Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 1. Berlin u. a., 1795.

Bild:
<< vorherige Seite

Aber Du magst selbst Recht behalten; mag
selbst der Frühlingsgeist entwichen seyn, der jene
früheren Jahre beseelte, laß die Welt in eine
trübe Dumpfheit gesunken seyn, den Himmel
mit Wolken verhüllt, die uns den Verlust des
Morgenrothes bereuen lassen, -- aber Du wirst
nicht läugnen wollen, daß schönere Jahre kom-
men werden, daß sie kommen müssen, daß sie
nicht mehr so fern sind, als uns itzt jenes Zeit-
alter holder Träume entfernt liegt, -- scheust
Du Dich in dieser Ueberzeugung der höheren
Veredlung ein kleines Opfer zu bringen? Laß
es auch die schönsten Blumen der Flur seyn, sie
werden der schönsten Gottheit gebracht. --

Was kümmern Dich auch die Wesen umher?
Fühlst Du in Deinen Adern die Kraft des Al-
ciden, o so besteige kühn den Felsen, der Dir
der höchste scheint. Spürst Du in Deinem Bu-
sen Raum für Gottergefühle, sammle sie sorg-
fältig ein, verbinde im Wachsthume Deiner
Seele alles, was Du schön und edel nennst und
laß es blühen und reifen. Gegrüßt seyst Du
mir dann mit diesen Schätzen, mit neuer Liebe
will ich Dich dann an meinen Busen drücken
und demüthig den Geist in Dir verehren, der
hoch erhaben über dem meinigen flammt. --


Aber Du magſt ſelbſt Recht behalten; mag
ſelbſt der Fruͤhlingsgeiſt entwichen ſeyn, der jene
fruͤheren Jahre beſeelte, laß die Welt in eine
truͤbe Dumpfheit geſunken ſeyn, den Himmel
mit Wolken verhuͤllt, die uns den Verluſt des
Morgenrothes bereuen laſſen, — aber Du wirſt
nicht laͤugnen wollen, daß ſchoͤnere Jahre kom-
men werden, daß ſie kommen muͤſſen, daß ſie
nicht mehr ſo fern ſind, als uns itzt jenes Zeit-
alter holder Traͤume entfernt liegt, — ſcheuſt
Du Dich in dieſer Ueberzeugung der hoͤheren
Veredlung ein kleines Opfer zu bringen? Laß
es auch die ſchoͤnſten Blumen der Flur ſeyn, ſie
werden der ſchoͤnſten Gottheit gebracht. —

Was kuͤmmern Dich auch die Weſen umher?
Fuͤhlſt Du in Deinen Adern die Kraft des Al-
ciden, o ſo beſteige kuͤhn den Felſen, der Dir
der hoͤchſte ſcheint. Spuͤrſt Du in Deinem Bu-
ſen Raum fuͤr Gottergefuͤhle, ſammle ſie ſorg-
faͤltig ein, verbinde im Wachsthume Deiner
Seele alles, was Du ſchoͤn und edel nennſt und
laß es bluͤhen und reifen. Gegruͤßt ſeyſt Du
mir dann mit dieſen Schaͤtzen, mit neuer Liebe
will ich Dich dann an meinen Buſen druͤcken
und demuͤthig den Geiſt in Dir verehren, der
hoch erhaben uͤber dem meinigen flammt. —


