Warum ich Dir so lange nicht geschrieben ha- be, willst Du wissen? Du solltest Dich doch schon daran gewöhnt haben, daß es in dieser Sterblichkeit eine Menge von Vorfällen, Wir- kungen, Handlungen, Unterlassungen ohne Ur- sache giebt, andre die, wenn sie Ursachen haben, oft schlimmer als gar keine Ursachen sind. -- Es giebt Leute, die bei einem Allegro weinen können, oder die beim schmelzendsten Adagio ei- nen unwiderstehlichen Beruf zum Tanzen füh- len, -- wer wird hier nach den Ursachen fra- gen? Diese Leute sind nun einmahl so und nicht anders. Eben so habe ich zu gewissen Zei- ten Perioden von Trägheit, wo mir jede Feder zuwider ist, wo mich ein Billet, was ich schrei- ben soll, in Schrecken setzen kann, ich bin aber noch nie darauf gefallen, tiefsinnige philosophi- sche Betrachtungen darüber anzustellen, ob die Seele oder der Körper daran Schuld sey, von welchen Mittelideen und Kombinationen die ganze Erscheinung abhänge.
9. Mortimer an ſeinen Freund Karl Wilmont.
London.
Warum ich Dir ſo lange nicht geſchrieben ha- be, willſt Du wiſſen? Du ſollteſt Dich doch ſchon daran gewoͤhnt haben, daß es in dieſer Sterblichkeit eine Menge von Vorfaͤllen, Wir- kungen, Handlungen, Unterlaſſungen ohne Ur- ſache giebt, andre die, wenn ſie Urſachen haben, oft ſchlimmer als gar keine Urſachen ſind. — Es giebt Leute, die bei einem Allegro weinen koͤnnen, oder die beim ſchmelzendſten Adagio ei- nen unwiderſtehlichen Beruf zum Tanzen fuͤh- len, — wer wird hier nach den Urſachen fra- gen? Dieſe Leute ſind nun einmahl ſo und nicht anders. Eben ſo habe ich zu gewiſſen Zei- ten Perioden von Traͤgheit, wo mir jede Feder zuwider iſt, wo mich ein Billet, was ich ſchrei- ben ſoll, in Schrecken ſetzen kann, ich bin aber noch nie darauf gefallen, tiefſinnige philoſophi- ſche Betrachtungen daruͤber anzuſtellen, ob die Seele oder der Koͤrper daran Schuld ſey, von welchen Mittelideen und Kombinationen die ganze Erſcheinung abhaͤnge.
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[46[44]/0054]
9.
Mortimer an ſeinen Freund Karl Wilmont.
London.
Warum ich Dir ſo lange nicht geſchrieben ha-
be, willſt Du wiſſen? Du ſollteſt Dich doch
ſchon daran gewoͤhnt haben, daß es in dieſer
Sterblichkeit eine Menge von Vorfaͤllen, Wir-
kungen, Handlungen, Unterlaſſungen ohne Ur-
ſache giebt, andre die, wenn ſie Urſachen haben,
oft ſchlimmer als gar keine Urſachen ſind. —
Es giebt Leute, die bei einem Allegro weinen
koͤnnen, oder die beim ſchmelzendſten Adagio ei-
nen unwiderſtehlichen Beruf zum Tanzen fuͤh-
len, — wer wird hier nach den Urſachen fra-
gen? Dieſe Leute ſind nun einmahl ſo und
nicht anders. Eben ſo habe ich zu gewiſſen Zei-
ten Perioden von Traͤgheit, wo mir jede Feder
zuwider iſt, wo mich ein Billet, was ich ſchrei-
ben ſoll, in Schrecken ſetzen kann, ich bin aber
noch nie darauf gefallen, tiefſinnige philoſophi-
ſche Betrachtungen daruͤber anzuſtellen, ob die
Seele oder der Koͤrper daran Schuld ſey, von
welchen Mittelideen und Kombinationen die
ganze Erſcheinung abhaͤnge.
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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 1. Berlin u. a., 1795, S. 46[44]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell01_1795/54>, abgerufen am 22.11.2024.
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