Thomasius, Christian: Ernsthaffte, aber doch Muntere und Vernünfftige Thomasische Gedancken und Errinnerungen über allerhand außerlesene Juristische Händel. Dritter Theil. Halle, 1724.§. II. Absonderlich aber sind wegen der Comödianten, Pickelheringe,Insonderheit von Comödien und Possenspielen. u. d. g. noch heutzutage viele Streitigkeiten zwischen denen Gelehrten, absonderlich aber auch unter denen Theologis selbst, worzu viel Gelegenheit gegeben, daß nach denen Römischen Rechten die Geld-Comödianten für unehrlich gehalten worden, und daß die ersten Kirch-Väter gar offte wieder die Comödien geeyffert. Hingegen hat schon für hundert Jahren der berühmte JCtus Albericus Gentilis einen sonderlichen tractat davon geschrieben, daß man weder die Comödianten noch ihre Zuschauer für anrüchtig halten solle; und die gottseeligen Herrn Jesuiten würden ja das nicht thun und durch ihre Schüler so viel Comödien und Tragödien (in sensu proprio & metaphorico) anstellen, wenn die Comödien was schädliches wären. Wannenhero desto weniger zu verwundern, daß auch die Evangelische Theologi für die honnetete der Comödien und Possenspiele so eyffrig gestritten, weil die Kirchen-Historie lehret, daß Philippus Melancthon, der zu seiner Zeit für den gemeinen Praeceptor und Lehrer der gesammten Evangelischen Teutschen Lande passirete, die Comödien in denen Lutherischen Schulen wieder eingeführet Gleichwie aber die allzueyffrigen Vertheydiger der Comödien gemeiniglich ihre natürliche Neigung zur Wollust verrathen haben, und vergebens ihre eigene prostitutiones, wenn sie Comödien machen oder denenselben beywohnen, zu vertheydigen gesuchet; Also ist bey denen hefftigen Anfechtern und Verdammern der Schauspiele und der Comödianten zu bedauren, daß sie nach ihrer natürlichen melancoley und Ehrbegierde die zur Wollust treibende oder Anlaß-gebende actiones alleine für schädlich und schändlich gehalten, hingegen die zum subtielen Ehrgeitz und Geldgeitz Anlaß-gebende Sachen als lauter heilige und löbliche Dinge angesehen, und mithin den Grund der morale, nehmlich die Mitteldinge gantz und gar über den Hauffen geschmissen. Meines Erachtens sind die Comödien, auch die ums Geld gespielet werden, an sich selbst und wenn kein scurrilischer Schertz mit eingemischet wird, nicht böse noch schädlich, sondern auf gewisse Maße nützlich; Wenn mich aber jemand fragt, ob ich ihm rathe die Comödien zu besuchen, sofrage ich ihn erst, ob er denn ein Verlangen, oder einen Abscheu, oder eine indifferenz darnach bey sich befinde. Bejahet er das erste, so rathe ich ihn, daß er zwar die bißher angewehnte Besuchung continuiren könne, aber als von einer ihm schädlichen und gefährlichen Sache sich je eher je lieber von derselben nach und nach entziehen solle: Hat er einen Abscheu dafür, so rathe ich ihn, daß er die Comödien sich als eines Gegen-Giffts wieder das §. II. Absonderlich aber sind wegen der Comödianten, Pickelheringe,Insonderheit von Comödien und Possenspielen. u. d. g. noch heutzutage viele Streitigkeiten zwischen denen Gelehrten, absonderlich aber auch unter denen Theologis selbst, worzu viel Gelegenheit gegeben, daß nach denen Römischen Rechten die Geld-Comödianten für unehrlich gehalten worden, und daß die ersten Kirch-Väter gar offte wieder die Comödien geeyffert. Hingegen hat schon für hundert Jahren der berühmte JCtus Albericus Gentilis einen sonderlichen tractat davon geschrieben, daß man weder die Comödianten noch ihre Zuschauer für anrüchtig halten solle; und die gottseeligen Herrn Jesuiten würden