Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 1. Berlin u. a., 1795.

Bild:
<< vorherige Seite

Ich lebe hier im einsamen Bonstreet, in ei-
ner Unthätigkeit, die mich unglücklich macht.
Mir fehlt alles, denn mir fehlt ein Freund. --
Auch mein Vater macht mich oft betrübt, ich
kann mich oft nur gezwungen mit dem Ge-
danken trösten, das wieder aufzubauen, was er
täglich einreißt, -- ich mag es mir nicht leb-
haft denken, daß er ein schlechter Mensch
sey, ich kann es nicht glauben, so allgemein und
fest es auch die ganze Welt glaubt, -- er ist
schwach, er handelt nach Prinzipien, die ge-
wiß falsch sind, er ist durch einseitige und trau-
rige Menschenkenntniß gegen Mitleid und Theil-
nahme abgehärtet, -- aber er macht mir vielen
Kummer, und wenn er auch mit mir väterlicher
umginge, ich würde doch seinetwegen trauern.

Deine Tante in Waterhall ist gestorben,
ihr Gut ist an Dich gefallen, -- William, --
darf ich mir eine schöne Zukunft denken, in
welcher Du dort wohnst, so nahe bei mir, wo
wir uns dann oft die Hand drücken und in die
Arme schließen können? Ich verweise alle mei-
ne Wünsche in jene Zeit, aber eine boshafte
Ahndung will es mir manchmal abläugnen, daß
sie sich je dort erfüllen werden. -- Nicht wahr,

Ich lebe hier im einſamen Bonſtreet, in ei-
ner Unthaͤtigkeit, die mich ungluͤcklich macht.
Mir fehlt alles, denn mir fehlt ein Freund. —
Auch mein Vater macht mich oft betruͤbt, ich
kann mich oft nur gezwungen mit dem Ge-
danken troͤſten, das wieder aufzubauen, was er
taͤglich einreißt, — ich mag es mir nicht leb-
haft denken, daß er ein ſchlechter Menſch
ſey, ich kann es nicht glauben, ſo allgemein und
feſt es auch die ganze Welt glaubt, — er iſt
ſchwach, er handelt nach Prinzipien, die ge-
wiß falſch ſind, er iſt durch einſeitige und trau-
rige Menſchenkenntniß gegen Mitleid und Theil-
nahme abgehaͤrtet, — aber er macht mir vielen
Kummer, und wenn er auch mit mir vaͤterlicher
umginge, ich wuͤrde doch ſeinetwegen trauern.

Deine Tante in Waterhall iſt geſtorben,
ihr Gut iſt an Dich gefallen, — William, —
darf ich mir eine ſchoͤne Zukunft denken, in
welcher Du dort wohnſt, ſo nahe bei mir, wo
wir uns dann oft die Hand druͤcken und in die
Arme ſchließen koͤnnen? Ich verweiſe alle mei-
ne Wuͤnſche in jene Zeit, aber eine boshafte
Ahndung will es mir manchmal ablaͤugnen, daß
ſie ſich je dort erfuͤllen werden. — Nicht wahr,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0113" n="105[103]"/>
          <p>Ich lebe hier im ein&#x017F;amen Bon&#x017F;treet, in ei-<lb/>
ner Untha&#x0364;tigkeit, die mich unglu&#x0364;cklich macht.<lb/>
Mir fehlt alles, denn mir fehlt ein Freund. &#x2014;<lb/>
Auch mein Vater macht mich oft betru&#x0364;bt, ich<lb/>
kann mich oft nur gezwungen mit dem Ge-<lb/>
danken tro&#x0364;&#x017F;ten, das wieder aufzubauen, was er<lb/>
ta&#x0364;glich einreißt, &#x2014; ich mag es mir nicht leb-<lb/>
haft denken, daß er ein <hi rendition="#g">&#x017F;chlechter</hi> Men&#x017F;ch<lb/>
&#x017F;ey, ich kann es nicht glauben, &#x017F;o allgemein und<lb/>
fe&#x017F;t es auch die ganze Welt glaubt, &#x2014; er i&#x017F;t<lb/><hi rendition="#g">&#x017F;chwach</hi>, er handelt nach Prinzipien, die ge-<lb/>
wiß fal&#x017F;ch &#x017F;ind, er i&#x017F;t durch ein&#x017F;eitige und trau-<lb/>
rige Men&#x017F;chenkenntniß gegen Mitleid und Theil-<lb/>
nahme abgeha&#x0364;rtet, &#x2014; aber er macht mir vielen<lb/>
Kummer, und wenn er auch mit mir va&#x0364;terlicher<lb/>
umginge, ich wu&#x0364;rde doch &#x017F;einetwegen trauern.</p><lb/>
          <p>Deine Tante in <hi rendition="#g">Waterhall</hi> i&#x017F;t ge&#x017F;torben,<lb/>
ihr Gut i&#x017F;t an Dich gefallen, &#x2014; William, &#x2014;<lb/>
darf ich mir eine &#x017F;cho&#x0364;ne Zukunft denken, in<lb/>
welcher Du dort wohn&#x017F;t, &#x017F;o nahe bei mir, wo<lb/>
wir uns dann oft die Hand dru&#x0364;cken und in die<lb/>
Arme &#x017F;chließen ko&#x0364;nnen? Ich verwei&#x017F;e alle mei-<lb/>
ne Wu&#x0364;n&#x017F;che in jene Zeit, aber eine boshafte<lb/>
Ahndung will es mir manchmal abla&#x0364;ugnen, daß<lb/>
&#x017F;ie &#x017F;ich je dort erfu&#x0364;llen werden. &#x2014; Nicht wahr,<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[105[103]/0113] Ich lebe hier im einſamen Bonſtreet, in ei- ner Unthaͤtigkeit, die mich ungluͤcklich macht. Mir fehlt alles, denn mir fehlt ein Freund. — Auch mein Vater macht mich oft betruͤbt, ich kann mich oft nur gezwungen mit dem Ge- danken troͤſten, das wieder aufzubauen, was er taͤglich einreißt, — ich mag es mir nicht leb- haft denken, daß er ein ſchlechter Menſch ſey, ich kann es nicht glauben, ſo allgemein und feſt es auch die ganze Welt glaubt, — er iſt ſchwach, er handelt nach Prinzipien, die ge- wiß falſch ſind, er iſt durch einſeitige und trau- rige Menſchenkenntniß gegen Mitleid und Theil- nahme abgehaͤrtet, — aber er macht mir vielen Kummer, und wenn er auch mit mir vaͤterlicher umginge, ich wuͤrde doch ſeinetwegen trauern. Deine Tante in Waterhall iſt geſtorben, ihr Gut iſt an Dich gefallen, — William, — darf ich mir eine ſchoͤne Zukunft denken, in welcher Du dort wohnſt, ſo nahe bei mir, wo wir uns dann oft die Hand druͤcken und in die Arme ſchließen koͤnnen? Ich verweiſe alle mei- ne Wuͤnſche in jene Zeit, aber eine boshafte Ahndung will es mir manchmal ablaͤugnen, daß ſie ſich je dort erfuͤllen werden. — Nicht wahr,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell01_1795
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell01_1795/113
Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 1. Berlin u. a., 1795, S. 105[103]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell01_1795/113>, abgerufen am 21.11.2024.