Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 1. Berlin u. a., 1795.

Bild:
<< vorherige Seite

ner beständigen liebenswürdigen Verwirrung ge-
wesen, so heimlich vertraulich und dann wieder
so plötzlich zurückgezogen, so entgegenkommend
und freundlich, -- aber ich reise dennoch, ich
reise eben deswegen. Arme Emilie! und armer
Karl!

Doch, was helfen alle Klagen? Die Welt
wird darum doch nicht anders, unsre Verhält-
nisse werden von dem Wehen unsrer Seufzer
nicht umgeworfen. So wenig Laune mir auch
übrig geblieben seyn mag, so wollen wir doch
beide versuchen, uns gegenseitig zu trösten; die
Freundschaft hat über das Gemüth eine sehr
große Gewalt, in Gesprächen, in hundert klei-
nen Zerstreuungen verlieren sich endlich jene
trüben Empfindungen, eine Freude wäscht nach
der andern den Gram aus unserm Herzen, --
ja, wir wollen dennoch froh mit einander seyn.
Man kann sich gegenseitig tausendfaches Ver-
gnügen erschaffen und die gewöhnlichen Freuden
erhöhen; in des Freundes Gesellschaft sprießen
auch Blumen aus dem dürrsten Boden, man
lacht und freut sich über tausend Kleinigkeiten,
die man in der Einsamkeit kaum bemerken wür-
de. -- O, ich fange wieder an, aufzuleben, wenn

ich

ner beſtaͤndigen liebenswuͤrdigen Verwirrung ge-
weſen, ſo heimlich vertraulich und dann wieder
ſo ploͤtzlich zuruͤckgezogen, ſo entgegenkommend
und freundlich, — aber ich reiſe dennoch, ich
reiſe eben deswegen. Arme Emilie! und armer
Karl!

Doch, was helfen alle Klagen? Die Welt
wird darum doch nicht anders, unſre Verhaͤlt-
niſſe werden von dem Wehen unſrer Seufzer
nicht umgeworfen. So wenig Laune mir auch
uͤbrig geblieben ſeyn mag, ſo wollen wir doch
beide verſuchen, uns gegenſeitig zu troͤſten; die
Freundſchaft hat uͤber das Gemuͤth eine ſehr
große Gewalt, in Geſpraͤchen, in hundert klei-
nen Zerſtreuungen verlieren ſich endlich jene
truͤben Empfindungen, eine Freude waͤſcht nach
der andern den Gram aus unſerm Herzen, —
ja, wir wollen dennoch froh mit einander ſeyn.
Man kann ſich gegenſeitig tauſendfaches Ver-
gnuͤgen erſchaffen und die gewoͤhnlichen Freuden
erhoͤhen; in des Freundes Geſellſchaft ſprießen
auch Blumen aus dem duͤrrſten Boden, man
lacht und freut ſich uͤber tauſend Kleinigkeiten,
die man in der Einſamkeit kaum bemerken wuͤr-
de. — O, ich fange wieder an, aufzuleben, wenn

ich
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0216" n="208[206]"/>
ner be&#x017F;ta&#x0364;ndigen liebenswu&#x0364;rdigen Verwirrung ge-<lb/>
we&#x017F;en, &#x017F;o heimlich vertraulich und dann wieder<lb/>
&#x017F;o plo&#x0364;tzlich zuru&#x0364;ckgezogen, &#x017F;o entgegenkommend<lb/>
und freundlich, &#x2014; aber ich rei&#x017F;e dennoch, ich<lb/>
rei&#x017F;e eben deswegen. Arme Emilie! und armer<lb/>
Karl!</p><lb/>
          <p>Doch, was helfen alle Klagen? Die Welt<lb/>
wird darum doch nicht anders, un&#x017F;re Verha&#x0364;lt-<lb/>
ni&#x017F;&#x017F;e werden von dem Wehen un&#x017F;rer Seufzer<lb/>
nicht umgeworfen. So wenig Laune mir auch<lb/>
u&#x0364;brig geblieben &#x017F;eyn mag, &#x017F;o wollen wir doch<lb/>
beide ver&#x017F;uchen, uns gegen&#x017F;eitig zu tro&#x0364;&#x017F;ten; die<lb/>
Freund&#x017F;chaft hat u&#x0364;ber das Gemu&#x0364;th eine &#x017F;ehr<lb/>
große Gewalt, in Ge&#x017F;pra&#x0364;chen, in hundert klei-<lb/>
nen Zer&#x017F;treuungen verlieren &#x017F;ich endlich jene<lb/>
tru&#x0364;ben Empfindungen, eine Freude wa&#x0364;&#x017F;cht nach<lb/>
der andern den Gram aus un&#x017F;erm Herzen, &#x2014;<lb/>
ja, wir wollen dennoch froh mit einander &#x017F;eyn.<lb/>
Man kann &#x017F;ich gegen&#x017F;eitig tau&#x017F;endfaches Ver-<lb/>
gnu&#x0364;gen er&#x017F;chaffen und die gewo&#x0364;hnlichen Freuden<lb/>
erho&#x0364;hen; in des Freundes Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft &#x017F;prießen<lb/>
auch Blumen aus dem du&#x0364;rr&#x017F;ten Boden, man<lb/>
lacht und freut &#x017F;ich u&#x0364;ber tau&#x017F;end Kleinigkeiten,<lb/>
die man in der Ein&#x017F;amkeit kaum bemerken wu&#x0364;r-<lb/>
de. &#x2014; O, ich fange wieder an, aufzuleben, wenn<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">ich</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[208[206]/0216] ner beſtaͤndigen liebenswuͤrdigen Verwirrung ge- weſen, ſo heimlich vertraulich und dann wieder ſo ploͤtzlich zuruͤckgezogen, ſo entgegenkommend und freundlich, — aber ich reiſe dennoch, ich reiſe eben deswegen. Arme Emilie! und armer Karl! Doch, was helfen alle Klagen? Die Welt wird darum doch nicht anders, unſre Verhaͤlt- niſſe werden von dem Wehen unſrer Seufzer nicht umgeworfen. So wenig Laune mir auch uͤbrig geblieben ſeyn mag, ſo wollen wir doch beide verſuchen, uns gegenſeitig zu troͤſten; die Freundſchaft hat uͤber das Gemuͤth eine ſehr große Gewalt, in Geſpraͤchen, in hundert klei- nen Zerſtreuungen verlieren ſich endlich jene truͤben Empfindungen, eine Freude waͤſcht nach der andern den Gram aus unſerm Herzen, — ja, wir wollen dennoch froh mit einander ſeyn. Man kann ſich gegenſeitig tauſendfaches Ver- gnuͤgen erſchaffen und die gewoͤhnlichen Freuden erhoͤhen; in des Freundes Geſellſchaft ſprießen auch Blumen aus dem duͤrrſten Boden, man lacht und freut ſich uͤber tauſend Kleinigkeiten, die man in der Einſamkeit kaum bemerken wuͤr- de. — O, ich fange wieder an, aufzuleben, wenn ich

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell01_1795
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell01_1795/216
Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 1. Berlin u. a., 1795, S. 208[206]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell01_1795/216>, abgerufen am 21.11.2024.