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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 2. Berlin u. a., 1796.

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Spleen, und wir fühlen es, daß wir auch im
Lachen weise seyn können.

Ist denn überhaupt nicht alles auf dieser
Erde ein und eben dasselbe? Wir drücken uns
selbst die Augen fest zu, um nur nicht diese
Wahrheit zu bemerken, weil dadurch die Schran-
ken einfallen, die Menschen von Menschen tren-
nen. Ich könnte hier viel wieder erzählen, was
ich vordem meinem guten Mortimer nicht glau-
ben wollte, denn bloß durch diesen Eigensinn
unterscheiden sich die Charaktere der Menschen;
wir würden alle einen Glauben haben, wenn
wir uns nicht von Jugend auf ein Schema
machten, in das wir uns nach und nach müh-
sam hineintragen, das Gerüst und Sparrwerk
eines Systems, und daraus unsere eingebildete
Wahrheit herausschreien, und dem Nachbar ge-
genüber nicht glauben wollen, der in einem an-
dern Käfig steckt und eine andre Lehre predigt.
Frei stehe der kühnere Mensch, ohne Stangen
und Latten die ihn umgeben, in der hohen Na-
tur da, aus Baumwipfeln und Morgenroth zie-
he er seine Philosophie, und schreite wie ein
Riese über die Zwerge hinweg, die wie Ameisen
zwischen seinen Füßen kriechen und sich mit kläg-

licher

Spleen, und wir fuͤhlen es, daß wir auch im
Lachen weiſe ſeyn koͤnnen.

Iſt denn uͤberhaupt nicht alles auf dieſer
Erde ein und eben daſſelbe? Wir druͤcken uns
ſelbſt die Augen feſt zu, um nur nicht dieſe
Wahrheit zu bemerken, weil dadurch die Schran-
ken einfallen, die Menſchen von Menſchen tren-
nen. Ich koͤnnte hier viel wieder erzaͤhlen, was
ich vordem meinem guten Mortimer nicht glau-
ben wollte, denn bloß durch dieſen Eigenſinn
unterſcheiden ſich die Charaktere der Menſchen;
wir wuͤrden alle einen Glauben haben, wenn
wir uns nicht von Jugend auf ein Schema
machten, in das wir uns nach und nach muͤh-
ſam hineintragen, das Geruͤſt und Sparrwerk
eines Syſtems, und daraus unſere eingebildete
Wahrheit herausſchreien, und dem Nachbar ge-
genuͤber nicht glauben wollen, der in einem an-
dern Kaͤfig ſteckt und eine andre Lehre predigt.
Frei ſtehe der kuͤhnere Menſch, ohne Stangen
und Latten die ihn umgeben, in der hohen Na-
tur da, aus Baumwipfeln und Morgenroth zie-
he er ſeine Philoſophie, und ſchreite wie ein
Rieſe uͤber die Zwerge hinweg, die wie Ameiſen
zwiſchen ſeinen Fuͤßen kriechen und ſich mit klaͤg-

licher
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[16/0022] Spleen, und wir fuͤhlen es, daß wir auch im Lachen weiſe ſeyn koͤnnen. Iſt denn uͤberhaupt nicht alles auf dieſer Erde ein und eben daſſelbe? Wir druͤcken uns ſelbſt die Augen feſt zu, um nur nicht dieſe Wahrheit zu bemerken, weil dadurch die Schran- ken einfallen, die Menſchen von Menſchen tren- nen. Ich koͤnnte hier viel wieder erzaͤhlen, was ich vordem meinem guten Mortimer nicht glau- ben wollte, denn bloß durch dieſen Eigenſinn unterſcheiden ſich die Charaktere der Menſchen; wir wuͤrden alle einen Glauben haben, wenn wir uns nicht von Jugend auf ein Schema machten, in das wir uns nach und nach muͤh- ſam hineintragen, das Geruͤſt und Sparrwerk eines Syſtems, und daraus unſere eingebildete Wahrheit herausſchreien, und dem Nachbar ge- genuͤber nicht glauben wollen, der in einem an- dern Kaͤfig ſteckt und eine andre Lehre predigt. Frei ſtehe der kuͤhnere Menſch, ohne Stangen und Latten die ihn umgeben, in der hohen Na- tur da, aus Baumwipfeln und Morgenroth zie- he er ſeine Philoſophie, und ſchreite wie ein Rieſe uͤber die Zwerge hinweg, die wie Ameiſen zwiſchen ſeinen Fuͤßen kriechen und ſich mit klaͤg- licher

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 2. Berlin u. a., 1796, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell02_1796/22>, abgerufen am 09.11.2024.