß diese opinio noch nicht communi Eruditorum consensu confirmata und recepta sey, dahero in Sachen, so Leib und Leben antreffeu, so blosser dinge auff solche problemata sich nicht zugründen. Und so viel von dieser Quaestion in genere.

Anlangende praesentem casum, so können wir zwar aus obangeführten Ursachen einig und alleine darum, daß weil die Lunge Annen Vogtin Kindes untergesuncken, solches ante partum in utero müsse verstorben seyn, firmiter nicht schliessen; Gleichwohl aber, weil andere circumstantiae zu consideriren, als

1. das Anna über eine Schwelle kurtz vor der Geburt, in dem Backhause auff den Leib gefallen, und darbey sehr erschrocken.

2. Die Medici bey der Besichtigung keine andere laesion gefunden, als die Wunden, so erst nach dem Tode mit einem Bratspiesse sollen von der Köchin seyn gemacht worden.

3. Die Käse-Mutter eydl. ausgesaget, daß kurtz vor der Geburt Sie Annen auff den Leib gefühlet, und keine Bewegung eines Kindes gewahr worden.

4. Bey einer Ersten Geburt es ohne dem schwer zugehet, daß also ein von Fall und Schrecken vorhero geschwächtes Kind leicht in der Geburt ersterben kan, und dann

