oft nicht verstehen eine Execution zu dirigiren, und ent- weder zu nachsichtig oder zu strenge sind.
Bey meinem Wirthe sah ich eine artige Methode, Kinder gehen zu lehren, ohne daß sie fallen können, und ohne daß eine Wärterin etwas dabey zu thun hat. Man hatte dem Kinde unter den Armen ein starkes Band umgebunden, dessen beyde Enden um einen Ring ge- knüpft waren, der sich an einer in der Decke des Zimmers befestigten Stange bewegte, so daß das Kind durch das Band gehalten, hin und her gehen konnte. Die Wiege war zur Hälfte mit Bogenreifen übersetzt, worüber man ein Tuch breitete, um die Fliegen abzuhalten, wobey das Kind gleichwohl Raum genug zum Athemholen hatte.
Meinen ersten Besuch in Amsterdam legte ich bey den Herren Professoren Burmann ab, die mich mit vie- ler Freundschaft und Höflichkeit aufnahmen. Dies munterte mich auf, diesen Besuch jeden Tag zu wieder- hohlen. Hiedurch wurde ich so glücklich, nicht nur ihre vortrefflichen, zahlreichen und über mehrere Arten sich erstreckenden Naturalien-Sammlungen zu besehen, son- dern auch ihre kostbare Bibliothek zu benutzen. Diese letztere enthält meistentheils medicinische und naturhisto- rische Bücher; und in jenen zeichneten sich besonders schöne und seltene Versteinerungen und Korallen aus. Ihr Haus ist es, wo Linnee seine Bibliotheca botanica vollendete, und täglich speisete. Er ordnete und nannte ihnen auch eine Menge ihnen bis dahin unbekannter Mi- neralien, Insekten und Kräuter, besonders viele Grä- ser und Moose.
Auf diese Art wurde mir mein hiesiger Aufenthalt eben so nützlich als angenehm. Ich würde auch, des späten Herbstes ungeachtet, nicht weggeeilt haben, wenn ich nicht meines kleinen Vorraths von Kleidungsstücken
Aufenthalt und Reiſen in Holland.
oft nicht verſtehen eine Execution zu dirigiren, und ent- weder zu nachſichtig oder zu ſtrenge ſind.
Bey meinem Wirthe ſah ich eine artige Methode, Kinder gehen zu lehren, ohne daß ſie fallen koͤnnen, und ohne daß eine Waͤrterin etwas dabey zu thun hat. Man hatte dem Kinde unter den Armen ein ſtarkes Band umgebunden, deſſen beyde Enden um einen Ring ge- knuͤpft waren, der ſich an einer in der Decke des Zimmers befeſtigten Stange bewegte, ſo daß das Kind durch das Band gehalten, hin und her gehen konnte. Die Wiege war zur Haͤlfte mit Bogenreifen uͤberſetzt, woruͤber man ein Tuch breitete, um die Fliegen abzuhalten, wobey das Kind gleichwohl Raum genug zum Athemholen hatte.
Meinen erſten Beſuch in Amſterdam legte ich bey den Herren Profeſſoren Burmann ab, die mich mit vie- ler Freundſchaft und Hoͤflichkeit aufnahmen. Dies munterte mich auf, dieſen Beſuch jeden Tag zu wieder- hohlen. Hiedurch wurde ich ſo gluͤcklich, nicht nur ihre vortrefflichen, zahlreichen und uͤber mehrere Arten ſich erſtreckenden Naturalien-Sammlungen zu beſehen, ſon- dern auch ihre koſtbare Bibliothek zu benutzen. Dieſe letztere enthaͤlt meiſtentheils mediciniſche und naturhiſto- riſche Buͤcher; und in jenen zeichneten ſich beſonders ſchoͤne und ſeltene Verſteinerungen und Korallen aus. Ihr Haus iſt es, wo Linnee ſeine Bibliotheca botanica vollendete, und taͤglich ſpeiſete. Er ordnete und nannte ihnen auch eine Menge ihnen bis dahin unbekannter Mi- neralien, Inſekten und Kraͤuter, beſonders viele Graͤ- ſer und Mooſe.
