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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 2. Berlin u. a., 1796.

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beruhigen. Wenn gar nichts helfen sollte (wor-
an ich zweifle) müssen Sie ihr die Ehe verspre-
chen; am dritten Tage glaubt sie das Mährchen,
und am vierten ist sie die Ihrige. Am zehnten
spätestens wird sie Ihnen denn doch nicht mehr
wie eine Gottheit erscheinen.

Nehmen Sie meinen Brief nicht übel, ich
bin hier durch einen Zufall in eine Stimmung
versetzt, in welcher mir Ihre Anbetung eines
kleinen unbedeutenden Mädchens nothwendig kin-
disch erscheinen muß.

Wenn mancher von unsern armseligen Be-
kannten dies Billet sähe, würde er mich mit
hochweiser Miene Ihren Verführer nennen, und
Wunder meinen, wie viel er dabey dächte. Ich
höre von so manchen Menschen dies unschuldige
Wort auf so unschuldige Leute anwenden, daß
ich jetzt immer darüber lachen muß. Es giebt
keinen größern Unsinn, als zu glauben, daß
der Verstand auf unsre Gefühle und Hand-
lungen Einfluß habe, und nun gar, daß eine
fremde Idee jemals die meinige werden könne,
wenn ich sie nicht schon vorher gehabt habe. --


beruhigen. Wenn gar nichts helfen ſollte (wor-
an ich zweifle) muͤſſen Sie ihr die Ehe verſpre-
chen; am dritten Tage glaubt ſie das Maͤhrchen,
und am vierten iſt ſie die Ihrige. Am zehnten
ſpaͤteſtens wird ſie Ihnen denn doch nicht mehr
wie eine Gottheit erſcheinen.

Nehmen Sie meinen Brief nicht uͤbel, ich
bin hier durch einen Zufall in eine Stimmung
verſetzt, in welcher mir Ihre Anbetung eines
kleinen unbedeutenden Maͤdchens nothwendig kin-
diſch erſcheinen muß.

Wenn mancher von unſern armſeligen Be-
kannten dies Billet ſaͤhe, wuͤrde er mich mit
hochweiſer Miene Ihren Verfuͤhrer nennen, und
Wunder meinen, wie viel er dabey daͤchte. Ich
hoͤre von ſo manchen Menſchen dies unſchuldige
Wort auf ſo unſchuldige Leute anwenden, daß
ich jetzt immer daruͤber lachen muß. Es giebt
keinen groͤßern Unſinn, als zu glauben, daß
der Verſtand auf unſre Gefuͤhle und Hand-
lungen Einfluß habe, und nun gar, daß eine
fremde Idee jemals die meinige werden koͤnne,
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[121/0127] beruhigen. Wenn gar nichts helfen ſollte (wor- an ich zweifle) muͤſſen Sie ihr die Ehe verſpre- chen; am dritten Tage glaubt ſie das Maͤhrchen, und am vierten iſt ſie die Ihrige. Am zehnten ſpaͤteſtens wird ſie Ihnen denn doch nicht mehr wie eine Gottheit erſcheinen. Nehmen Sie meinen Brief nicht uͤbel, ich bin hier durch einen Zufall in eine Stimmung verſetzt, in welcher mir Ihre Anbetung eines kleinen unbedeutenden Maͤdchens nothwendig kin- diſch erſcheinen muß. Wenn mancher von unſern armſeligen Be- kannten dies Billet ſaͤhe, wuͤrde er mich mit hochweiſer Miene Ihren Verfuͤhrer nennen, und Wunder meinen, wie viel er dabey daͤchte. Ich hoͤre von ſo manchen Menſchen dies unſchuldige Wort auf ſo unſchuldige Leute anwenden, daß ich jetzt immer daruͤber lachen muß. Es giebt keinen groͤßern Unſinn, als zu glauben, daß der Verſtand auf unſre Gefuͤhle und Hand- lungen Einfluß habe, und nun gar, daß eine fremde Idee jemals die meinige werden koͤnne, wenn ich ſie nicht ſchon vorher gehabt habe. —

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 2. Berlin u. a., 1796, S. 121. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell02_1796/127>, abgerufen am 24.05.2024.