Paris, liebster Freund, mißfällt mir höchlich; ich denke oft an Dich und an das einsame Bon- street zutück, wenn ich mich hier in den glän- zenden Zirkeln herumtreibe; dort war mei- ne Seele in einer steten lieblichen Schwingung, hier bin ich verlassen in Felsenmauern eingeker- kert, ein wüster Müßiggang ist mein Geschäft, vom Geschwätze betäubt, von keiner Seele ver- standen. -- Doch nein, ich will mich nicht an das Schicksal versündigen, ich habe hier einen Menschen gefunden, wie ihn mein Herz bedarf, ich habe auch hier einen Freund, der mich für so viele verlohrne Stunden entschädigt. Ich habe die Bekanntschaft eines jungen Deutschen gemacht, er heißt Balder, ein Jüngling, des- sen Seele fast allen Forderungen entspricht, die meine übertreibende Empfindung an einen Freund macht; er ist sanft und gefühlvoll, sein Her; wird leicht von der Schönheit und Erhabenheit
Lovell, I. Bd. F
2. William Lovell an ſeinen Freund Eduard Burton.
Paris.
Paris, liebſter Freund, mißfaͤllt mir hoͤchlich; ich denke oft an Dich und an das einſame Bon- ſtreet zutuͤck, wenn ich mich hier in den glaͤn- zenden Zirkeln herumtreibe; dort war mei- ne Seele in einer ſteten lieblichen Schwingung, hier bin ich verlaſſen in Felſenmauern eingeker- kert, ein wuͤſter Muͤßiggang iſt mein Geſchaͤft, vom Geſchwaͤtze betaͤubt, von keiner Seele ver- ſtanden. — Doch nein, ich will mich nicht an das Schickſal verſuͤndigen, ich habe hier einen Menſchen gefunden, wie ihn mein Herz bedarf, ich habe auch hier einen Freund, der mich fuͤr ſo viele verlohrne Stunden entſchaͤdigt. Ich habe die Bekanntſchaft eines jungen Deutſchen gemacht, er heißt Balder, ein Juͤngling, deſ- ſen Seele faſt allen Forderungen entſpricht, die meine uͤbertreibende Empfindung an einen Freund macht; er iſt ſanft und gefuͤhlvoll, ſein Her; wird leicht von der Schoͤnheit und Erhabenheit
Lovell, I. Bd. F
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0089"n="81[79]"/><divn="2"><head>2.<lb/>
William Lovell an ſeinen Freund Eduard<lb/>
Burton.</head><lb/><dateline><hirendition="#et">Paris.</hi></dateline><lb/><p><hirendition="#in">P</hi>aris, liebſter Freund, mißfaͤllt mir hoͤchlich;<lb/>
ich denke oft an Dich und an das einſame Bon-<lb/>ſtreet zutuͤck, wenn ich mich hier in den glaͤn-<lb/>
zenden Zirkeln herumtreibe; dort war mei-<lb/>
ne Seele in einer ſteten lieblichen Schwingung,<lb/>
hier bin ich verlaſſen in Felſenmauern eingeker-<lb/>
kert, ein wuͤſter Muͤßiggang iſt mein Geſchaͤft,<lb/>
vom Geſchwaͤtze betaͤubt, von keiner Seele ver-<lb/>ſtanden. — Doch nein, ich will mich nicht an<lb/>
das Schickſal verſuͤndigen, ich habe hier einen<lb/>
Menſchen gefunden, wie ihn mein Herz bedarf,<lb/>
ich habe auch hier einen Freund, der mich fuͤr<lb/>ſo viele verlohrne Stunden entſchaͤdigt. Ich<lb/>
habe die Bekanntſchaft eines jungen Deutſchen<lb/>
gemacht, er heißt <hirendition="#g">Balder</hi>, ein Juͤngling, deſ-<lb/>ſen Seele faſt allen Forderungen entſpricht, die<lb/>
meine uͤbertreibende Empfindung an einen Freund<lb/>
macht; er iſt ſanft und gefuͤhlvoll, ſein Her;<lb/>
wird leicht von der Schoͤnheit und Erhabenheit<lb/><fwplace="bottom"type="sig">Lovell, <hirendition="#aq">I.</hi> Bd. F</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[81[79]/0089]
2.
William Lovell an ſeinen Freund Eduard
Burton.
Paris.
Paris, liebſter Freund, mißfaͤllt mir hoͤchlich;
ich denke oft an Dich und an das einſame Bon-
ſtreet zutuͤck, wenn ich mich hier in den glaͤn-
zenden Zirkeln herumtreibe; dort war mei-
ne Seele in einer ſteten lieblichen Schwingung,
hier bin ich verlaſſen in Felſenmauern eingeker-
kert, ein wuͤſter Muͤßiggang iſt mein Geſchaͤft,
vom Geſchwaͤtze betaͤubt, von keiner Seele ver-
ſtanden. — Doch nein, ich will mich nicht an
das Schickſal verſuͤndigen, ich habe hier einen
Menſchen gefunden, wie ihn mein Herz bedarf,
ich habe auch hier einen Freund, der mich fuͤr
ſo viele verlohrne Stunden entſchaͤdigt. Ich
habe die Bekanntſchaft eines jungen Deutſchen
gemacht, er heißt Balder, ein Juͤngling, deſ-
ſen Seele faſt allen Forderungen entſpricht, die
meine uͤbertreibende Empfindung an einen Freund
macht; er iſt ſanft und gefuͤhlvoll, ſein Her;
wird leicht von der Schoͤnheit und Erhabenheit
Lovell, I. Bd. F
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 1. Berlin u. a., 1795, S. 81[79]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell01_1795/89>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.