Auf dieſe Art wurde mir mein hieſiger Aufenthalt eben ſo nuͤtzlich als angenehm. Ich wuͤrde auch, des ſpaͤten Herbſtes ungeachtet, nicht weggeeilt haben, wenn ich nicht meines kleinen Vorraths von Kleidungsſtuͤcken
<TEI><text><body><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0041"n="13"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">Aufenthalt und Reiſen in <placeName>Holland</placeName>.</hi></fw><lb/>
oft nicht verſtehen eine Execution zu dirigiren, und ent-<lb/>
weder zu nachſichtig oder zu ſtrenge ſind.</p><lb/><p>Bey meinem Wirthe ſah ich eine artige Methode,<lb/>
Kinder gehen zu lehren, ohne daß ſie fallen koͤnnen,<lb/>
und ohne daß eine Waͤrterin etwas dabey zu thun hat.<lb/>
Man hatte dem Kinde unter den Armen ein ſtarkes Band<lb/>
umgebunden, deſſen beyde Enden um einen Ring ge-<lb/>
knuͤpft waren, der ſich an einer in der Decke des Zimmers<lb/>
befeſtigten Stange bewegte, ſo daß das Kind durch das<lb/>
Band gehalten, hin und her gehen konnte. Die Wiege<lb/>
war zur Haͤlfte mit Bogenreifen uͤberſetzt, woruͤber man<lb/>
ein Tuch breitete, um die Fliegen abzuhalten, wobey das<lb/>
Kind gleichwohl Raum genug zum Athemholen hatte.</p><lb/><p>Meinen erſten Beſuch in <placeName>Amſterdam</placeName> legte ich bey<lb/>
den Herren Profeſſoren <persName>Burmann</persName> ab, die mich mit vie-<lb/>
ler Freundſchaft und Hoͤflichkeit aufnahmen. Dies<lb/>
munterte mich auf, dieſen Beſuch jeden Tag zu wieder-<lb/>
hohlen. Hiedurch wurde ich ſo gluͤcklich, nicht nur ihre<lb/>
vortrefflichen, zahlreichen und uͤber mehrere Arten ſich<lb/>
erſtreckenden Naturalien-Sammlungen zu beſehen, ſon-<lb/>
dern auch ihre koſtbare Bibliothek zu benutzen. Dieſe<lb/>
letztere enthaͤlt meiſtentheils mediciniſche und naturhiſto-<lb/>
riſche Buͤcher; und in jenen zeichneten ſich beſonders<lb/>ſchoͤne und ſeltene Verſteinerungen und Korallen aus.<lb/>
Ihr Haus iſt es, wo <persName>Linnee</persName>ſeine <hirendition="#aq">Bibliotheca botanica</hi><lb/>
vollendete, und taͤglich ſpeiſete. Er ordnete und nannte<lb/>
ihnen auch eine Menge ihnen bis dahin unbekannter Mi-<lb/>
neralien, Inſekten und Kraͤuter, beſonders viele Graͤ-<lb/>ſer und Mooſe.</p><lb/><p>Auf dieſe Art wurde mir mein hieſiger Aufenthalt<lb/>
eben ſo nuͤtzlich als angenehm. Ich wuͤrde auch, des<lb/>ſpaͤten Herbſtes ungeachtet, nicht weggeeilt haben, wenn<lb/>
ich nicht meines kleinen Vorraths von Kleidungsſtuͤcken<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[13/0041]
Aufenthalt und Reiſen in Holland.
oft nicht verſtehen eine Execution zu dirigiren, und ent-
weder zu nachſichtig oder zu ſtrenge ſind.
Bey meinem Wirthe ſah ich eine artige Methode,
Kinder gehen zu lehren, ohne daß ſie fallen koͤnnen,
und ohne daß eine Waͤrterin etwas dabey zu thun hat.
Man hatte dem Kinde unter den Armen ein ſtarkes Band
umgebunden, deſſen beyde Enden um einen Ring ge-
knuͤpft waren, der ſich an einer in der Decke des Zimmers
befeſtigten Stange bewegte, ſo daß das Kind durch das
Band gehalten, hin und her gehen konnte. Die Wiege
war zur Haͤlfte mit Bogenreifen uͤberſetzt, woruͤber man
ein Tuch breitete, um die Fliegen abzuhalten, wobey das
Kind gleichwohl Raum genug zum Athemholen hatte.
Meinen erſten Beſuch in Amſterdam legte ich bey
den Herren Profeſſoren Burmann ab, die mich mit vie-
ler Freundſchaft und Hoͤflichkeit aufnahmen. Dies
munterte mich auf, dieſen Beſuch jeden Tag zu wieder-
hohlen. Hiedurch wurde ich ſo gluͤcklich, nicht nur ihre
vortrefflichen, zahlreichen und uͤber mehrere Arten ſich
erſtreckenden Naturalien-Sammlungen zu beſehen, ſon-
dern auch ihre koſtbare Bibliothek zu benutzen. Dieſe
letztere enthaͤlt meiſtentheils mediciniſche und naturhiſto-
riſche Buͤcher; und in jenen zeichneten ſich beſonders
ſchoͤne und ſeltene Verſteinerungen und Korallen aus.
Ihr Haus iſt es, wo Linnee ſeine Bibliotheca botanica
vollendete, und taͤglich ſpeiſete. Er ordnete und nannte
ihnen auch eine Menge ihnen bis dahin unbekannter Mi-
neralien, Inſekten und Kraͤuter, beſonders viele Graͤ-
ſer und Mooſe.
Auf dieſe Art wurde mir mein hieſiger Aufenthalt
eben ſo nuͤtzlich als angenehm. Ich wuͤrde auch, des
ſpaͤten Herbſtes ungeachtet, nicht weggeeilt haben, wenn
ich nicht meines kleinen Vorraths von Kleidungsſtuͤcken
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Thunberg, Carl Peter: Reisen durch einen Theil von Europa, Afrika und Asien [...] in den Jahren 1770 bis 1779. Bd. 1. Übers. v. Christian Heinrich Groskurd. Berlin, 1792, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thunberg_reisen01_1792/41>, abgerufen am 03.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.