Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 1. Berlin u. a., 1795.

Bild:
<< vorherige Seite

festzuhalten. So ist meine Reise eine ununter-
brochene Trunkenheit, alle meine Sinne sind be-
ständig berauscht, -- o dies rasche Wandeln
durch die schöne Welt gewährt einen hohen Ge-
nuß, man lebt hier in einem Tage oft mehr
als in der engen, häuslichen Eingeschränktheit
in einem Monathe. Schon als Kind, wenn ich
vor dem Landhause meines Vaters stand und
über die fernen Berge hinwegsah und ganz am
Ende des blauen Horizontes eine Windmühle
entdeckte: so war mir's, als wenn sie mich mit
ihrer Bewegung zu sich winkte, das Blut
strömte mir schneller zum Herzen, mein Geist
flog zur fernen Gegend hin, eine fremde Sehn-
sucht füllte oft mein Auge mit Thränen. --
Wie schlug mir dann das Herz, wenn ein Post-
horn über den Wald ertönte und ein Wagen
vom Abhange des Berges fuhr! -- Am Abend
ging ich traurig und mit trüber Seele in mein
Zimmer zurück; meine Gedanken kehrten ungern
aus den fernen, fremden Gegenden wieder, die
bekannte Heimath umher drückte meinen Geist
zu Boden. Wenn ich an jene Empfindungen
meiner Kindheit zurückdenke, so empfind' ich
meine itzige glückliche Lage um so lebhafter; ich

feſtzuhalten. So iſt meine Reiſe eine ununter-
brochene Trunkenheit, alle meine Sinne ſind be-
ſtaͤndig berauſcht, — o dies raſche Wandeln
durch die ſchoͤne Welt gewaͤhrt einen hohen Ge-
nuß, man lebt hier in einem Tage oft mehr
als in der engen, haͤuslichen Eingeſchraͤnktheit
in einem Monathe. Schon als Kind, wenn ich
vor dem Landhauſe meines Vaters ſtand und
uͤber die fernen Berge hinwegſah und ganz am
Ende des blauen Horizontes eine Windmuͤhle
entdeckte: ſo war mir’s, als wenn ſie mich mit
ihrer Bewegung zu ſich winkte, das Blut
ſtroͤmte mir ſchneller zum Herzen, mein Geiſt
flog zur fernen Gegend hin, eine fremde Sehn-
ſucht fuͤllte oft mein Auge mit Thraͤnen. —
Wie ſchlug mir dann das Herz, wenn ein Poſt-
horn uͤber den Wald ertoͤnte und ein Wagen
vom Abhange des Berges fuhr! — Am Abend
ging ich traurig und mit truͤber Seele in mein
Zimmer zuruͤck; meine Gedanken kehrten ungern
aus den fernen, fremden Gegenden wieder, die
bekannte Heimath umher druͤckte meinen Geiſt
zu Boden. Wenn ich an jene Empfindungen
meiner Kindheit zuruͤckdenke, ſo empfind’ ich
meine itzige gluͤckliche Lage um ſo lebhafter; ich

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0238" n="230[228]"/>
fe&#x017F;tzuhalten. So i&#x017F;t meine Rei&#x017F;e eine ununter-<lb/>
brochene Trunkenheit, alle meine Sinne &#x017F;ind be-<lb/>
&#x017F;ta&#x0364;ndig berau&#x017F;cht, &#x2014; o dies ra&#x017F;che Wandeln<lb/>
durch die &#x017F;cho&#x0364;ne Welt gewa&#x0364;hrt einen hohen Ge-<lb/>
nuß, man lebt hier in einem Tage oft mehr<lb/>
als in der engen, ha&#x0364;uslichen Einge&#x017F;chra&#x0364;nktheit<lb/>
in einem Monathe. Schon als Kind, wenn ich<lb/>
vor dem Landhau&#x017F;e meines Vaters &#x017F;tand und<lb/>
u&#x0364;ber die fernen Berge hinweg&#x017F;ah und ganz am<lb/>
Ende des blauen Horizontes eine Windmu&#x0364;hle<lb/>
entdeckte: &#x017F;o war mir&#x2019;s, als wenn &#x017F;ie mich mit<lb/>
ihrer Bewegung zu &#x017F;ich winkte, das Blut<lb/>
&#x017F;tro&#x0364;mte mir &#x017F;chneller zum Herzen, mein Gei&#x017F;t<lb/>
flog zur fernen Gegend hin, eine fremde Sehn-<lb/>
&#x017F;ucht fu&#x0364;llte oft mein Auge mit Thra&#x0364;nen. &#x2014;<lb/>
Wie &#x017F;chlug mir dann das Herz, wenn ein Po&#x017F;t-<lb/>
horn u&#x0364;ber den Wald erto&#x0364;nte und ein Wagen<lb/>
vom Abhange des Berges fuhr! &#x2014; Am Abend<lb/>
ging ich traurig und mit tru&#x0364;ber Seele in mein<lb/>
Zimmer zuru&#x0364;ck; meine Gedanken kehrten ungern<lb/>
aus den fernen, fremden Gegenden wieder, die<lb/>
bekannte Heimath umher dru&#x0364;ckte meinen Gei&#x017F;t<lb/>
zu Boden. Wenn ich an jene Empfindungen<lb/>
meiner Kindheit zuru&#x0364;ckdenke, &#x017F;o empfind&#x2019; ich<lb/>
meine itzige glu&#x0364;ckliche Lage um &#x017F;o lebhafter; ich<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[230[228]/0238] feſtzuhalten. So iſt meine Reiſe eine ununter- brochene Trunkenheit, alle meine Sinne ſind be- ſtaͤndig berauſcht, — o dies raſche Wandeln durch die ſchoͤne Welt gewaͤhrt einen hohen Ge- nuß, man lebt hier in einem Tage oft mehr als in der engen, haͤuslichen Eingeſchraͤnktheit in einem Monathe. Schon als Kind, wenn ich vor dem Landhauſe meines Vaters ſtand und uͤber die fernen Berge hinwegſah und ganz am Ende des blauen Horizontes eine Windmuͤhle entdeckte: ſo war mir’s, als wenn ſie mich mit ihrer Bewegung zu ſich winkte, das Blut ſtroͤmte mir ſchneller zum Herzen, mein Geiſt flog zur fernen Gegend hin, eine fremde Sehn- ſucht fuͤllte oft mein Auge mit Thraͤnen. — Wie ſchlug mir dann das Herz, wenn ein Poſt- horn uͤber den Wald ertoͤnte und ein Wagen vom Abhange des Berges fuhr! — Am Abend ging ich traurig und mit truͤber Seele in mein Zimmer zuruͤck; meine Gedanken kehrten ungern aus den fernen, fremden Gegenden wieder, die bekannte Heimath umher druͤckte meinen Geiſt zu Boden. Wenn ich an jene Empfindungen meiner Kindheit zuruͤckdenke, ſo empfind’ ich meine itzige gluͤckliche Lage um ſo lebhafter; ich

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell01_1795
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell01_1795/238
Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 1. Berlin u. a., 1795, S. 230[228]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell01_1795/238>, abgerufen am 21.11.2024.