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Kind eine Zeitlang bald nach der Geburt, ausser der                      Mutter-Leibe leben könne sine respiratione, so folget hieraus gar leichte, ex                      concessis, daß wenn ein solches Kind, in denen gedachten Casibus erblasset oder                      ertödtet wird, ehe die Lufft in die pulmones kommen kan, daß desselben Lunge                      nicht schwimmen, sondern untersincken müsse, und wir dahero nicht apodictice                      schliessen können, es müsse in Mutter-Leibe das Kind gestorben seyn, welches                      Lunge in der Besichtigung untergesuncken. Wir halten auch vor unnöthig,                      weitläufftig zu erweisen, daß ein lebendig Kind in solchen Casibus ertödtet                      werden könne, ehe es respiriret, weil in letztern Casu viel media können erdacht                      werden, in involucris haerentem Foetum zu eneciren, in andern Casu, darff die                      Nabelschnur nur feste angezogen werden, so wird der Todt bald erfolgen, wie man                      solches öffters von unvorsichtigen Wehe-Müttern erfähret, zugeschweigen, daß                      wenn alsobald in der Geburt das Köpffgen eingedrücket oder das Genicke gebrochen                      wird, das Kind ertödtet werden kan, ehe es darzu gelanget, daß es Athem holen                      kan. Wolte man darwieder einwenden, daß solches alles nur praesupposita und                      durch experimenta nicht confirmiret würde, so müssen wir zwar gestehen, daß in                      dergleichen Casibus verstorbene oder ertödtete wir nicht geöffnet, dahero weil                      sie rar, nicht experimentiren können, ob dergleichen Lungen untersincken oder                      nicht, es ist aber auch das Gegentheil noch nicht per experimenta confirmiret.                      Und weil die angeführten rationes praegnantes, so folget zum wenigsten dieses                      daraus, daß diese quaestio noch nicht vollkommen per experimenta confirmiret,                      und man ex hoc fundamento nicht infallibiliter concludiren kan, inmassen denn                      auch allerdings darauff zusehen, daß diese opinio noch nicht communi Eruditorum                      consensu confirmata und recepta sey, dahero in Sachen, so Leib und Leben                      antreffeu, so blosser dinge auff solche problemata sich nicht zugründen. Und so                      viel von dieser Quaestion in genere.</p>
        <p>Anlangende praesentem casum, so können wir zwar aus obangeführten Ursachen einig                      und alleine darum, daß weil die Lunge Annen Vogtin Kindes untergesuncken,                      solches ante partum in utero müsse verstorben seyn, firmiter nicht schliessen;                      Gleichwohl aber, weil andere circumstantiae zu consideriren, als</p>
        <p>1. das Anna über eine Schwelle kurtz vor der Geburt, in dem Backhause auff den                      Leib gefallen, und darbey sehr erschrocken.</p>
        <p>2. Die Medici bey der Besichtigung keine andere laesion gefunden, als die Wunden,                      so erst nach dem Tode mit einem Bratspiesse sollen von der Köchin seyn gemacht                      worden.</p>
        <p>3. Die Käse-Mutter eydl. ausgesaget, daß kurtz vor der Geburt Sie Annen auff den                      Leib gefühlet, und keine Bewegung eines Kindes gewahr worden.</p>
        <p>4. Bey einer Ersten Geburt es ohne dem schwer zugehet, daß also ein von Fall und                      Schrecken vorhero geschwächtes Kind leicht in der Geburt ersterben kan, und dann</p>
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[92/0108] Kind eine Zeitlang bald nach der Geburt, ausser der Mutter-Leibe leben könne sine respiratione, so folget hieraus gar leichte, ex concessis, daß wenn ein solches Kind, in denen gedachten Casibus erblasset oder ertödtet wird, ehe die Lufft in die pulmones kommen kan, daß desselben Lunge nicht schwimmen, sondern untersincken müsse, und wir dahero nicht apodictice schliessen können, es müsse in Mutter-Leibe das Kind gestorben seyn, welches Lunge in der Besichtigung untergesuncken. Wir halten auch vor unnöthig, weitläufftig zu erweisen, daß ein lebendig Kind in solchen Casibus ertödtet werden könne, ehe es respiriret, weil in letztern Casu viel media können erdacht werden, in involucris haerentem Foetum zu eneciren, in andern Casu, darff die Nabelschnur nur feste angezogen werden, so wird der Todt bald erfolgen, wie man solches öffters von unvorsichtigen Wehe-Müttern erfähret, zugeschweigen, daß wenn alsobald in der Geburt das Köpffgen eingedrücket oder das Genicke gebrochen wird, das Kind ertödtet werden kan, ehe es darzu gelanget, daß es Athem holen kan. Wolte man darwieder einwenden, daß solches alles nur praesupposita und durch experimenta nicht confirmiret würde, so müssen wir zwar gestehen, daß in dergleichen Casibus verstorbene oder ertödtete wir nicht geöffnet, dahero weil sie rar, nicht experimentiren können, ob dergleichen Lungen untersincken oder nicht, es ist aber auch das Gegentheil noch nicht per experimenta confirmiret. Und weil die angeführten rationes praegnantes, so folget zum wenigsten dieses daraus, daß diese quaestio noch nicht vollkommen per experimenta confirmiret, und man ex hoc fundamento nicht infallibiliter concludiren kan, inmassen denn auch allerdings darauff zusehen, daß diese opinio noch nicht communi Eruditorum consensu confirmata und recepta sey, dahero in Sachen, so Leib und Leben antreffeu, so blosser dinge auff solche problemata sich nicht zugründen. Und so viel von dieser Quaestion in genere. Anlangende praesentem casum, so können wir zwar aus obangeführten Ursachen einig und alleine darum, daß weil die Lunge Annen Vogtin Kindes untergesuncken, solches ante partum in utero müsse verstorben seyn, firmiter nicht schliessen; Gleichwohl aber, weil andere circumstantiae zu consideriren, als 1. das Anna über eine Schwelle kurtz vor der Geburt, in dem Backhause auff den Leib gefallen, und darbey sehr erschrocken. 2. Die Medici bey der Besichtigung keine andere laesion gefunden, als die Wunden, so erst nach dem Tode mit einem Bratspiesse sollen von der Köchin seyn gemacht worden. 3. Die Käse-Mutter eydl. ausgesaget, daß kurtz vor der Geburt Sie Annen auff den Leib gefühlet, und keine Bewegung eines Kindes gewahr worden. 4. Bey einer Ersten Geburt es ohne dem schwer zugehet, daß also ein von Fall und Schrecken vorhero geschwächtes Kind leicht in der Geburt ersterben kan, und dann

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Zitationshilfe: Thomasius, Christian: Ernsthaffte, aber doch Muntere und Vernünfftige Thomasische Gedancken und Errinnerungen über allerhand außerlesene Juristische Händel. Erster Theil. Halle, 1723, S. 92. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_ernsthaffte01_1723/108>, abgerufen am 24.11.2024.