trügereyen wegen, aufs möglichste zu verachten, zu has- sen, und gegen sie vorsichtig zu seyn. Der Japaner ist zwar stolz, aber gut; mit Sanftmuth und Freundlich- keit läßt er sich lenken und bewegen; Drohungen aber und Trotz wirken auf ihn nicht.
Die Gerechtigkeit wird im ganzen Lande sehr heilig gehalten. Der Monarch beeinträchtiget keinen seiner Nachbaren. Man hat in der ganzen Geschichte weder älterer noch neuerer Zeiten kein Beyspiel, daß je ein Ja- panischer Regent ein fremdes Land angegriffen, oder Lust sein Reich zu erweitern gezeigt hätte. Zwar sind die Jahr- bücher der Japaner voll von Heldenthaten, aber nur zur Vertheidigung des Vaterlandes gegen auswärtige Gewalt, oder gegen Aufruhr in seinen eignen Grenzen. Daß Länder erobern etwas Großes, und Thaten in Kriegen, die um zu erobern geführt werden, etwas Rühmliches seyen, davon haben sie keinen Begriff. Sie bleiben in diesem, so wie in allen andern Stücken bey der Denkungsart ih- rer Vorfahren, und nehmen auch jene Sitte von andern Völkern nicht an. Möchten doch die Beherrscher unsers Europa sich von ihnen nicht länger beschämen lassen! Sie haben aber auch nie von ihrem Lande sich etwas weg- nehmen lassen, und würden es auch jetzt nicht thun. Eben so herrscht Gerechtigkeit in allen ihren Gerichten. Alle Rechtssachen werden sehr bald, ohne Weitläuftig- keit und ohne Intrigue abgemacht. Der Verbrecher fin- det nirgends Zuflucht. Die Person wird nicht angesehen. Begnadigung zu hoffen wagt niemand. Aber auch ge- gen die Europäer beobachten sie Gerechtigkeit. Ihre Tractaten, Vergleiche und Verbindungen mit ihnen, he- ben sie nicht auf, gehen nicht ein Haar breit davon ab, ändern keinen Buchstaben daran, wofern nicht die Euro- päer selbst Anlaß und Ursache dazu geben.
Thunbergs Reise. 2. Bandes 1. Theil. L
Beſchaffenheit u. Charakter der Japaner.
truͤgereyen wegen, aufs moͤglichſte zu verachten, zu haſ- ſen, und gegen ſie vorſichtig zu ſeyn. Der Japaner iſt zwar ſtolz, aber gut; mit Sanftmuth und Freundlich- keit laͤßt er ſich lenken und bewegen; Drohungen aber und Trotz wirken auf ihn nicht.
Die Gerechtigkeit wird im ganzen Lande ſehr heilig gehalten. Der Monarch beeintraͤchtiget keinen ſeiner Nachbaren. Man hat in der ganzen Geſchichte weder aͤlterer noch neuerer Zeiten kein Beyſpiel, daß je ein Ja- paniſcher Regent ein fremdes Land angegriffen, oder Luſt ſein Reich zu erweitern gezeigt haͤtte. Zwar ſind die Jahr- buͤcher der Japaner voll von Heldenthaten, aber nur zur Vertheidigung des Vaterlandes gegen auswaͤrtige Gewalt, oder gegen Aufruhr in ſeinen eignen Grenzen. Daß Laͤnder erobern etwas Großes, und Thaten in Kriegen, die um zu erobern gefuͤhrt werden, etwas Ruͤhmliches ſeyen, davon haben ſie keinen Begriff. Sie bleiben in dieſem, ſo wie in allen andern Stuͤcken bey der Denkungsart ih- rer Vorfahren, und nehmen auch jene Sitte von andern Voͤlkern nicht an. Moͤchten doch die Beherrſcher unſers Europa ſich von ihnen nicht laͤnger beſchaͤmen laſſen! Sie haben aber auch nie von ihrem Lande ſich etwas weg- nehmen laſſen, und wuͤrden es auch jetzt nicht thun. Eben ſo herrſcht Gerechtigkeit in allen ihren Gerichten. Alle Rechtsſachen werden ſehr bald, ohne Weitlaͤuftig- keit und ohne Intrigue abgemacht. Der Verbrecher fin- det nirgends Zuflucht. Die Perſon wird nicht angeſehen. Begnadigung zu hoffen wagt niemand. Aber auch ge- gen die Europaͤer beobachten ſie Gerechtigkeit. Ihre Tractaten, Vergleiche und Verbindungen mit ihnen, he- ben ſie nicht auf, gehen nicht ein Haar breit davon ab, aͤndern keinen Buchſtaben daran, wofern nicht die Euro- paͤer ſelbſt Anlaß und Urſache dazu geben.
Thunbergs Reiſe. 2. Bandes 1. Theil. L
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Beſchaffenheit u. Charakter der Japaner.
truͤgereyen wegen, aufs moͤglichſte zu verachten, zu haſ-
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zwar ſtolz, aber gut; mit Sanftmuth und Freundlich-
keit laͤßt er ſich lenken und bewegen; Drohungen aber
und Trotz wirken auf ihn nicht.
Die Gerechtigkeit wird im ganzen Lande ſehr heilig
gehalten. Der Monarch beeintraͤchtiget keinen ſeiner
Nachbaren. Man hat in der ganzen Geſchichte weder
aͤlterer noch neuerer Zeiten kein Beyſpiel, daß je ein Ja-
paniſcher Regent ein fremdes Land angegriffen, oder Luſt
ſein Reich zu erweitern gezeigt haͤtte. Zwar ſind die Jahr-
buͤcher der Japaner voll von Heldenthaten, aber nur zur
Vertheidigung des Vaterlandes gegen auswaͤrtige Gewalt,
oder gegen Aufruhr in ſeinen eignen Grenzen. Daß
Laͤnder erobern etwas Großes, und Thaten in Kriegen, die
um zu erobern gefuͤhrt werden, etwas Ruͤhmliches ſeyen,
davon haben ſie keinen Begriff. Sie bleiben in dieſem,
ſo wie in allen andern Stuͤcken bey der Denkungsart ih-
rer Vorfahren, und nehmen auch jene Sitte von andern
Voͤlkern nicht an. Moͤchten doch die Beherrſcher unſers
Europa ſich von ihnen nicht laͤnger beſchaͤmen laſſen!
Sie haben aber auch nie von ihrem Lande ſich etwas weg-
nehmen laſſen, und wuͤrden es auch jetzt nicht thun.
Eben ſo herrſcht Gerechtigkeit in allen ihren Gerichten.
Alle Rechtsſachen werden ſehr bald, ohne Weitlaͤuftig-
keit und ohne Intrigue abgemacht. Der Verbrecher fin-
det nirgends Zuflucht. Die Perſon wird nicht angeſehen.
Begnadigung zu hoffen wagt niemand. Aber auch ge-
gen die Europaͤer beobachten ſie Gerechtigkeit. Ihre
Tractaten, Vergleiche und Verbindungen mit ihnen, he-
ben ſie nicht auf, gehen nicht ein Haar breit davon ab,
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Thunberg, Carl Peter: Reisen durch einen Theil von Europa, Afrika und Asien [...] in den Jahren 1770 bis 1779. Bd. 2. Übers. v. Christian Heinrich Groskurd. Berlin, 1794, S. 161. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thunberg_reisen02_1794/195>, abgerufen am 24.11.2024.
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