sie weniger lieben, -- sobald man die Auflösung zum sinnreichsten Räthsel gefunden hat, erscheint es abgeschmackt.
Mein Brief scheint mir itzt übertrieben, ich möchte ihn zerreißen, ich bin unwillig auf mich selbst, -- aber nein, ich will mir meine Beschä- mung vor Dir nicht ersparen. Ich will Dir daher auch gestehen, daß, indem ich schrieb, eine Art von Trost für mich in dem Bewußtseyn lag, daß ich auch Dich nun bald verlassen müsse; dadurch schien mir meine Bitterkeit gegen mein Schicksal gerechtfertigt. -- Doch itzt sind alle diese Träume verschwunden, itzt fühl' ich es innig, daß Du meiner Existenz unentbehrlich bist, aber eben so tief empfind' ich es auch, daß mir das Andenken an Amalien nie wie ein trüber Traum erscheinen wird, in einem Momente nur konnte mich diese Ahndung hintergehn, -- ihre Gegen- liebe würde mich zum Gott machen! Nie wer- de ich den Blick vergessen, mit dem sie mich so oft betrachtet hat, die holdseelige Güte, mit der sie zu mir sprach, alles, alles hat sich so in alle meine Empfindungen verflochten, so innig bis an meine frühsten Erinnerungen ge- reiht, daß ich nichts davon verliehren kann,
ſie weniger lieben, — ſobald man die Aufloͤſung zum ſinnreichſten Raͤthſel gefunden hat, erſcheint es abgeſchmackt.
Mein Brief ſcheint mir itzt uͤbertrieben, ich moͤchte ihn zerreißen, ich bin unwillig auf mich ſelbſt, — aber nein, ich will mir meine Beſchaͤ- mung vor Dir nicht erſparen. Ich will Dir daher auch geſtehen, daß, indem ich ſchrieb, eine Art von Troſt fuͤr mich in dem Bewußtſeyn lag, daß ich auch Dich nun bald verlaſſen muͤſſe; dadurch ſchien mir meine Bitterkeit gegen mein Schickſal gerechtfertigt. — Doch itzt ſind alle dieſe Traͤume verſchwunden, itzt fuͤhl’ ich es innig, daß Du meiner Exiſtenz unentbehrlich biſt, aber eben ſo tief empfind’ ich es auch, daß mir das Andenken an Amalien nie wie ein truͤber Traum erſcheinen wird, in einem Momente nur konnte mich dieſe Ahndung hintergehn, — ihre Gegen- liebe wuͤrde mich zum Gott machen! Nie wer- de ich den Blick vergeſſen, mit dem ſie mich ſo oft betrachtet hat, die holdſeelige Guͤte, mit der ſie zu mir ſprach, alles, alles hat ſich ſo in alle meine Empfindungen verflochten, ſo innig bis an meine fruͤhſten Erinnerungen ge- reiht, daß ich nichts davon verliehren kann,
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[24[22]/0032]
ſie weniger lieben, — ſobald man die Aufloͤſung
zum ſinnreichſten Raͤthſel gefunden hat, erſcheint
es abgeſchmackt.
Mein Brief ſcheint mir itzt uͤbertrieben, ich
moͤchte ihn zerreißen, ich bin unwillig auf mich
ſelbſt, — aber nein, ich will mir meine Beſchaͤ-
mung vor Dir nicht erſparen. Ich will Dir
daher auch geſtehen, daß, indem ich ſchrieb, eine
Art von Troſt fuͤr mich in dem Bewußtſeyn lag,
daß ich auch Dich nun bald verlaſſen muͤſſe;
dadurch ſchien mir meine Bitterkeit gegen mein
Schickſal gerechtfertigt. — Doch itzt ſind alle dieſe
Traͤume verſchwunden, itzt fuͤhl’ ich es innig,
daß Du meiner Exiſtenz unentbehrlich biſt, aber
eben ſo tief empfind’ ich es auch, daß mir das
Andenken an Amalien nie wie ein truͤber Traum
erſcheinen wird, in einem Momente nur konnte
mich dieſe Ahndung hintergehn, — ihre Gegen-
liebe wuͤrde mich zum Gott machen! Nie wer-
de ich den Blick vergeſſen, mit dem ſie mich
ſo oft betrachtet hat, die holdſeelige Guͤte,
mit der ſie zu mir ſprach, alles, alles hat ſich
ſo in alle meine Empfindungen verflochten, ſo
innig bis an meine fruͤhſten Erinnerungen ge-
reiht, daß ich nichts davon verliehren kann,
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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 1. Berlin u. a., 1795, S. 24[22]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell01_1795/32>, abgerufen am 21.11.2024.
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