Vor Zeiten war, Kolbe's Erzählung zufolge, bey den Hottentotten das Castriren gebräuchlich. Gewöhn- lich geschah diese Operation ums achte Jahr. Man nahm den linken Hoden weg, theils damit der Castrirte keine Zwillinge sollte zeugen, theils aber mit mehr Leichtigkeit laufen können.
In Ansehung der Erbschaft ist das Recht der Erst- geburt bey ihnen so sehr in Ausübung, daß der älteste Sohn jedesmahl der einzige Erbe der ganzen väterlichen Nachlassenschaft ist.
Bey großen Feyerlichkeiten machen sie von Gesang und verschiednen musikalischen Instrumenten, wie auch von ganz eignen und sehr sonderbaren Tänzen Gebrauch.
Unter denjenigen Hottentotten, welche noch ganz in ihrer Wildheit leben, und mit den christlichen Einwoh- nern gar keine Gemeinschaft haben, sind noch verschiedne barbarische Sitten üblich. Alte und abgelebte Leute wer- den lebendig begraben, oder auch wohl in eine Höhle oder Kluft im Gebirge gebracht, wobey man ihnen auf einige wenige Tage Essen und Trinken mitgiebt. Hier kommen sie entweder in kurzer Zeit vor Hunger um, oder werden ein Raub der wilden Thiere. -- Auch Kinder werden aus mehr als Einer Ursache weggesetzt und ihrem Schick- sale überlassen. Wenn eine Mutter im Wochenbette oder kurz nachher stirbt, wird das Kind nebst der Mut- ter begraben, weil niemand ist, der ihm weiter Nahrung geben kann; denn von Ammen oder künstlichen Nahrungs- mitteln kleiner Kinder haben sie keinen Begriff. Bringt eine Mutter Zwillinge zur Welt, und glaubt sie nicht beyde ernähren zu können, so wird eins weggeworfen. Sind beyde Knaben, so behalten sie den besten, gesunde- sten und stärksten; ist eins ein Mädchen, so trifft allezeit dieses das Loos, weggeschafft zu werden. Auch verfah-
Vierte Abtheilung. Aufenthalt zu Cap
Vor Zeiten war, Kolbe’s Erzaͤhlung zufolge, bey den Hottentotten das Caſtriren gebraͤuchlich. Gewoͤhn- lich geſchah dieſe Operation ums achte Jahr. Man nahm den linken Hoden weg, theils damit der Caſtrirte keine Zwillinge ſollte zeugen, theils aber mit mehr Leichtigkeit laufen koͤnnen.
In Anſehung der Erbſchaft iſt das Recht der Erſt- geburt bey ihnen ſo ſehr in Ausuͤbung, daß der aͤlteſte Sohn jedesmahl der einzige Erbe der ganzen vaͤterlichen Nachlaſſenſchaft iſt.
Bey großen Feyerlichkeiten machen ſie von Geſang und verſchiednen muſikaliſchen Inſtrumenten, wie auch von ganz eignen und ſehr ſonderbaren Taͤnzen Gebrauch.
Unter denjenigen Hottentotten, welche noch ganz in ihrer Wildheit leben, und mit den chriſtlichen Einwoh- nern gar keine Gemeinſchaft haben, ſind noch verſchiedne barbariſche Sitten uͤblich. Alte und abgelebte Leute wer- den lebendig begraben, oder auch wohl in eine Hoͤhle oder Kluft im Gebirge gebracht, wobey man ihnen auf einige wenige Tage Eſſen und Trinken mitgiebt. Hier kommen ſie entweder in kurzer Zeit vor Hunger um, oder werden ein Raub der wilden Thiere. — Auch Kinder werden aus mehr als Einer Urſache weggeſetzt und ihrem Schick- ſale uͤberlaſſen. Wenn eine Mutter im Wochenbette oder kurz nachher ſtirbt, wird das Kind nebſt der Mut- ter begraben, weil niemand iſt, der ihm weiter Nahrung geben kann; denn von Ammen oder kuͤnſtlichen Nahrungs- mitteln kleiner Kinder haben ſie keinen Begriff. Bringt eine Mutter Zwillinge zur Welt, und glaubt ſie nicht beyde ernaͤhren zu koͤnnen, ſo wird eins weggeworfen. Sind beyde Knaben, ſo behalten ſie den beſten, geſunde- ſten und ſtaͤrkſten; iſt eins ein Maͤdchen, ſo trifft allezeit dieſes das Loos, weggeſchafft zu werden. Auch verfah-
<TEI><text><body><divn="2"><pbfacs="#f0510"n="172"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">Vierte Abtheilung. Aufenthalt zu <placeName>Cap</placeName></hi></fw><lb/><p>Vor Zeiten war, <persName>Kolbe’s</persName> Erzaͤhlung zufolge, bey<lb/>
den Hottentotten das Caſtriren gebraͤuchlich. Gewoͤhn-<lb/>
lich geſchah dieſe Operation ums achte Jahr. Man nahm<lb/>