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0111" n="103[101]"/>
          <p>Aber Du mag&#x017F;t &#x017F;elb&#x017F;t Recht behalten; mag<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t der Fru&#x0364;hlingsgei&#x017F;t entwichen &#x017F;eyn, der jene<lb/>
fru&#x0364;heren Jahre be&#x017F;eelte, laß die Welt in eine<lb/>
tru&#x0364;be Dumpfheit ge&#x017F;unken &#x017F;eyn, den Himmel<lb/>
mit Wolken verhu&#x0364;llt, die uns den Verlu&#x017F;t des<lb/>
Morgenrothes bereuen la&#x017F;&#x017F;en, &#x2014; aber Du wir&#x017F;t<lb/>
nicht la&#x0364;ugnen wollen, daß <hi rendition="#g">&#x017F;cho&#x0364;nere</hi> Jahre kom-<lb/>
men werden, daß &#x017F;ie kommen mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en, daß &#x017F;ie<lb/>
nicht mehr &#x017F;o fern &#x017F;ind, als uns itzt jenes Zeit-<lb/>
alter holder Tra&#x0364;ume entfernt liegt, &#x2014; &#x017F;cheu&#x017F;t<lb/>
Du Dich in die&#x017F;er Ueberzeugung der ho&#x0364;heren<lb/>
Veredlung ein kleines Opfer zu bringen? Laß<lb/>
es auch die &#x017F;cho&#x0364;n&#x017F;ten Blumen der Flur &#x017F;eyn, &#x017F;ie<lb/>
werden der &#x017F;cho&#x0364;n&#x017F;ten Gottheit gebracht. &#x2014;</p><lb/>
          <p>Was ku&#x0364;mmern Dich auch die We&#x017F;en umher?<lb/>
Fu&#x0364;hl&#x017F;t Du in Deinen Adern die Kraft des Al-<lb/>
ciden, o &#x017F;o be&#x017F;teige ku&#x0364;hn den Fel&#x017F;en, der Dir<lb/>
der ho&#x0364;ch&#x017F;te &#x017F;cheint. Spu&#x0364;r&#x017F;t Du in Deinem Bu-<lb/>
&#x017F;en Raum fu&#x0364;r Gottergefu&#x0364;hle, &#x017F;ammle &#x017F;ie &#x017F;org-<lb/>
fa&#x0364;ltig ein, verbinde im Wachsthume Deiner<lb/>
Seele alles, was Du &#x017F;cho&#x0364;n und edel nenn&#x017F;t und<lb/>
laß es blu&#x0364;hen und reifen. Gegru&#x0364;ßt &#x017F;ey&#x017F;t Du<lb/>
mir dann mit die&#x017F;en Scha&#x0364;tzen, mit neuer Liebe<lb/>
will ich Dich dann an meinen Bu&#x017F;en dru&#x0364;cken<lb/>
und demu&#x0364;thig den Gei&#x017F;t in Dir verehren, der<lb/>
hoch erhaben u&#x0364;ber dem meinigen flammt. &#x2014;</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[103[101]/0111] Aber Du magſt ſelbſt Recht behalten; mag ſelbſt der Fruͤhlingsgeiſt entwichen ſeyn, der jene fruͤheren Jahre beſeelte, laß die Welt in eine truͤbe Dumpfheit geſunken ſeyn, den Himmel mit Wolken verhuͤllt, die uns den Verluſt des Morgenrothes bereuen laſſen, — aber Du wirſt nicht laͤugnen wollen, daß ſchoͤnere Jahre kom- men werden, daß ſie kommen muͤſſen, daß ſie nicht mehr ſo fern ſind, als uns itzt jenes Zeit- alter holder Traͤume entfernt liegt, — ſcheuſt Du Dich in dieſer Ueberzeugung der hoͤheren Veredlung ein kleines Opfer zu bringen? Laß es auch die ſchoͤnſten Blumen der Flur ſeyn, ſie werden der ſchoͤnſten Gottheit gebracht. — Was kuͤmmern Dich auch die Weſen umher? Fuͤhlſt Du in Deinen Adern die Kraft des Al- ciden, o ſo beſteige kuͤhn den Felſen, der Dir der hoͤchſte ſcheint. Spuͤrſt Du in Deinem Bu- ſen Raum fuͤr Gottergefuͤhle, ſammle ſie ſorg- faͤltig ein, verbinde im Wachsthume Deiner Seele alles, was Du ſchoͤn und edel nennſt und laß es bluͤhen und reifen. Gegruͤßt ſeyſt Du mir dann mit dieſen Schaͤtzen, mit neuer Liebe will ich Dich dann an meinen Buſen druͤcken und demuͤthig den Geiſt in Dir verehren, der hoch erhaben uͤber dem meinigen flammt. —

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell01_1795
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell01_1795/111
Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 1. Berlin u. a., 1795, S. 103[101]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell01_1795/111>, abgerufen am 21.11.2024.