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Tieck, Ludwig: Die Gemälde. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 2. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–123. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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noch ein rechtlicher Mann werden? Es ist doch die höchste Zeit.

Mein junger Bekehrer, rief der Alte, ich bin es längst; du verstehst das Ding nicht, auch bist du mit deinem heißen Anlauf noch nicht durch. Stehst du am Ziel und bist glücklich allen Klippen, Halseisen, Leuchtpfählen vorüber, dann winke mir nur dreist, und ich steure dir vielleicht nach. Bis dahin laß mich ungeschoren.

So trennt sich also unsre Laufbahn, sagte Eduard, indem er ihn wieder freundlich anblickte; ich habe viel versäumt, aber doch noch nicht Alles, mir bleibt noch etwas von meinem Vermögen, mein Haus. Hier will ich mich einfach einrichten und beim Prinzen, der binnen Kurzem hier ankommen wird, eine Stelle als Secretär oder Bibliothekar suchen, vielleicht reise ich mit ihm; vielleicht, daß anderswo ein Glück -- oder, wenn das nicht, so beschränke ich mich hier und suche Arbeit und Beschäftigung in meiner Vaterstadt.

Und wann soll das Tugendleben losgehen? fragte der Alte mit grinsendem Lachen.

Gleich, sagte der Jüngling, morgen, heut, diese Stunde!

Narrenspossen! sagte der Maler und schüttelte den greisen Kopf; zu allen guten Dingen muß man sich Zeit lassn, sich vorbereiten, einen Anlauf nehmen, die alte Periode mit einer Feierlichkeit beschließen und die neue eben so beginnen. Das war eine herrliche Sitte, daß

noch ein rechtlicher Mann werden? Es ist doch die höchste Zeit.

Mein junger Bekehrer, rief der Alte, ich bin es längst; du verstehst das Ding nicht, auch bist du mit deinem heißen Anlauf noch nicht durch. Stehst du am Ziel und bist glücklich allen Klippen, Halseisen, Leuchtpfählen vorüber, dann winke mir nur dreist, und ich steure dir vielleicht nach. Bis dahin laß mich ungeschoren.

So trennt sich also unsre Laufbahn, sagte Eduard, indem er ihn wieder freundlich anblickte; ich habe viel versäumt, aber doch noch nicht Alles, mir bleibt noch etwas von meinem Vermögen, mein Haus. Hier will ich mich einfach einrichten und beim Prinzen, der binnen Kurzem hier ankommen wird, eine Stelle als Secretär oder Bibliothekar suchen, vielleicht reise ich mit ihm; vielleicht, daß anderswo ein Glück — oder, wenn das nicht, so beschränke ich mich hier und suche Arbeit und Beschäftigung in meiner Vaterstadt.

Und wann soll das Tugendleben losgehen? fragte der Alte mit grinsendem Lachen.

Gleich, sagte der Jüngling, morgen, heut, diese Stunde!

Narrenspossen! sagte der Maler und schüttelte den greisen Kopf; zu allen guten Dingen muß man sich Zeit lassn, sich vorbereiten, einen Anlauf nehmen, die alte Periode mit einer Feierlichkeit beschließen und die neue eben so beginnen. Das war eine herrliche Sitte, daß

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T12:27:02Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T12:27:02Z)

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Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Die Gemälde. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 2. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–123. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_gemaelde_1910/28>, abgerufen am 21.11.2024.