ja das nicht thun und durch ihre Schüler so viel Comödien und Tragödien (in sensu proprio & metaphorico) anstellen, wenn die Comödien was schädliches wären. Wannenhero desto weniger zu verwundern, daß auch die Evangelische Theologi für die honneteté der Comödien und Possenspiele so eyffrig gestritten, weil die Kirchen-Historie lehret, daß Philippus Melancthon, der zu seiner Zeit für den gemeinen Praeceptor und Lehrer der gesammten Evangelischen Teutschen Lande passirete, die Comödien in denen Lutherischen Schulen wieder eingeführet Gleichwie aber die allzueyffrigen Vertheydiger der Comödien gemeiniglich ihre natürliche Neigung zur Wollust verrathen haben, und vergebens ihre eigene prostitutiones, wenn sie Comödien machen oder denenselben beywohnen, zu vertheydigen gesuchet; Also ist bey denen hefftigen Anfechtern und Verdammern der Schauspiele und der Comödianten zu bedauren, daß sie nach ihrer natürlichen melancoley und Ehrbegierde die zur Wollust treibende oder Anlaß-gebende actiones alleine für schädlich und schändlich gehalten, hingegen die zum subtielen Ehrgeitz und Geldgeitz Anlaß-gebende Sachen als lauter heilige und löbliche Dinge angesehen, und mithin den Grund der morale, nehmlich die Mitteldinge gantz und gar über den Hauffen geschmissen. Meines Erachtens sind die Comödien, auch die ums Geld gespielet werden, an sich selbst und wenn kein scurrilischer Schertz mit eingemischet wird, nicht böse noch schädlich, sondern auf gewisse Maße nützlich; Wenn mich aber jemand fragt, ob ich ihm rathe die Comödien zu besuchen, sofrage ich ihn erst, ob er denn ein Verlangen, oder einen Abscheu, oder eine indifferenz darnach bey sich befinde. Bejahet er das erste, so rathe ich ihn, daß er zwar die bißher angewehnte Besuchung continuiren könne, aber als von einer ihm schädlichen und gefährlichen Sache sich je eher je lieber von derselben nach und nach entziehen solle: Hat er einen Abscheu dafür, so rathe ich ihn, daß er die Comödien sich als eines Gegen-Giffts wieder das <TEI> <text> <body> <div> <pb facs="#f0175" n="169"/> <p>§. II. 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Wannenhero desto weniger zu verwundern, daß auch die Evangelische Theologi für die honneteté der Comödien und Possenspiele so eyffrig gestritten, weil die Kirchen-Historie lehret, daß Philippus Melancthon, der zu seiner Zeit für den gemeinen Praeceptor und Lehrer der gesammten Evangelischen Teutschen Lande passirete, die Comödien in denen Lutherischen Schulen wieder eingeführet Gleichwie aber die allzueyffrigen Vertheydiger der Comödien gemeiniglich ihre natürliche Neigung zur Wollust verrathen haben, und vergebens ihre eigene prostitutiones, wenn sie Comödien machen oder denenselben beywohnen, zu vertheydigen gesuchet; Also ist bey denen hefftigen Anfechtern und Verdammern der Schauspiele und der Comödianten zu bedauren, daß sie nach ihrer natürlichen melancoley und Ehrbegierde die zur Wollust treibende oder Anlaß-gebende actiones alleine für schädlich und schändlich gehalten, hingegen die zum subtielen Ehrgeitz und Geldgeitz Anlaß-gebende Sachen als lauter heilige und löbliche Dinge angesehen, und mithin den Grund der morale, nehmlich die Mitteldinge gantz und gar über den Hauffen geschmissen. Meines Erachtens sind die Comödien, auch die ums Geld gespielet werden, an sich selbst und wenn kein scurrilischer Schertz mit eingemischet wird, nicht böse noch schädlich, sondern auf gewisse Maße nützlich; Wenn mich aber jemand fragt, ob ich ihm rathe die Comödien zu besuchen, sofrage ich ihn erst, ob er denn ein Verlangen, oder einen Abscheu, oder eine indifferenz darnach bey sich befinde. Bejahet er das erste, so rathe ich ihn, daß er zwar die bißher angewehnte Besuchung continuiren könne, aber als von einer ihm schädlichen und gefährlichen Sache sich je eher je lieber von derselben nach und nach entziehen solle: Hat er einen Abscheu dafür, so rathe ich ihn, daß er die Comödien sich als eines Gegen-Giffts wieder das </p> </div> </body> </text> </TEI> [169/0175]
