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Tieck, Ludwig: Die Gemälde. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 2. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–123. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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einzelne Menschen zu gewissen Zeiten leidenschaftlichen Stimmungen und Verirrungen ausgesetzt gewesen? Nur zu häufig haben wir die bösen Folgen des Zornes, der Trunkenheit, der Eifersucht und Wuth wahrnehmen müssen. Eben so ist auch nicht zu läugnen, daß vielfaches Unheil und seltsame Begebenheiten aus jenen gesteigerten Empfindungen, die man Liebe nennt, hervorgegangen sind. Es ist nur die Rede von jener Verkehrtheit, daß der Mensch zwar alle andere Verwirrungen vermeidet und sich der Ueberraschung der Leidenschaften zu entwöhnen sucht, Alle aber sich seit einer gewissen Zeit damit brüsten, ja es für nothwendig zum Leben halten, die Liebe und ihre wilden Zustände und leidenschaftlichen Verwirrungen erlebt zu haben.

Der Unbekannte sah den Wirth ernsthaft an und nickte ihm zu, worauf der Alte mit erhöhter Stimme fortfuhr:

Möchte man am Ende auch einer gewissen Billigkeit nachgeben und diese Zustände der sogenannten Liebenden, in denen, wie sie uns erzählen, die ganze Welt ihnen im schönern Lichte erscheint, und in welchen sie sich aller ihrer Seelenkräfte erhöht und vielfacher bewußt werden (obgleich sie in jenem Schlummerwachen in der Regel träge und zu keiner Arbeit zu bringen sind), natürlich finden: was thut, frag' ich nun. Alles dies, auch noch so glücklich sich wendend, um eine vernünftige und gute Ehe zu schließen? Ich würde nie meine Einwilligung geben, wenn ich das Unglück hätte, an meiner Tochter einmal diese Verstandesverwirrung zu bemerken.

Sophie lächelte; der junge Dietrich sah sie er-

einzelne Menschen zu gewissen Zeiten leidenschaftlichen Stimmungen und Verirrungen ausgesetzt gewesen? Nur zu häufig haben wir die bösen Folgen des Zornes, der Trunkenheit, der Eifersucht und Wuth wahrnehmen müssen. Eben so ist auch nicht zu läugnen, daß vielfaches Unheil und seltsame Begebenheiten aus jenen gesteigerten Empfindungen, die man Liebe nennt, hervorgegangen sind. Es ist nur die Rede von jener Verkehrtheit, daß der Mensch zwar alle andere Verwirrungen vermeidet und sich der Ueberraschung der Leidenschaften zu entwöhnen sucht, Alle aber sich seit einer gewissen Zeit damit brüsten, ja es für nothwendig zum Leben halten, die Liebe und ihre wilden Zustände und leidenschaftlichen Verwirrungen erlebt zu haben.

Der Unbekannte sah den Wirth ernsthaft an und nickte ihm zu, worauf der Alte mit erhöhter Stimme fortfuhr:

Möchte man am Ende auch einer gewissen Billigkeit nachgeben und diese Zustände der sogenannten Liebenden, in denen, wie sie uns erzählen, die ganze Welt ihnen im schönern Lichte erscheint, und in welchen sie sich aller ihrer Seelenkräfte erhöht und vielfacher bewußt werden (obgleich sie in jenem Schlummerwachen in der Regel träge und zu keiner Arbeit zu bringen sind), natürlich finden: was thut, frag' ich nun. Alles dies, auch noch so glücklich sich wendend, um eine vernünftige und gute Ehe zu schließen? Ich würde nie meine Einwilligung geben, wenn ich das Unglück hätte, an meiner Tochter einmal diese Verstandesverwirrung zu bemerken.

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[0036] einzelne Menschen zu gewissen Zeiten leidenschaftlichen Stimmungen und Verirrungen ausgesetzt gewesen? Nur zu häufig haben wir die bösen Folgen des Zornes, der Trunkenheit, der Eifersucht und Wuth wahrnehmen müssen. Eben so ist auch nicht zu läugnen, daß vielfaches Unheil und seltsame Begebenheiten aus jenen gesteigerten Empfindungen, die man Liebe nennt, hervorgegangen sind. Es ist nur die Rede von jener Verkehrtheit, daß der Mensch zwar alle andere Verwirrungen vermeidet und sich der Ueberraschung der Leidenschaften zu entwöhnen sucht, Alle aber sich seit einer gewissen Zeit damit brüsten, ja es für nothwendig zum Leben halten, die Liebe und ihre wilden Zustände und leidenschaftlichen Verwirrungen erlebt zu haben. Der Unbekannte sah den Wirth ernsthaft an und nickte ihm zu, worauf der Alte mit erhöhter Stimme fortfuhr: Möchte man am Ende auch einer gewissen Billigkeit nachgeben und diese Zustände der sogenannten Liebenden, in denen, wie sie uns erzählen, die ganze Welt ihnen im schönern Lichte erscheint, und in welchen sie sich aller ihrer Seelenkräfte erhöht und vielfacher bewußt werden (obgleich sie in jenem Schlummerwachen in der Regel träge und zu keiner Arbeit zu bringen sind), natürlich finden: was thut, frag' ich nun. Alles dies, auch noch so glücklich sich wendend, um eine vernünftige und gute Ehe zu schließen? Ich würde nie meine Einwilligung geben, wenn ich das Unglück hätte, an meiner Tochter einmal diese Verstandesverwirrung zu bemerken. Sophie lächelte; der junge Dietrich sah sie er-

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T12:27:02Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Die Gemälde. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 2. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–123. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_gemaelde_1910/36>, abgerufen am 23.11.2024.