ten Briefe löse, -- wenn ich keinen Freund hier habe, dem ich mein Entzücken mittheilen kann, -- o so will ich weinend auf die Knie fallen, und jenem unbekannten fernen Freunde meine kindische Freude, meine Wonnethränen zum Opfer bringen, daß er es verstattet, daß ich wie- der zu meinen frühern frommen Empfindungen zurückwandeln darf. -- Beneide mich, Freund, um diesen glückseeligen Augenblick meines Le- bens!
Und wenn er nicht kömmt! -- Wenn kalte Worte meine Verzweiflung und mein Entzücken gleich stark zu Boden schlagen. -- Kalte Thrä- nen treten mir bei dem Gedanken in die Au- gen. -- Ach, Freund, es mag immerhin etwas Kindisches seyn, manche abentheuerliche Ge- spenstergeschichten, die man mir in meiner Ju- gend erzählte, fallen mir izt täglich ein und ich finde immer Anwendungen darinn auf mich. Kennst Du das Mährchen, in welchem ein Kna- be unaufhörlich von einem gräßlichen Unholde verfolgt wird? ihm immer entflieht und von neuem in die Arme läuft? -- Ein anders, wo ein Mensch an das unsichtbare Joch eines unbe- kannten, furchtbaren Schicksals gespannt ist; er
ten Briefe loͤſe, — wenn ich keinen Freund hier habe, dem ich mein Entzuͤcken mittheilen kann, — o ſo will ich weinend auf die Knie fallen, und jenem unbekannten fernen Freunde meine kindiſche Freude, meine Wonnethraͤnen zum Opfer bringen, daß er es verſtattet, daß ich wie- der zu meinen fruͤhern frommen Empfindungen zuruͤckwandeln darf. — Beneide mich, Freund, um dieſen gluͤckſeeligen Augenblick meines Le- bens!
Und wenn er nicht koͤmmt! — Wenn kalte Worte meine Verzweiflung und mein Entzuͤcken gleich ſtark zu Boden ſchlagen. — Kalte Thraͤ- nen treten mir bei dem Gedanken in die Au- gen. — Ach, Freund, es mag immerhin etwas Kindiſches ſeyn, manche abentheuerliche Ge- ſpenſtergeſchichten, die man mir in meiner Ju- gend erzaͤhlte, fallen mir izt taͤglich ein und ich finde immer Anwendungen darinn auf mich. Kennſt Du das Maͤhrchen, in welchem ein Kna- be unaufhoͤrlich von einem graͤßlichen Unholde verfolgt wird? ihm immer entflieht und von neuem in die Arme laͤuft? — Ein anders, wo ein Menſch an das unſichtbare Joch eines unbe- kannten, furchtbaren Schickſals geſpannt iſt; er
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[341[339]/0349]
ten Briefe loͤſe, — wenn ich keinen Freund hier
habe, dem ich mein Entzuͤcken mittheilen kann,
— o ſo will ich weinend auf die Knie fallen,
und jenem unbekannten fernen Freunde meine
kindiſche Freude, meine Wonnethraͤnen zum
Opfer bringen, daß er es verſtattet, daß ich wie-
der zu meinen fruͤhern frommen Empfindungen
zuruͤckwandeln darf. — Beneide mich, Freund,
um dieſen gluͤckſeeligen Augenblick meines Le-
bens!
Und wenn er nicht koͤmmt! — Wenn kalte
Worte meine Verzweiflung und mein Entzuͤcken
gleich ſtark zu Boden ſchlagen. — Kalte Thraͤ-
nen treten mir bei dem Gedanken in die Au-
gen. — Ach, Freund, es mag immerhin etwas
Kindiſches ſeyn, manche abentheuerliche Ge-
ſpenſtergeſchichten, die man mir in meiner Ju-
gend erzaͤhlte, fallen mir izt taͤglich ein und ich
finde immer Anwendungen darinn auf mich.
Kennſt Du das Maͤhrchen, in welchem ein Kna-
be unaufhoͤrlich von einem graͤßlichen Unholde
verfolgt wird? ihm immer entflieht und von
neuem in die Arme laͤuft? — Ein anders, wo
ein Menſch an das unſichtbare Joch eines unbe-
kannten, furchtbaren Schickſals geſpannt iſt; er
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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 1. Berlin u. a., 1795, S. 341[339]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell01_1795/349>, abgerufen am 24.11.2024.
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