den linken Hoden weg, theils damit der Caſtrirte keine<lb/>
Zwillinge ſollte zeugen, theils aber mit mehr Leichtigkeit<lb/>
laufen koͤnnen.</p><lb/><p>In Anſehung der Erbſchaft iſt das Recht der Erſt-<lb/>
geburt bey ihnen ſo ſehr in Ausuͤbung, daß der aͤlteſte<lb/>
Sohn jedesmahl der einzige Erbe der ganzen vaͤterlichen<lb/>
Nachlaſſenſchaft iſt.</p><lb/><p>Bey großen Feyerlichkeiten machen ſie von Geſang<lb/>
und verſchiednen muſikaliſchen Inſtrumenten, wie auch<lb/>
von ganz eignen und ſehr ſonderbaren Taͤnzen Gebrauch.</p><lb/><p>Unter denjenigen Hottentotten, welche noch ganz<lb/>
in ihrer Wildheit leben, und mit den chriſtlichen Einwoh-<lb/>
nern gar keine Gemeinſchaft haben, ſind noch verſchiedne<lb/>
barbariſche Sitten uͤblich. Alte und abgelebte Leute wer-<lb/>
den lebendig begraben, oder auch wohl in eine Hoͤhle oder<lb/>
Kluft im Gebirge gebracht, wobey man ihnen auf einige<lb/>
wenige Tage Eſſen und Trinken mitgiebt. Hier kommen<lb/>ſie entweder in kurzer Zeit vor Hunger um, oder werden<lb/>
ein Raub der wilden Thiere. — Auch Kinder werden<lb/>
aus mehr als Einer Urſache weggeſetzt und ihrem Schick-<lb/>ſale uͤberlaſſen. Wenn eine Mutter im Wochenbette<lb/>
oder kurz nachher ſtirbt, wird das Kind nebſt der Mut-<lb/>
ter begraben, weil niemand iſt, der ihm weiter Nahrung<lb/>
geben kann; denn von Ammen oder kuͤnſtlichen Nahrungs-<lb/>
mitteln kleiner Kinder haben ſie keinen Begriff. Bringt<lb/>
eine Mutter Zwillinge zur Welt, und glaubt ſie nicht<lb/>
beyde ernaͤhren zu koͤnnen, ſo wird eins weggeworfen.<lb/>
Sind beyde Knaben, ſo behalten ſie den beſten, geſunde-<lb/>ſten und ſtaͤrkſten; iſt eins ein Maͤdchen, ſo trifft allezeit<lb/>
dieſes das Loos, weggeſchafft zu werden. Auch verfah-<lb/></p></div></body></text></TEI>
[172/0510]
Vierte Abtheilung. Aufenthalt zu Cap
Vor Zeiten war, Kolbe’s Erzaͤhlung zufolge, bey
den Hottentotten das Caſtriren gebraͤuchlich. Gewoͤhn-
lich geſchah dieſe Operation ums achte Jahr. Man nahm
den linken Hoden weg, theils damit der Caſtrirte keine
Zwillinge ſollte zeugen, theils aber mit mehr Leichtigkeit
laufen koͤnnen.
In Anſehung der Erbſchaft iſt das Recht der Erſt-
geburt bey ihnen ſo ſehr in Ausuͤbung, daß der aͤlteſte
Sohn jedesmahl der einzige Erbe der ganzen vaͤterlichen
Nachlaſſenſchaft iſt.
Bey großen Feyerlichkeiten machen ſie von Geſang
und verſchiednen muſikaliſchen Inſtrumenten, wie auch
von ganz eignen und ſehr ſonderbaren Taͤnzen Gebrauch.
Unter denjenigen Hottentotten, welche noch ganz
in ihrer Wildheit leben, und mit den chriſtlichen Einwoh-
nern gar keine Gemeinſchaft haben, ſind noch verſchiedne
barbariſche Sitten uͤblich. Alte und abgelebte Leute wer-
den lebendig begraben, oder auch wohl in eine Hoͤhle oder
Kluft im Gebirge gebracht, wobey man ihnen auf einige
wenige Tage Eſſen und Trinken mitgiebt. Hier kommen
ſie entweder in kurzer Zeit vor Hunger um, oder werden
ein Raub der wilden Thiere. — Auch Kinder werden
aus mehr als Einer Urſache weggeſetzt und ihrem Schick-
ſale uͤberlaſſen. Wenn eine Mutter im Wochenbette
oder kurz nachher ſtirbt, wird das Kind nebſt der Mut-
ter begraben, weil niemand iſt, der ihm weiter Nahrung
geben kann; denn von Ammen oder kuͤnſtlichen Nahrungs-
mitteln kleiner Kinder haben ſie keinen Begriff. Bringt
eine Mutter Zwillinge zur Welt, und glaubt ſie nicht
beyde ernaͤhren zu koͤnnen, ſo wird eins weggeworfen.
Sind beyde Knaben, ſo behalten ſie den beſten, geſunde-
ſten und ſtaͤrkſten; iſt eins ein Maͤdchen, ſo trifft allezeit
dieſes das Loos, weggeſchafft zu werden. Auch verfah-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Thunberg, Carl Peter: Reisen durch einen Theil von Europa, Afrika und Asien [...] in den Jahren 1770 bis 1779. Bd. 1. Übers. v. Christian Heinrich Groskurd. Berlin, 1792, S. 172. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thunberg_reisen01_1792/510>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.