Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 1. Berlin u. a., 1795.

Bild:
<< vorherige Seite

mit barmherzigen Augen ansehn, daß ich es gar
nicht lassen kann, ihnen auch was zu geben; der
eine drückt mir dann die Hand, der andre sieht
nach dem Himmel, der dritte weint, -- o da
hab' ich oft mitgeweint und mich nicht dazu
gezwungen, es kamen mir die Thränen ganz
unverhofft, -- ach, es sind recht gute Leute,
wenn sie nur ihr gehöriges Brod in der Welt
hätten.

Die vornehmen Leute fahren hier in der
Stadt sehr geschwinde, viel zu geschwinde, wie
ein Jagdpferd. Es werden oft Leute überge-
fahren und da machen sie sich nicht viel draus,
sie fahren über die Menschen ganz geruhig
weg, -- Thomas, auch darüber hab' ich neulich
geweint, wie sie so einen armen alten Mann
übergefahren hatten, der eben seinen Kindern
Brodt eingekauft hatte, es war gerade ein Fest
und er hatte sich weiß Brod gekauft, um sich
doch auch eine Freude zu machen, und nun fuh-
ren sie ihn gerade so unbarmherzig über, daß er
schon am Abende starb. -- Es ist nicht recht,
Thomas, ich könnte nicht wieder recht ruhig
schlafen, aber das ist hier nicht anders, -- wir

mit barmherzigen Augen anſehn, daß ich es gar
nicht laſſen kann, ihnen auch was zu geben; der
eine druͤckt mir dann die Hand, der andre ſieht
nach dem Himmel, der dritte weint, — o da
hab’ ich oft mitgeweint und mich nicht dazu
gezwungen, es kamen mir die Thraͤnen ganz
unverhofft, — ach, es ſind recht gute Leute,
wenn ſie nur ihr gehoͤriges Brod in der Welt
haͤtten.

Die vornehmen Leute fahren hier in der
Stadt ſehr geſchwinde, viel zu geſchwinde, wie
ein Jagdpferd. Es werden oft Leute uͤberge-
fahren und da machen ſie ſich nicht viel draus,
ſie fahren uͤber die Menſchen ganz geruhig
weg, — Thomas, auch daruͤber hab’ ich neulich
geweint, wie ſie ſo einen armen alten Mann
uͤbergefahren hatten, der eben ſeinen Kindern
Brodt eingekauft hatte, es war gerade ein Feſt
und er hatte ſich weiß Brod gekauft, um ſich
doch auch eine Freude zu machen, und nun fuh-
ren ſie ihn gerade ſo unbarmherzig uͤber, daß er
ſchon am Abende ſtarb. — Es iſt nicht recht,
Thomas, ich koͤnnte nicht wieder recht ruhig
ſchlafen, aber das iſt hier nicht anders, — wir

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0104" n="96[94]"/>
mit barmherzigen Augen an&#x017F;ehn, daß ich es gar<lb/>
nicht la&#x017F;&#x017F;en kann, ihnen auch was zu geben; der<lb/>
eine dru&#x0364;ckt mir dann die Hand, der andre &#x017F;ieht<lb/>
nach dem Himmel, der dritte weint, &#x2014; o da<lb/>
hab&#x2019; ich oft mitgeweint und mich nicht dazu<lb/>
gezwungen, es kamen mir die Thra&#x0364;nen ganz<lb/>
unverhofft, &#x2014; ach, es &#x017F;ind recht gute Leute,<lb/>
wenn &#x017F;ie nur ihr geho&#x0364;riges Brod in der Welt<lb/>
ha&#x0364;tten.</p><lb/>
          <p>Die vornehmen Leute fahren hier in der<lb/>
Stadt &#x017F;ehr ge&#x017F;chwinde, viel zu ge&#x017F;chwinde, wie<lb/>
ein Jagdpferd. Es werden oft Leute u&#x0364;berge-<lb/>
fahren und da machen &#x017F;ie &#x017F;ich nicht viel draus,<lb/>
&#x017F;ie fahren u&#x0364;ber die Men&#x017F;chen ganz geruhig<lb/>
weg, &#x2014; Thomas, auch daru&#x0364;ber hab&#x2019; ich neulich<lb/>
geweint, wie &#x017F;ie &#x017F;o einen armen alten Mann<lb/>
u&#x0364;bergefahren hatten, der eben &#x017F;einen Kindern<lb/>
Brodt eingekauft hatte, es war gerade ein Fe&#x017F;t<lb/>
und er hatte &#x017F;ich weiß Brod gekauft, um &#x017F;ich<lb/>
doch auch eine Freude zu machen, und nun fuh-<lb/>
ren &#x017F;ie ihn gerade &#x017F;o unbarmherzig u&#x0364;ber, daß er<lb/>
&#x017F;chon am Abende &#x017F;tarb. &#x2014; Es i&#x017F;t nicht recht,<lb/>
Thomas, ich ko&#x0364;nnte nicht wieder recht ruhig<lb/>
&#x017F;chlafen, aber das i&#x017F;t hier nicht anders, &#x2014; wir<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[96[94]/0104] mit barmherzigen Augen anſehn, daß ich es gar nicht laſſen kann, ihnen auch was zu geben; der eine druͤckt mir dann die Hand, der andre ſieht nach dem Himmel, der dritte weint, — o da hab’ ich oft mitgeweint und mich nicht dazu gezwungen, es kamen mir die Thraͤnen ganz unverhofft, — ach, es ſind recht gute Leute, wenn ſie nur ihr gehoͤriges Brod in der Welt haͤtten. Die vornehmen Leute fahren hier in der Stadt ſehr geſchwinde, viel zu geſchwinde, wie ein Jagdpferd. Es werden oft Leute uͤberge- fahren und da machen ſie ſich nicht viel draus, ſie fahren uͤber die Menſchen ganz geruhig weg, — Thomas, auch daruͤber hab’ ich neulich geweint, wie ſie ſo einen armen alten Mann uͤbergefahren hatten, der eben ſeinen Kindern Brodt eingekauft hatte, es war gerade ein Feſt und er hatte ſich weiß Brod gekauft, um ſich doch auch eine Freude zu machen, und nun fuh- ren ſie ihn gerade ſo unbarmherzig uͤber, daß er ſchon am Abende ſtarb. — Es iſt nicht recht, Thomas, ich koͤnnte nicht wieder recht ruhig ſchlafen, aber das iſt hier nicht anders, — wir

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell01_1795
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell01_1795/104
Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 1. Berlin u. a., 1795, S. 96[94]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell01_1795/104>, abgerufen am 24.11.2024.