Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 1. Berlin u. a., 1795.

Bild:
<< vorherige Seite

sich in das freundlichste Lächeln und die Falten
des bittersten Spotts zu legen, -- ich habe nur
noch wenig mit ihm gesprochen, aber alles, was
er sagte, hat mich zu ihm gezogen, ohne es zu
wollen hat er meine Aufmerksamkeit ganz auf
sich geheftet; er ist kein Enthusiast, aber auch
kein kalter, verschlossener Mensch, er ist sehr
empfindlich für das Schöne, ohne zum Dekla-
mator zu werden. Es freut mich, daß er sich
an William schließt, von solchen Menschen kann
dieser viel lernen, wenn er erst den geheimen
Haß abgelegt hat, den er gegen Wesen fühlt,
die ihm überlegen sind.

Wir sind mit einem jungen, aufbrausenden,
sonderbaren Deutschen bekannt geworden, dem
sich William ganz und gar hingiebt; er heißt
Balder und ist auch nur seit kurzem in Paris.
Zwei harmonirende Töne können nicht so leicht
in einander schmelzen, als diese beiden Seelen:
beide sind Enthusiasten, beide poetisch gestimmt,
beide begegnen sich mit gleicher Liebe. -- Ich
mag noch itzt nichts davon merken lassen, daß
eine solche Freundschaft, von zweien so ganz
gleichgestimmten Wesen geschlossen, sich selbst bald
aufzehren muß: es ist ein schnelles aufloderndes

ſich in das freundlichſte Laͤcheln und die Falten
des bitterſten Spotts zu legen, — ich habe nur
noch wenig mit ihm geſprochen, aber alles, was
er ſagte, hat mich zu ihm gezogen, ohne es zu
wollen hat er meine Aufmerkſamkeit ganz auf
ſich geheftet; er iſt kein Enthuſiaſt, aber auch
kein kalter, verſchloſſener Menſch, er iſt ſehr
empfindlich fuͤr das Schoͤne, ohne zum Dekla-
mator zu werden. Es freut mich, daß er ſich
an William ſchließt, von ſolchen Menſchen kann
dieſer viel lernen, wenn er erſt den geheimen
Haß abgelegt hat, den er gegen Weſen fuͤhlt,
die ihm uͤberlegen ſind.

Wir ſind mit einem jungen, aufbrauſenden,
ſonderbaren Deutſchen bekannt geworden, dem
ſich William ganz und gar hingiebt; er heißt
Balder und iſt auch nur ſeit kurzem in Paris.
Zwei harmonirende Toͤne koͤnnen nicht ſo leicht
in einander ſchmelzen, als dieſe beiden Seelen:
beide ſind Enthuſiaſten, beide poetiſch geſtimmt,
beide begegnen ſich mit gleicher Liebe. — Ich
mag noch itzt nichts davon merken laſſen, daß
eine ſolche Freundſchaft, von zweien ſo ganz
gleichgeſtimmten Weſen geſchloſſen, ſich ſelbſt bald
aufzehren muß: es iſt ein ſchnelles aufloderndes

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0087" n="79[77]"/>
&#x017F;ich in das freundlich&#x017F;te La&#x0364;cheln und die Falten<lb/>
des bitter&#x017F;ten Spotts zu legen, &#x2014; ich habe nur<lb/>
noch wenig mit ihm ge&#x017F;prochen, aber alles, was<lb/>
er &#x017F;agte, hat mich zu ihm gezogen, ohne es zu<lb/>
wollen hat er meine Aufmerk&#x017F;amkeit ganz auf<lb/>
&#x017F;ich geheftet; er i&#x017F;t kein Enthu&#x017F;ia&#x017F;t, aber auch<lb/>
kein kalter, ver&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;ener Men&#x017F;ch, er i&#x017F;t &#x017F;ehr<lb/>
empfindlich fu&#x0364;r das Scho&#x0364;ne, ohne zum Dekla-<lb/>
mator zu werden. Es freut mich, daß er &#x017F;ich<lb/>
an William &#x017F;chließt, von &#x017F;olchen Men&#x017F;chen kann<lb/>
die&#x017F;er viel lernen, wenn er er&#x017F;t den geheimen<lb/>
Haß abgelegt hat, den er gegen We&#x017F;en fu&#x0364;hlt,<lb/>
die ihm u&#x0364;berlegen &#x017F;ind.</p><lb/>
          <p>Wir &#x017F;ind mit einem jungen, aufbrau&#x017F;enden,<lb/>
&#x017F;onderbaren Deut&#x017F;chen bekannt geworden, dem<lb/>
&#x017F;ich William ganz und gar hingiebt; er heißt<lb/><hi rendition="#g">Balder</hi> und i&#x017F;t auch nur &#x017F;eit kurzem in Paris.<lb/>
Zwei harmonirende To&#x0364;ne ko&#x0364;nnen nicht &#x017F;o leicht<lb/>
in einander &#x017F;chmelzen, als die&#x017F;e beiden Seelen:<lb/>
beide &#x017F;ind Enthu&#x017F;ia&#x017F;ten, beide poeti&#x017F;ch ge&#x017F;timmt,<lb/>
beide begegnen &#x017F;ich mit gleicher Liebe. &#x2014; Ich<lb/>
mag noch itzt nichts davon merken la&#x017F;&#x017F;en, daß<lb/>
eine &#x017F;olche Freund&#x017F;chaft, von zweien &#x017F;o ganz<lb/>
gleichge&#x017F;timmten We&#x017F;en ge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en, &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t bald<lb/>
aufzehren muß: es i&#x017F;t ein &#x017F;chnelles aufloderndes<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[79[77]/0087] ſich in das freundlichſte Laͤcheln und die Falten des bitterſten Spotts zu legen, — ich habe nur noch wenig mit ihm geſprochen, aber alles, was er ſagte, hat mich zu ihm gezogen, ohne es zu wollen hat er meine Aufmerkſamkeit ganz auf ſich geheftet; er iſt kein Enthuſiaſt, aber auch kein kalter, verſchloſſener Menſch, er iſt ſehr empfindlich fuͤr das Schoͤne, ohne zum Dekla- mator zu werden. Es freut mich, daß er ſich an William ſchließt, von ſolchen Menſchen kann dieſer viel lernen, wenn er erſt den geheimen Haß abgelegt hat, den er gegen Weſen fuͤhlt, die ihm uͤberlegen ſind. Wir ſind mit einem jungen, aufbrauſenden, ſonderbaren Deutſchen bekannt geworden, dem ſich William ganz und gar hingiebt; er heißt Balder und iſt auch nur ſeit kurzem in Paris. Zwei harmonirende Toͤne koͤnnen nicht ſo leicht in einander ſchmelzen, als dieſe beiden Seelen: beide ſind Enthuſiaſten, beide poetiſch geſtimmt, beide begegnen ſich mit gleicher Liebe. — Ich mag noch itzt nichts davon merken laſſen, daß eine ſolche Freundſchaft, von zweien ſo ganz gleichgeſtimmten Weſen geſchloſſen, ſich ſelbſt bald aufzehren muß: es iſt ein ſchnelles aufloderndes

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell01_1795
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell01_1795/87
Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 1. Berlin u. a., 1795, S. 79[77]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell01_1795/87>, abgerufen am 22.11.2024.