§. II. Absonderlich aber sind wegen der Comödianten, Pickelheringe, u. d. g. noch heutzutage viele Streitigkeiten zwischen denen Gelehrten, absonderlich aber auch unter denen Theologis selbst, worzu viel Gelegenheit gegeben, daß nach denen Römischen Rechten die Geld-Comödianten für unehrlich gehalten worden, und daß die ersten Kirch-Väter gar offte wieder die Comödien geeyffert. Hingegen hat schon für hundert Jahren der berühmte JCtus Albericus Gentilis einen sonderlichen tractat davon geschrieben, daß man weder die Comödianten noch ihre Zuschauer für anrüchtig halten solle; und die gottseeligen Herrn Jesuiten würden ja das nicht thun und durch ihre Schüler so viel Comödien und Tragödien (in sensu proprio & metaphorico) anstellen, wenn die Comödien was schädliches wären. Wannenhero desto weniger zu verwundern, daß auch die Evangelische Theologi für die honneteté der Comödien und Possenspiele so eyffrig gestritten, weil die Kirchen-Historie lehret, daß Philippus Melancthon, der zu seiner Zeit für den gemeinen Praeceptor und Lehrer der gesammten Evangelischen Teutschen Lande passirete, die Comödien in denen Lutherischen Schulen wieder eingeführet Gleichwie aber die allzueyffrigen Vertheydiger der Comödien gemeiniglich ihre natürliche Neigung zur Wollust verrathen haben, und vergebens ihre eigene prostitutiones, wenn sie Comödien machen oder denenselben beywohnen, zu vertheydigen gesuchet; Also ist bey denen hefftigen Anfechtern und Verdammern der Schauspiele und der Comödianten zu bedauren, daß sie nach ihrer natürlichen melancoley und Ehrbegierde die zur Wollust treibende oder Anlaß-gebende actiones alleine für schädlich und schändlich gehalten, hingegen die zum subtielen Ehrgeitz und Geldgeitz Anlaß-gebende Sachen als lauter heilige und löbliche Dinge angesehen, und mithin den Grund der morale, nehmlich die Mitteldinge gantz und gar über den Hauffen geschmissen. Meines Erachtens sind die Comödien, auch die ums Geld gespielet werden, an sich selbst und wenn kein scurrilischer Schertz mit eingemischet wird, nicht böse noch schädlich, sondern auf gewisse Maße nützlich; Wenn mich aber jemand fragt, ob ich ihm rathe die Comödien zu besuchen, sofrage ich ihn erst, ob er denn ein Verlangen, oder einen Abscheu, oder eine indifferenz darnach bey sich befinde. Bejahet er das erste, so rathe ich ihn, daß er zwar die bißher angewehnte Besuchung continuiren könne, aber als von einer ihm schädlichen und gefährlichen Sache sich je eher je lieber von derselben nach und nach entziehen solle: Hat er einen Abscheu dafür, so rathe ich ihn, daß er die Comödien sich als eines Gegen-Giffts wieder das
Insonderheit von Comödien und Possenspielen.
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Zitationshilfe: | Thomasius, Christian: Ernsthaffte, aber doch Muntere und Vernünfftige Thomasische Gedancken und Errinnerungen über allerhand außerlesene Juristische Händel. Dritter Theil. Halle, 1724, S. 169. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_ernsthaffte03_1724/175>, abgerufen am 16.02.2025. |