Ich bin kälter geworden, seit einiger Zeit? -- Wahrlich, lieber Freund, wenn es war, so war es nur um desto glühender zu Ihnen zurückzu- kommen. Nein, Ihre Freundschaft ist mir noch immer eben so theuer, ja theurer als ehemals, lassen Sie uns nicht den Bund zerreissen, den wir geschlossen hatten.
Hoch triumphirend steh ich oben, über dem Leben und seinen Freuden und Leiden erhaben, ich sehe mit stolzer Verachtung in das Gewühl der Welt hinab. -- Wer sind jene armseeligen Geschöpfe die so schwer und keichend an den Bürden der Pflichten und der Tugenden tra- gen? -- Meine Brüder? -- Nimmermehr! -- Die Willkühr stempelt den freyen Menschen; von allen Banden losgelassen rausch' ich wie ein Sturmwind dahin, Wälder niederreissend und mit lautem und wildem Geheul über die steilen Gebirge hinfahrend. Mag's hinter mir stürzen und vor mir wanken, was sind mir
35. William Lovell an Roſa.
Rom.
Ich bin kaͤlter geworden, ſeit einiger Zeit? — Wahrlich, lieber Freund, wenn es war, ſo war es nur um deſto gluͤhender zu Ihnen zuruͤckzu- kommen. Nein, Ihre Freundſchaft iſt mir noch immer eben ſo theuer, ja theurer als ehemals, laſſen Sie uns nicht den Bund zerreiſſen, den wir geſchloſſen hatten.
Hoch triumphirend ſteh ich oben, uͤber dem Leben und ſeinen Freuden und Leiden erhaben, ich ſehe mit ſtolzer Verachtung in das Gewuͤhl der Welt hinab. — Wer ſind jene armſeeligen Geſchoͤpfe die ſo ſchwer und keichend an den Buͤrden der Pflichten und der Tugenden tra- gen? — Meine Bruͤder? — Nimmermehr! — Die Willkuͤhr ſtempelt den freyen Menſchen; von allen Banden losgelaſſen rauſch’ ich wie ein Sturmwind dahin, Waͤlder niederreiſſend und mit lautem und wildem Geheul uͤber die ſteilen Gebirge hinfahrend. Mag’s hinter mir ſtuͤrzen und vor mir wanken, was ſind mir
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0366"n="358[356]"/><divn="2"><head>35.<lb/>
William Lovell an Roſa.</head><lb/><dateline><hirendition="#et">Rom.</hi></dateline><lb/><p><hirendition="#in">I</hi>ch bin <hirendition="#g">kaͤlter</hi> geworden, ſeit einiger Zeit? —<lb/>
Wahrlich, lieber Freund, wenn es war, ſo war<lb/>
es nur um deſto gluͤhender zu Ihnen zuruͤckzu-<lb/>
kommen. Nein, Ihre Freundſchaft iſt mir noch<lb/>
immer eben ſo theuer, ja theurer als ehemals,<lb/>
laſſen Sie uns nicht den Bund zerreiſſen, den<lb/>
wir geſchloſſen hatten.</p><lb/><p>Hoch triumphirend ſteh ich oben, uͤber dem<lb/>
Leben und ſeinen Freuden und Leiden erhaben,<lb/>
ich ſehe mit ſtolzer Verachtung in das Gewuͤhl<lb/>
der Welt hinab. — Wer ſind jene armſeeligen<lb/>
Geſchoͤpfe die ſo ſchwer und keichend an den<lb/>
Buͤrden der Pflichten und der Tugenden tra-<lb/>
gen? — Meine Bruͤder? — Nimmermehr! —<lb/>
Die Willkuͤhr ſtempelt den freyen Menſchen;<lb/>
von allen Banden losgelaſſen rauſch’ ich wie<lb/>
ein Sturmwind dahin, Waͤlder niederreiſſend<lb/>
und mit lautem und wildem Geheul uͤber die<lb/>ſteilen Gebirge hinfahrend. Mag’s hinter mir<lb/>ſtuͤrzen und vor mir wanken, was ſind mir<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[358[356]/0366]
35.
William Lovell an Roſa.
Rom.
Ich bin kaͤlter geworden, ſeit einiger Zeit? —
Wahrlich, lieber Freund, wenn es war, ſo war
es nur um deſto gluͤhender zu Ihnen zuruͤckzu-
kommen. Nein, Ihre Freundſchaft iſt mir noch
immer eben ſo theuer, ja theurer als ehemals,
laſſen Sie uns nicht den Bund zerreiſſen, den
wir geſchloſſen hatten.
Hoch triumphirend ſteh ich oben, uͤber dem
Leben und ſeinen Freuden und Leiden erhaben,
ich ſehe mit ſtolzer Verachtung in das Gewuͤhl
der Welt hinab. — Wer ſind jene armſeeligen
Geſchoͤpfe die ſo ſchwer und keichend an den
Buͤrden der Pflichten und der Tugenden tra-
gen? — Meine Bruͤder? — Nimmermehr! —
Die Willkuͤhr ſtempelt den freyen Menſchen;
von allen Banden losgelaſſen rauſch’ ich wie
ein Sturmwind dahin, Waͤlder niederreiſſend
und mit lautem und wildem Geheul uͤber die
ſteilen Gebirge hinfahrend. Mag’s hinter mir
ſtuͤrzen und vor mir wanken, was ſind mir
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 1. Berlin u. a., 1795, S. 358[356]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell01_1795/366>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.