Die größte Schwachheit des Menschen ist, Plane für die Zukunft zu machen, und doch be- steht darin das Leben: auf nichts sollte man vertrauen, denn nie entspricht die Zukunft un- sern Erwartungen, wenn sie zur Gegenwart wird, und wir selbst und unsre innersten Empfindun- gen sind eben so gut dem Wechsel unterworfen, wie alles, was uns umgiebt. Reut mich nicht jetzt, was mir vordem Freude machte? Ach mein Sohn, könnt' ich Dich nur in meine Ar- me schließen, wie froh wollt' ich denn darüber seyn, daß ich von meinem Traume erwacht bin! --
Wie alles von mir zurück weicht, was mich sonst aufrecht erhielt! Meine Hände zittern, mein Gedächtniß wird schwach, und alle schö- nen Vorstellungen verfliegen, wie die Dünste ei- nes Rausches. Mein ganzes Leben liegt wie ein dunkler Abgrund da, in den ich hineintau- melte, ohne Besinnung da lag, und mich jetzt
4. Einlage des vorigen Briefes.
Die groͤßte Schwachheit des Menſchen iſt, Plane fuͤr die Zukunft zu machen, und doch be- ſteht darin das Leben: auf nichts ſollte man vertrauen, denn nie entſpricht die Zukunft un- ſern Erwartungen, wenn ſie zur Gegenwart wird, und wir ſelbſt und unſre innerſten Empfindun- gen ſind eben ſo gut dem Wechſel unterworfen, wie alles, was uns umgiebt. Reut mich nicht jetzt, was mir vordem Freude machte? Ach mein Sohn, koͤnnt’ ich Dich nur in meine Ar- me ſchließen, wie froh wollt’ ich denn daruͤber ſeyn, daß ich von meinem Traume erwacht bin! —
Wie alles von mir zuruͤck weicht, was mich ſonſt aufrecht erhielt! Meine Haͤnde zittern, mein Gedaͤchtniß wird ſchwach, und alle ſchoͤ- nen Vorſtellungen verfliegen, wie die Duͤnſte ei- nes Rauſches. Mein ganzes Leben liegt wie ein dunkler Abgrund da, in den ich hineintau- melte, ohne Beſinnung da lag, und mich jetzt
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4.
Einlage des vorigen Briefes.
Die groͤßte Schwachheit des Menſchen iſt,
Plane fuͤr die Zukunft zu machen, und doch be-
ſteht darin das Leben: auf nichts ſollte man
vertrauen, denn nie entſpricht die Zukunft un-
ſern Erwartungen, wenn ſie zur Gegenwart wird,
und wir ſelbſt und unſre innerſten Empfindun-
gen ſind eben ſo gut dem Wechſel unterworfen,
wie alles, was uns umgiebt. Reut mich nicht
jetzt, was mir vordem Freude machte? Ach
mein Sohn, koͤnnt’ ich Dich nur in meine Ar-
me ſchließen, wie froh wollt’ ich denn daruͤber
ſeyn, daß ich von meinem Traume erwacht
bin! —
Wie alles von mir zuruͤck weicht, was mich
ſonſt aufrecht erhielt! Meine Haͤnde zittern,
mein Gedaͤchtniß wird ſchwach, und alle ſchoͤ-
nen Vorſtellungen verfliegen, wie die Duͤnſte ei-
nes Rauſches. Mein ganzes Leben liegt wie
ein dunkler Abgrund da, in den ich hineintau-
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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 2. Berlin u. a., 1796, S. 221. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell02_1796/227>, abgerufen am 23.11.2024.
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