ich denn überhaupt manchmahl etwas wie ein altes Weib bin, wie Du wohl auch ehemahls zu sagen pflegtest. Aber ich kann's nicht ändern, wenn sich mir das Herz umkehrt, wenn ich so von einem Steinfelsenberge so viele Meilen in's Land hineinsehe, Aecker, Wie- sen und Flüsse und Berge gegenüber und die Sonne mit den rothen Strahlen dazwischen, -- und dabei gesund und froh! O Thomas, es ist um's Reisen eine herrliche Sache, ich wollt' es Dir zeitlebens nicht abrathen, wenn Du je- mahls zu einer Reise Gelegenheit hast. -- Was mir ganz ein Räthsel werden könnte, ist, wie man unter Gottes schönem Himmel so betrübt und verdrüßlich seyn könnte, als mir der Herr Balder zu seyn scheint. Er thut wahrhaftig Unrecht daran. Aber er sieht manchmahl aus, wie ein armer Sünder, der am folgenden Mor- gen gehängt werden soll, so verloren und küm- merlich; dem guten Manne muß doch irgend etwas fehlen, denn sonst, Thomas, würde ich ihn für eine Art von Narren halten, wie es wohl zuweilen etliche bei uns in England giebt, die sich freventlich und vorwissentlich todt- schießen können, ohne daß sie selber eigentlich
ich denn uͤberhaupt manchmahl etwas wie ein altes Weib bin, wie Du wohl auch ehemahls zu ſagen pflegteſt. Aber ich kann’s nicht aͤndern, wenn ſich mir das Herz umkehrt, wenn ich ſo von einem Steinfelſenberge ſo viele Meilen in’s Land hineinſehe, Aecker, Wie- ſen und Fluͤſſe und Berge gegenuͤber und die Sonne mit den rothen Strahlen dazwiſchen, — und dabei geſund und froh! O Thomas, es iſt um’s Reiſen eine herrliche Sache, ich wollt’ es Dir zeitlebens nicht abrathen, wenn Du je- mahls zu einer Reiſe Gelegenheit haſt. — Was mir ganz ein Raͤthſel werden koͤnnte, iſt, wie man unter Gottes ſchoͤnem Himmel ſo betruͤbt und verdruͤßlich ſeyn koͤnnte, als mir der Herr Balder zu ſeyn ſcheint. Er thut wahrhaftig Unrecht daran. Aber er ſieht manchmahl aus, wie ein armer Suͤnder, der am folgenden Mor- gen gehaͤngt werden ſoll, ſo verloren und kuͤm- merlich; dem guten Manne muß doch irgend etwas fehlen, denn ſonſt, Thomas, wuͤrde ich ihn fuͤr eine Art von Narren halten, wie es wohl zuweilen etliche bei uns in England giebt, die ſich freventlich und vorwiſſentlich todt- ſchießen koͤnnen, ohne daß ſie ſelber eigentlich
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ich denn uͤberhaupt manchmahl etwas wie ein
altes Weib bin, wie Du wohl auch ehemahls
zu ſagen pflegteſt. Aber ich kann’s nicht
aͤndern, wenn ſich mir das Herz umkehrt,
wenn ich ſo von einem Steinfelſenberge ſo
viele Meilen in’s Land hineinſehe, Aecker, Wie-
ſen und Fluͤſſe und Berge gegenuͤber und die
Sonne mit den rothen Strahlen dazwiſchen, —
und dabei geſund und froh! O Thomas, es iſt
um’s Reiſen eine herrliche Sache, ich wollt’ es
Dir zeitlebens nicht abrathen, wenn Du je-
mahls zu einer Reiſe Gelegenheit haſt. — Was
mir ganz ein Raͤthſel werden koͤnnte, iſt, wie
man unter Gottes ſchoͤnem Himmel ſo betruͤbt
und verdruͤßlich ſeyn koͤnnte, als mir der Herr
Balder zu ſeyn ſcheint. Er thut wahrhaftig
Unrecht daran. Aber er ſieht manchmahl aus,
wie ein armer Suͤnder, der am folgenden Mor-
gen gehaͤngt werden ſoll, ſo verloren und kuͤm-
merlich; dem guten Manne muß doch irgend
etwas fehlen, denn ſonſt, Thomas, wuͤrde ich
ihn fuͤr eine Art von Narren halten, wie es
wohl zuweilen etliche bei uns in England giebt,
die ſich freventlich und vorwiſſentlich todt-
ſchießen koͤnnen, ohne daß ſie ſelber eigentlich
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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 1. Berlin u. a., 1795, S. 221[219]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell01_1795/229>, abgerufen am 21.11.2024.
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