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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 1. Berlin u. a., 1795.

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einen solchen kann man den orientalischen Aus-
druck anwenden, daß er vom bösen Feinde ver-
folgt wird. -- Man fühlt sich gewissermaaßen
in eine solche Lage versetzt, wenn man seiner
Phantasie erlaubt, zu weit auszuschweifen, wenn
man alle Regionen der schwärmenden Begeiste-
rung durchfliegt, -- wir gerarhen endlich in ein
Gebiet so excentrischer Gefühle, -- indem wir
gleichsam an die letzte Grenze alles Empfindba-
ren gekommen sind, und die Phantasie sich durch
hundertmahlige Exaltationen erschöpft hat, --
daß die Seele endlich ermüdet zurückfällt: alles
umher erscheint uns nun in einer schaalen Trüb-
heit, unsre schönsten Hofnungen und Wünsche
stehn da, von einem Nebel dunkel und verwor-
ren gemacht, wir suchen mißvergnügt den Rück-
weg nach jenen Extremen, aber die Bahn ist zu-
gefallen, und so befällt uns endlich jene Leer-
heit der Seele, jene dumpfe Trägheit, die alle
Federn unsers Wesens lahm macht. Man hüte
sich daher vor jener Trunkenheit des Geistes,
die uns zu lange von der Erde entrückt; wir
kommen endlich als Fremdlinge wieder herab,
die sich in eine unbekannte Welt versetzt glau-
ben, und die doch die Schwingkraft verlohren

einen ſolchen kann man den orientaliſchen Aus-
druck anwenden, daß er vom boͤſen Feinde ver-
folgt wird. — Man fuͤhlt ſich gewiſſermaaßen
in eine ſolche Lage verſetzt, wenn man ſeiner
Phantaſie erlaubt, zu weit auszuſchweifen, wenn
man alle Regionen der ſchwaͤrmenden Begeiſte-
rung durchfliegt, — wir gerarhen endlich in ein
Gebiet ſo excentriſcher Gefuͤhle, — indem wir
gleichſam an die letzte Grenze alles Empfindba-
ren gekommen ſind, und die Phantaſie ſich durch
hundertmahlige Exaltationen erſchoͤpft hat, —
daß die Seele endlich ermuͤdet zuruͤckfaͤllt: alles
umher erſcheint uns nun in einer ſchaalen Truͤb-
heit, unſre ſchoͤnſten Hofnungen und Wuͤnſche
ſtehn da, von einem Nebel dunkel und verwor-
ren gemacht, wir ſuchen mißvergnuͤgt den Ruͤck-
weg nach jenen Extremen, aber die Bahn iſt zu-
gefallen, und ſo befaͤllt uns endlich jene Leer-
heit der Seele, jene dumpfe Traͤgheit, die alle
Federn unſers Weſens lahm macht. Man huͤte
ſich daher vor jener Trunkenheit des Geiſtes,
die uns zu lange von der Erde entruͤckt; wir
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ben, und die doch die Schwingkraft verlohren

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[236[234]/0244] einen ſolchen kann man den orientaliſchen Aus- druck anwenden, daß er vom boͤſen Feinde ver- folgt wird. — Man fuͤhlt ſich gewiſſermaaßen in eine ſolche Lage verſetzt, wenn man ſeiner Phantaſie erlaubt, zu weit auszuſchweifen, wenn man alle Regionen der ſchwaͤrmenden Begeiſte- rung durchfliegt, — wir gerarhen endlich in ein Gebiet ſo excentriſcher Gefuͤhle, — indem wir gleichſam an die letzte Grenze alles Empfindba- ren gekommen ſind, und die Phantaſie ſich durch hundertmahlige Exaltationen erſchoͤpft hat, — daß die Seele endlich ermuͤdet zuruͤckfaͤllt: alles umher erſcheint uns nun in einer ſchaalen Truͤb- heit, unſre ſchoͤnſten Hofnungen und Wuͤnſche ſtehn da, von einem Nebel dunkel und verwor- ren gemacht, wir ſuchen mißvergnuͤgt den Ruͤck- weg nach jenen Extremen, aber die Bahn iſt zu- gefallen, und ſo befaͤllt uns endlich jene Leer- heit der Seele, jene dumpfe Traͤgheit, die alle Federn unſers Weſens lahm macht. Man huͤte ſich daher vor jener Trunkenheit des Geiſtes, die uns zu lange von der Erde entruͤckt; wir kommen endlich als Fremdlinge wieder herab, die ſich in eine unbekannte Welt verſetzt glau- ben, und die doch die Schwingkraft verlohren

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 1. Berlin u. a., 1795, S. 236[234]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell01_1795/244>, abgerufen am 16.05.2024.